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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 50)

tes Wesen, das hinter dem heheln 
lebt, den wir sehen." Oder: „Die 
Sehnsucht nach dem unteilbaren 
Sein, die Befreiung von den Sinnes- 
täusehungen unseres ephemeren LCA 
bens ist die Grundstimmung aller 
Kunst." Marc, der Esoteriker unter 
den "Blauen Reitern", derjenige, 
der sich am intensivsten mit den 
Ersatzrcligionen seiner Zeit be- 
schäftigte, wollte, dnß die „Kunst 
sich von Mensehenzweeken und 
Menschcnwollen befreien" möge . . . 
Die Ausstellung im Belvedere be- 
weist - und das ist geradezu gro- 
tesk - daß Marc. der noch 1909 
ein auch für damalige Durchschnitts- 
verhältnisse eher reaktionär-rafii- 
nierter Tiermaler war, auch später- 
hin („Rehe im Schnee", 1911, "Ti- 
ger", 1912. „Traum", 1913) noch 
Wirkungen zu erzielen vermochte, 
die plakathaft-dekorntiv, wenn nicht 
gar versüßlichend sind. Deshalb er- 
freut sich Marc heute unter der 
una munen uie raroen nei inm ganz 
aus der eigenen elementaren Leucht- 
kraft und sind voll von einer Magie, 
die nicht wehtut. Menschen und 
Tiere werden bei ihm verdinglieht 
wie etwa hei Matisse, aber solches 
Tun ist frei von Affront und Effekt- 
hascherei. ln diesem Sinne gehören 
„Zoologischer Garten" (1912) oder 
„Hutladen" (1913) zu den schönsten 
Bildern der Ausstellung. Alexej von 
Jawlensky (1864 bis 1941), der 
zweitälteste Künstler der Ausstel- 
lung, malte in der Brctagne und in 
der Provenee; er ist das eigentliche 
Bindeglied zwischen den französi- 
sehen „Fauves" und der Gruppe um 
Kandinsky. Seine Hauptleistungen 
sind die groß gesehenen, konturier- 
ten und in einer sehr persönlichen 
Zaekenmanier mit magisch-leucht- 
kräftigen. irrealen Farben durchge- 
malten Kopfstudien, von denen 
„Frau mit grünem Fächer" (1912) 
am schönsten ist. Auch an ihm gin- 
 
breiten Masse der Ausstellungsbc- 
Suehcr jener Art von Beliebtheit, die 
wie ein Alarmzeiehen wirkt - er 
ist zu elegant, zu virtuos, zu wir- 
kungsbewullt. "Und die ganz grollen 
Leistungen der Spiitzeit (.,'l'ir0l" 
etC.)l1al uns die XViener Ausstellung 
leider vorenthalten. Was für ihn 
gilt, kann in bedingtem Sinn aul 
den ganzen „Blauen Reiter" üben 
tragen werden. 
August Macke (1887 bis 19H) be- 
saß als Mensch wie als Maler jene 
Unschuld, an der Marc sich mit viel 
Vehemenz vorbeisehnte. XWir glau- 
ben ihm, wenn er sagt: „Wissen ist 
eine große Lßnwahrlieit... das l-"tih- 
len des llerzens, das Ahnen von 
etwas Rätselhztltem, das Staunen 
 
gen nach dem ersten Weltkrieg die 
Gefahren einer Erstarrung in Mm 
nierismen nicht vorbei. - Gabriele 
Milntet" (1877), dureh mehrere jahre- 
Kandinskys Gefährtin, ist vor allem 
als Whhrerin des Wlerkes Kandin- 
skys und Stifterin seiner herrlich- 
sten Bilder aus der besten Periode 
an die Städtische (ialerie lwlünehen 
in die (ja sehiehte eingegtngen. Aber 
daß die alte Dame - sie lebt als 
Einzige der Gruppe von damals 
noch - weit mehr bedeutet als 
„nur" das, beweist die Wliener Aus- 
stellung; in ihren Gemälden zeigt 
sie sich als Äleisterin eines im Sinne 
Uauguins „el0is0nnistischen" Stils 
mit stark lolkloristischen Elemen- 
ten - immer denkt man irgendwo 
an bäuerliche llintcrglasmalerei. 
]awlensky's Gefährtin, Marianne 
von Werelkin (1860 bis 1938) ist 
die älteste Malerin der Gruppe; als 
Künstlerin zeigt sie sieh stark be- 
rührt von Munch, aber auch von 
den Präraffaeliten („Im Cafe", 1909). 
Ein eigenartiges Nachthlau ist der 
Grundton ihrer Arbeiten. Als Male- 
rin von spontaner. unintellektuellcr 
Kraft erweist sie sich in einem herr- 
lich rasch heruntergemalten "Selbst- 
porträt II" (1917). Jean Bloe 
Niestle (1884 bis 1942) stellte zwar 
1911 mit dem Blauen Reiter aus und 
galt als enger persönlicher Freund 
von Franz Marc, als Meister aber 
ist er einfach untragbar und undis- 
kutabel. Schade, daß man es nicht 
vermochte, seine anspruchsvollen 
Mübelbilder auszuschalten! 
I'nd nun Klee und Kubin: Beide 
sind auf der Ausstellung gut ver- 
treten, besonders Kubin kann mit 
noch nie gezeigten Arbeiten der 
Frühzeit aus dem Nachlaß beein- 
drucken. Obwohl die Verbindungen 
zum „Blauen Reiter" selbstverständ- 
lich als historische Fakten bestehen, 
gehören beide Meister in einem in- 
neren Sinn nicht zur Gruppe, die 
sich ansonsten bei aller Erkennbar- 
barkeit des Individuellen durch 
große Homogenität besonders der 
farblichen Erscheinung auszeichnet. 
Klee und Kubin entziehen sich vom 
Thematisehen wie vom Formalen 
jeglicher Einordnung und sind 
gleichsam erratischc Blöcke, die je- 
des Schema einer Kategorisierung 
sprengen. Deshalb wirkt die Aus- 
wahl ihrer Werke auch im Rahmen 
dieser Ausstellung wie ein Fremd- 
körper. - 
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