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Eincs haben diese beiden Meister
allerdings auch mit der Mehrheit
der „Blauen Reiter" gemein, näm-
lich den Drang zum literarischen
Ausdruck, den Hang zum Pädago-
gischen, zum Spintisieren und Spe-
kulieren, wobei aber auch hier wie-
derum Kubin als der einzige wirk-
liche Dichter und Klee als der ein-
zige wesentliche Erzieher angesehen
werden müssen.
Das Fazit der Ausstellung in kri-
tischer llinsicht: Kandinsky's Gi-
uululu, lVldlL, um... m. m... m. m...
eher überschätzt werden; die beiden
Damen (Münter und Wercfkin) er-
fahren in der Wiener Ausstellung
endlich die ihnen lang mißgönnte
richtige Bewertung. jawlensky und
Macke sind ausreichend und pro-
portionell richtig vertreten. Klee
und Kubin verdienen gesonderte
Präsentationen, Niestle hätte nicht
passieren dürfen. Auch bei Heinrich
Campendonck. dem Rheinländer,
hat man das Gefühl, daß er doch
kein Stern erster Ordnung ist und
seinen Platz höchstens an der Peri-
pherie des „Blauen Reiters" hat; in
ihm siegt vollends das Dekorative
über das Expressive.
Der „Blaue Reiter" als solcher ist
ein interessanter Sonderfall im Rah-
men der gesamteuropäischen Ent-
wicklung. Nur Kandinsky, Klee und
Kubin haben wirkliches Weltfor-
mat. Und daß der Münchner „Blaue
Reiter" erst jetzt in Wien eingezo-
gen ist, das immerhin einen Ko-
koschka und einen Schiele hervor-
hraehte, ist wohl in Anbetracht der
gänzlich verschiedenartigen Ten-
denzen in beiden Kunstmetropolen
nicht weiters erstaunlich.
Kühler hervorgehoben werden muß, der
als Förderer und Helfer von Franz Marc
in die Kunstgeschichte eingegangen ist.
Neben ihm sind als Leihgeber u.a. das
Kunsthistorische Museum, die Alber-
tina, die Neue Galerie der Stadt Linz,
die Galerie Alex llömel, Düsseldorf, die
Marianne-IWereIkin-Sliltung in Ascona,
Felix Klee, Bern, die Galerie Anne
Abels, Köln, Andreas ]awlenslzy und die
Städtische Galerie München, Gabriele-
MüntereStiftung zu nennen. Spiritus rec-
tor der Ausstellung ist Walter Kasten,
Direkter der Neuen Galerie der Stadt
Linz: daß sie realisiert werden konnte,
ist dem Bundesministerium für Unter-
richt und als dessen Exponenten Frau
Sekt-Rat Dr. Adele Kaindl zu verdanken.
Die Ausstellung wird ab 30. September
in Lin: gezeigt. Ihre Bedeutung liegt
in der Tatsache, daß sie last alle we-
sentlichen Mitglieder und Freunde des
„Blauen Reiters" zum ersten Mal ge-
schlossen naeh Österreich bringt. Sie
paßt sieh in organischer [Weise recht gut
dem allgemeinen, vmn Kulturamt der
Stadt Wien betriebenen Ausstellungspro-
gramm der letzten ]ahre an, das sich
bemüht, die Repräsentanten aller we-
sentlichen künstlerischen Strömungen
der Moderne in systematischer Abfolge
in Wien zu präsentieren.
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Ich war mir der Tatsache mit aller
Klarheit hewußt, daß dies ein wahr-
haft ohsleures Ende für einen Men-
schen war, der zwei Drittel seines
Lehens im alten Griechenland ver-
hracht hatte.
1947: Beim Kontakt mit der ameri-
kanischen Besatzungsmacht gelange
ich zum ersten Mal mit Rauschgift
in Berührung. Ich komme in den
Besitz von Marihuanazigaretteiz, die
einen positiven, medidativen Rausch
erzeugen, der, soweit ich mich er-
innere, damals keine erotischen Pro-
jektionen aufwies. Wichtig erscheint
mir, daß ich seit damals fast jede
Möglichkeit der Spaltung, d. h. des
(Jyiinens einer neuen Tür uvahre-
nehme, ohne dies zu forcieren.
1948: Ich kopiere im Kunsthisto-
rischen Museum das Bildnis der
Mutter Rembrandts und entdecke
an den vielschichtig hingestrichenen
Farben dieser prachtvollen Ellipse
des größten aller Maler die Lasur-
malerei und damit verbunden die
ungeheure Simplixität der sozusa-
gen „naturbelarxenef Primamale-
rei alx mlcber. Die Abneigung ge-
gen die reine Primamalerci, so sie
rieb nicht als gefärbte Graphik
ausweist, habe ich bis beute noch
nicht überwunden. Ich habe seit da-
mals viel aquarelliert, da ich glaube,
daß die [Waxserjarbe am leich-
iexten die Ungebeuerliehlaeit der
Farblauliur, die die Schiebien- bzw.
Lasurmalerei als xolcbe bewirkt, er-
kennen läßt.
1950: Wohl das einxcbneidendxte Ge-
schehen in meinem Leben: Ich lerne
die Grapbikerin Latte Profob: ken-
nen, die um diese Zeit Hörerin der
Akademie wurde. 1955 heirate ich
Lotte Projobs.
Leherbs „Biographie der Ereignisse"
endet sinnvollerweise mit dem Zeit-
punkt, da er durch die Begegnung
mit seiner Frau seinem Leben eine
echte Mitte geben kann. Das auf-
gestaute Übermaß an Erlebnissen
und Gcsichten beginnt sich nun
zu entladen, der Künstler in Leherb
setzt sie zu einem sehr spezifischen
Stil um, an dessen Entfaltung er mit
Konsequenz und Fleiß arbeitet. Sein
Schaffen kreist im Wesentlichen um
die Problematik der Begegnung der
Geschlechter. Die Faszinierung
durch die Frau ist bei ihm genau
so Grundthema wie etwa bei Schiele
oder Klimt. Leherb gestaltet nicht
prinzipiell Gebilde von gewollt ab-
strusem Charakter, er sägt keine
Madonna in Stücke wie etwa Dali,
bevölkert seine Welt nicht mit Un-
Gebildeten wie Tanguy und wächst
weit über die eisige Obszönität Ma-
grittes hinaus; das alte klassische
Raum-Kontinuum bleibt bei ihm -
wiederum im Gegensatz zu den or-
thodoxen Surrealisten - stets ge-
wahrt und das phantastische llle-
ment wächst aus der Wahrneh-
mungswelt der fünf Sinne sehr or-
ganisch, behutsam und kultiviert
(Klimt!) hervor. Auch ist Leherb
nicht zu den Satanisten zu rech-
nen, in seinem Welt- und Men-
schenbild ist immer noch eine tiefe
Sehnsucht nach humanistischen lde-
alen zu verspüren. Sogar Mitleid
und Nächstenliebe empfinden wir in
seinen Werken deutlich hinter den
unvermeidlichen Accessoires frivol-
ironischen Charakters, die zum mo-
dischen Gewand des psychischen
Realismus gehören.
(Kommentar: Dr. Ernst Köller)
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