DÜRERS REISE DURCH TIROL
OTTO R. v. LUTÜ
EROT
Zu den von einem seltenen Glanz erfüllten Frühwcrken
Albrecht Dürers gehören auch seine Landschaftsaqua-
rellc, dic der Künstler in Tirol geschaffen hat, als er
zum ersten Mal von Nürnberg nach Italien zog. Bald
nach seiner Rückkehr von der sogen. ledigen Wander-
schaft hatte der junge Albrecht Dürer in Nürnberg am
7. Juli 1494 Hochzeit mit Agnes Frey gehalten, nachdem
er ihr ein Jahr vorher wahrscheinlich von Straßburg
aus sein Selbstbildnis (heute Louvre) als Werhegnbe ge-
sandt hatte. Es ist das erste gemalte rein autonome
Selbstbildnis der europäischen Kunst und das älteste
eigentliche Künstlerportrat des Nordens. Und nun, im
Herbst 1494, machte sich der junge Ehemann Dürer
überraschend von neuem auf eine Reise, auf die Reise
nach dem Süden, nach Venedig. Man hätte erwarten kön-
nen, daß er, vom Oberrhein zurückgekehrt, der Voll-
ender des frühverstorbenen Martin Schongauer würde,
aber da geschah das Neue: er geriet unter den Eindruck
Italiens, die Wirkung Schongauers begegnete sich mit
der Mantegnas, deutsche Spätgotik mit italienischer Re-
naissance. Das ist das ewig denkwürdige und interes-
sante, immer wieder erregende Schauspiel, das sich uns
in der Entwicklung Dürers darbietet. Vieles hat Dürer
damals gesehen, was ihn mächtig erregt haben muß:
unsere Berge und Täler in Tirol, und dann Venedig und
seine Kunst. Noch 1506 in einem Brief an Pirckheimer,
auf der zweiten italienischen Reise, spricht Dürer von
einem großen Eindruck, den er 11 jahre früher in Ve-
nedig gehabt habe.
Der äußere Anlaß zu dieser plötzlichen Reise, die so
bald nach der Hochzeit wie eine Flucht anmutet, war
vielleicht, wie Ed. lilechsig dargelegt hat, eine jener
Seuchen, die verheerend in mittelalterlichen Städten wü-
teten. Man hat für den Herbst 1494 das große Sterben,
die Pest, in Nürnberg nachgewiesen, die am 1. September
1494 ausgebrochen war und bis Weihnachten 149-} viele
Opfer forderte. Merkwürdig, daß auch 1505, bei der zwei-
ten Reise Dürers, die Seuche wieder aufgetreten war. Zu-
gleich aber war diese Flucht die Erfüllung des 'l"r'aumes
Dürers vorn Süden, der immcr wieder in nie abrcißender
Folge von deutschen Künstlern geträumt worden ist.
Vielleicht nahm den Künstler einer der reichen Nürn-
berger Kaufleute, die in Geschäftsverbindung mit Vene-
dig standen und im Fondaeo dei Tedesehi ihre Nieder-
lassung hatten, nach Venedig mit. So eine Gelegenheit
könnte den Künstler auch zu der plötzlichen Abreise
bewogen haben. Wer weiß das? Wahrscheinlich reiste
Dürer nicht allein, oder wenigstens nur streckenweise.
Wahrscheinlich machte er auch nicht die ganze Reise
zu Fuß, sondern, wie es üblich war, zu Pferd.
Die gewöhnliche Straße von Nürnberg nach Venedig
ging damals über Augsburg, Oberammergau, Partenkir-
chen, Mittenwald, Seharnitz, Seefeld, Zirl nach lnns-
bruck, dann über den Brenner. Brixen, Klausen, Bozen,
Salurn nach Trient. Von da führte der Weg entweder
über Verona, Vicenza, Padua nach Venedig, oder man
bog lieber von Trient nach Osten ein in das Tal der
Brenta, die Val Sugana, und berührte die Orte Pergine,
Borgo, Bassano, Padua. Möglich, daß Dürer eine Pilger-
karte benütztc, wie sie um 14-85 in einem Holzschnitt
zu Nürnberg erschienen war, mit den eingezeichneten
Stationen „ . . . lspruck . . . Brenner . . . Brixen . . . Klausen
Pozen. . .'l'rient" usw. Auch von dem Kompaßmacher
Etzlaub war 1492 in Nürnberg eine Wiegekarte von Nürn-
berg nach Rom erschienen, die Dürer benützt haben
konnte.
Vielleicht ging Dürers Reise zunächst hastig wie eine
Flucht vor sich. Der „große Sterb" beschränkte sich ja
l Ansicht von Innsbruck, H94. Aquarell. Albertina, Wien.
2, 3 Hof der lnnsbrucket" Burg, 149i Aquarelle. Alberlina,
Wien.