OSKAR
LASKE
Zum 10. Todesiag am 30. November 1961
GUSTAV KÜNSTLER
Wenn ein Künstler nicht geradezu als Bahnbrecher einer neuen Rich-
tung auftritt oder durch irgendwelche Extravaganzen unlautere Sen-
sationen hervorruft, ist es heutigentags eher still um ihn. Oskar Laske
hat immer zu den „Stillen im Lande" gehört, zu einer nur kleinen Zahl
schöpferisch begabter Menschen, deren Kunst sich nicht aufdrängt, son-
dern aufgesucht werden muß. Während vierzig jahren der Malerei
auf Wiener Boden vermochte kaum einer so viel Freude zu geben wie
er. Trotzdem verschloß auch er nicht die Augen vor dem Zeitgeschehen,
und die Jahre des Ersten und des Zweiten Weltkrieges kommen bald
nach dem Anfang und vor dem Ende seiner Schaffenszeit zu liegen.
Schon 36 Jahre war Laske alt geworden, als er 1910 von dem erlernten
Beruf des Architekten hinüberwechselte zu dem sich ihm aus innerer
Notwendigkeit aufdrängenden des Malers und Graphikers, in welchem
er sein eigener Lehrer war. Den Grund für diesen radikalen Übergang.
wird man wohl darin erkennen müssen, daß Laskes Wesen einer künst-
lerischen Tätigkeit bedurfte, in der sich unmittelbar und unkompliziert
aussagen ließ, was er gesehen und crschaut hatte. In allen seinen Ar-
beiten, selbst in den vor der Natur entstandenen sehr zahlreichen Aqua-
rellen, ist verschieden stark etwas von inhaltlicher Mitteilung zu spüren;
am reinsten vielleicht in seinen Lithographien und Radierungen, einfach
weil da schon die Technik als solche von naturnahem Schildern ab-
drängt.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg, aber wahrscheinlich doch schon 1914-
hat Oskar Laske das Blatt „Gasse in Antwerpen" radiert. In der Auf-
gelockertheit des Strichs wie in der durch Strcupunkte erreichten teil-
weisen Tonigkeit wird mit Gestaltungsmitteln des Impressionismus,
wie solche auch hinsichtlich des Raumausschnitts wirksam sind, der
Eindruck des Momentanen und Zufälligen vorgetäuscht. In Wahrheit
handelt es sich aber um die Setzung von Bedeutungshaftem: um das
Dominieren der exotischen großen Frau, um die Abstufung zu der ihr
offenkundig Dienstbaren hin, um das „Fräulein", das gerade über den
Rinnstein mitten in der Gasse tänzelt, um die Spannung, die insgeheim
zwischen der l-Ieiligenfigur an der Hausmauer im Hintergrund und der
saugenden dunklen Toröffnung rechts vorne besteht. Der Herrin der
Gosse wächst satanische Dämonie zu. Mit völlig anderen Mitteln kommt
die während des Weltkrieges, wohl 19iS[16 entstandene und vom Er-
lebnis nahe dem Kriegsschauplatz angeregte Radierung „Pionierarbeit
an der Weichsel" zurecht. jede Illusion. einer Tiefenentfaltung der
Landschaft wird unterbunden durch das primitivisierende (ibereinandcr-
setzen von Vorder-, Mittel- und Hintergrund, die dcshalh gleichmäßig
durchschnitten werden von dem starren Lineament des Brückenbaues
und dem Figürchengcwtiscl der damit beschäftigten Soldaten. Außer-
mcnschlich marionettenhaft erscheint dieses Treiben und gleich weit
weg von den landläufigen Phrasen des lustigen wie des heldischen Sol-
datenlehens. So gut wie völlig verschwunden ist der Mensch in einem
anderen Kriegsbild des Künstlers, in der gegen Ende des Zweiten Welt-
krieges, 1944 geschaffenen Radierung „Der Wanderer". In einem mäch-
tigen Ausschnitt wölbt sich der Erdball schräg in den Weltenraum, und
auf der Erde, im Wasser lind in der Luft herrscht Krieg. Im einzelnen
ist dies in dem mehr oder weniger ornamentalen, dichten Liniengestrüpp
nicht deutlich zu sehen. Nur dort, wo der einsame Wanderer über den
Horizont heraufsteigt, von dem harten, die Dunstatmosphärc durch-
stoßcnden Scheinwerferlicht der Sonne dem Boden zugebeugt, wird
es erkennbar: Er vermag nur Reihen von Gräbern wahrzunehmen.
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