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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 53)

KIND 
MIT 
DEM 
VÖGLEIN 
 
wohl feierlichste Mariendarstellung, 
die in strenger Symmetrieachse 
komponierte Nikopoia, die Sieges- 
muttergottcs (Bild 1). Diese haben 
einige menschlich wärmere Seiten- 
stücke, wie: die Glykophylusa, 
ein Typus, in dem die Mutter ihr 
Haupt an die Wange des Kindes 
schmiegt, oder die Eleusa, jene 
Gruppe, in der das Kind die Mut- 
ter mit beiden Händen umhalstß 
Die im Orient seit dem 8. jahrhun- 
dert heimische „stillende Mutter" 
ist selbst noch in Taielbildern der 
Gotik eine Seltenheitß 
Nebendensitzendenwerdenstehende 
Mndonnen gerne in Frankreich am 
Kirchenportal meist gekrönt-ur- 
sprünglich als Königin der Engel -, 
aufgestellt. Dies war auch ursprüng- 
lich mit unserer Madonna in Riom 
der Fall} 
Seit der Verherrlichung der Gottes- 
mutter durch Bernhard von Clair- 
vaux hat sich die Marienverehrung 
auf die breitesten Kreise erweitert. 
Maria, die schon seit der Entwick- 
lung der Deösisdarstellung, wo 
sie als die Fürbitterin mit Jo- 
hannes dem Täufer beim 
jüngsten Gericht als Vermittlerin 
steht, wird auch deshalb in rasch 
zunehmendem Maße eines der 
machtvollsten Symbole der Hilfe, 
weil sich weithin die Vorstellung 
verbreitet hat, daß mit dem An- 
schauen von Madonnenbildern 
nicht nur Heilkraft empfangen, son- 
dern auch Glück im Kampfe ge- 
wonnen werde; allein schon deshalb, 
weil eine Jungfrau von den bösen 
Mächten gescheut wirdß 
Im Laufe der anwachsenden wie 
vertieften Verehrung der jungfräu- 
lichen Mutter entstehen besonders 
in der mystischen Periode in 
Deutschland und Frankreich (und 
selbst in England) neue, ergreifende 
Ausformungen von Sondergruppen 
der Andachtsbilder aus der neuge- 
wonnenen Lebensschau. Wir weisen 
auf: „Maria im Wochenbett" (Sankt 
Florian bei Linz), „Begegnung der 
(schwangeren) Frauen" (Türflügel, 
Irrsdorf, Salzburgyü „Mutter mit 
Kind am mystischen Rosenstrauch" 
(Straubing-München), „Vesperbild" 
(bis in unsere Kriegerdenkmäler 
nachwirkend) und „Schutzmantel- 
madonna" (noch um 1515 Gregor 
Erhart, Frauenstein, Oberösterreich) 
u. a. Erst jetzt wurden Otfrids zu- 
kunftsweisende Visionen von der 
darstellenden Kunst eingeholt, bzw. 
überwachsen. Ob wir unsere Gruppe 
in diese Reihe stellen können, wird 
unsere Untersuchung zeigen. 
Doch auch später ist die abendlän- 
dische Menschheit nicht müde ge- 
worden, den Antityp Evas immer 
wieder zu gestalten und manch 
edler Traum des Ewig-Weiblichen 
wurde so mit weithin gültiger 
Schönheit erfüllte Form, die nicht 
allein der Vermenschlichung der 
alten Typen entsprang. Auch die 
Darstellung des Mutterglückes an 
dem göttlichen, Mensch gewordenen 
Kind hält sich weithin durch die 
jahrhunderte. Ist es aber stets nur 
Glück was darstellenswert er- 
scheint? Das Kind ist ja Mensch 
geworden und menschliche Sorgen 
erfüllen nicht allein die Pieta. Zie- 
hen wir noch in unsere Betrachtung 
jenen Typ Marients, der mit ge- 
neigtem Kopf als Psychososlria] 
also als „Seclenretterin", wohl erst 
seit dem 13. jahrhundert auf- 
taucht. Und wenden wir uns von 
dieser Ausgangsbasis Älnscrem 
Thema, zuerst dem Kind mit dem 
Vogel in der lIand, zu. 
Hier wirkt sich das beispiellose 
Ereignis Franz v. Assisis aus. Durch 
sein Armutsideal wird aus dem 
imperator eoeli nun erst ein armes, 
frierendes, nacktes, allen Schutzes 
beraubtes Menschenkind. Erst jetzt 
kann es erdnah als kleines Kind ge- 
liebt, geherzt und geküßt werden. 
Beim „Kinderlwiegen" wird es un- 
ler Wiegenliedern, die Weihnachts- 
lieder sind, gebadet, getrocknet und 
bekleidet, an die Brust genommen, 
in die Wiege gelegt und geschaukelt, 
als wäre es kein steifes Holzpüpp- 
chen, sondern der lebendige Christ 
selbst. Das Kinderwiegen ist für die 
Benediktinerinnen Nonnbcrgs in 
Salzburg schon für die Zeit um 
1000 belegt. Aus den jahrzehn- 
ten nach 1300 stammt unser Christ- 
kind, ein hölzernes Figürchen, das 
von Wien an die Nonne Maria 
Ebner in Maria Medingen (bei Dil- 
lingen in Schwaben) gesandt wurde. 
Diese ist aus ihrem mystischen 
Briefwechsel mit Heinrich von 
Nördlingen bekannt und für die da- 
mals mögliche Vergeistigung des 
utrbewußt Sinnlichen in der Verbin- 
dung von Gebet und heißem Minne- 
leben. Das nach 1300 entstandene 
Christkind" gibtmit der Rechten den 
Segen und hält mit der Linken ein 
Vöglein, wohl ein Täubchen (Bild 2). 
Was heißt nun dieses Vöglein? 
Man hat zu seiner Erklärung die 
Sammlung kleiner Geschichten aus 
der Kindheit jesu, die apokryphen 
Kindheitserzählungen von Thomas 
dem Israeliten" herangezogen. Dort 
wird von dem fünfjährigen Jesus- 
knäblein erzählt, er habe aus einem 
schlammigen Lehmteig zwölf Spat- 
zen geformt. Von Josef zur Rede 
gestellt, daß er dies an einem Sabbat 
gemacht habe, klatschte er in die 
Hände und rief den Sperlingen zu: 
„Auf! Davon!" Aus diesem Bild liißt 
sich nicht mehr ablesen als die 
Kraft Wunder zu wirken: die Erde 
lebendig zu machen. 
Um dieselbe Zeit haben wir dann 
schon in Österreich eine Reihe von
	        
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