KIND
MIT
DEM
VÖGLEIN
wohl feierlichste Mariendarstellung,
die in strenger Symmetrieachse
komponierte Nikopoia, die Sieges-
muttergottcs (Bild 1). Diese haben
einige menschlich wärmere Seiten-
stücke, wie: die Glykophylusa,
ein Typus, in dem die Mutter ihr
Haupt an die Wange des Kindes
schmiegt, oder die Eleusa, jene
Gruppe, in der das Kind die Mut-
ter mit beiden Händen umhalstß
Die im Orient seit dem 8. jahrhun-
dert heimische „stillende Mutter"
ist selbst noch in Taielbildern der
Gotik eine Seltenheitß
Nebendensitzendenwerdenstehende
Mndonnen gerne in Frankreich am
Kirchenportal meist gekrönt-ur-
sprünglich als Königin der Engel -,
aufgestellt. Dies war auch ursprüng-
lich mit unserer Madonna in Riom
der Fall}
Seit der Verherrlichung der Gottes-
mutter durch Bernhard von Clair-
vaux hat sich die Marienverehrung
auf die breitesten Kreise erweitert.
Maria, die schon seit der Entwick-
lung der Deösisdarstellung, wo
sie als die Fürbitterin mit Jo-
hannes dem Täufer beim
jüngsten Gericht als Vermittlerin
steht, wird auch deshalb in rasch
zunehmendem Maße eines der
machtvollsten Symbole der Hilfe,
weil sich weithin die Vorstellung
verbreitet hat, daß mit dem An-
schauen von Madonnenbildern
nicht nur Heilkraft empfangen, son-
dern auch Glück im Kampfe ge-
wonnen werde; allein schon deshalb,
weil eine Jungfrau von den bösen
Mächten gescheut wirdß
Im Laufe der anwachsenden wie
vertieften Verehrung der jungfräu-
lichen Mutter entstehen besonders
in der mystischen Periode in
Deutschland und Frankreich (und
selbst in England) neue, ergreifende
Ausformungen von Sondergruppen
der Andachtsbilder aus der neuge-
wonnenen Lebensschau. Wir weisen
auf: „Maria im Wochenbett" (Sankt
Florian bei Linz), „Begegnung der
(schwangeren) Frauen" (Türflügel,
Irrsdorf, Salzburgyü „Mutter mit
Kind am mystischen Rosenstrauch"
(Straubing-München), „Vesperbild"
(bis in unsere Kriegerdenkmäler
nachwirkend) und „Schutzmantel-
madonna" (noch um 1515 Gregor
Erhart, Frauenstein, Oberösterreich)
u. a. Erst jetzt wurden Otfrids zu-
kunftsweisende Visionen von der
darstellenden Kunst eingeholt, bzw.
überwachsen. Ob wir unsere Gruppe
in diese Reihe stellen können, wird
unsere Untersuchung zeigen.
Doch auch später ist die abendlän-
dische Menschheit nicht müde ge-
worden, den Antityp Evas immer
wieder zu gestalten und manch
edler Traum des Ewig-Weiblichen
wurde so mit weithin gültiger
Schönheit erfüllte Form, die nicht
allein der Vermenschlichung der
alten Typen entsprang. Auch die
Darstellung des Mutterglückes an
dem göttlichen, Mensch gewordenen
Kind hält sich weithin durch die
jahrhunderte. Ist es aber stets nur
Glück was darstellenswert er-
scheint? Das Kind ist ja Mensch
geworden und menschliche Sorgen
erfüllen nicht allein die Pieta. Zie-
hen wir noch in unsere Betrachtung
jenen Typ Marients, der mit ge-
neigtem Kopf als Psychososlria]
also als „Seclenretterin", wohl erst
seit dem 13. jahrhundert auf-
taucht. Und wenden wir uns von
dieser Ausgangsbasis Älnscrem
Thema, zuerst dem Kind mit dem
Vogel in der lIand, zu.
Hier wirkt sich das beispiellose
Ereignis Franz v. Assisis aus. Durch
sein Armutsideal wird aus dem
imperator eoeli nun erst ein armes,
frierendes, nacktes, allen Schutzes
beraubtes Menschenkind. Erst jetzt
kann es erdnah als kleines Kind ge-
liebt, geherzt und geküßt werden.
Beim „Kinderlwiegen" wird es un-
ler Wiegenliedern, die Weihnachts-
lieder sind, gebadet, getrocknet und
bekleidet, an die Brust genommen,
in die Wiege gelegt und geschaukelt,
als wäre es kein steifes Holzpüpp-
chen, sondern der lebendige Christ
selbst. Das Kinderwiegen ist für die
Benediktinerinnen Nonnbcrgs in
Salzburg schon für die Zeit um
1000 belegt. Aus den jahrzehn-
ten nach 1300 stammt unser Christ-
kind, ein hölzernes Figürchen, das
von Wien an die Nonne Maria
Ebner in Maria Medingen (bei Dil-
lingen in Schwaben) gesandt wurde.
Diese ist aus ihrem mystischen
Briefwechsel mit Heinrich von
Nördlingen bekannt und für die da-
mals mögliche Vergeistigung des
utrbewußt Sinnlichen in der Verbin-
dung von Gebet und heißem Minne-
leben. Das nach 1300 entstandene
Christkind" gibtmit der Rechten den
Segen und hält mit der Linken ein
Vöglein, wohl ein Täubchen (Bild 2).
Was heißt nun dieses Vöglein?
Man hat zu seiner Erklärung die
Sammlung kleiner Geschichten aus
der Kindheit jesu, die apokryphen
Kindheitserzählungen von Thomas
dem Israeliten" herangezogen. Dort
wird von dem fünfjährigen Jesus-
knäblein erzählt, er habe aus einem
schlammigen Lehmteig zwölf Spat-
zen geformt. Von Josef zur Rede
gestellt, daß er dies an einem Sabbat
gemacht habe, klatschte er in die
Hände und rief den Sperlingen zu:
„Auf! Davon!" Aus diesem Bild liißt
sich nicht mehr ablesen als die
Kraft Wunder zu wirken: die Erde
lebendig zu machen.
Um dieselbe Zeit haben wir dann
schon in Österreich eine Reihe von