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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 53)

3 Gruppe von Riom, zweite Hälfte des 
14. Jahrhunderts, Frankreich. 
4 Admontcr Madonna, Anfang 14. jahr- 
hundert, joanncum, Graz. 
Plastiken und in England eine be- 
bilderte Handschriftßndie das v0- 
gerlhaltcnde Kind mit der Mutter 
verbinden. Unser Stück in Riom ist 
also außer Zweifel bei weitem nicht 
das älteste, ja für Frankreich eher 
eine der letzten, aber auch reiisten 
Schöpfungen dieser Gruppe. Sie ge- 
hört in den Kunstkreis des Jean von 
Bcrry und zeitlich in die zweite 
Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts 
(Bild 3). Sie ist von jener 
Schönheit erfüllt, die keineswegs 
die sinnlich faßbaren Werte der Er- 
scheinungswelt leugnet, zugleich je- 
doch dem Alltag durch künstlerische 
Aussage entrückt bleibt. Innere 
Ausdrucksempiindung verbindet 
sich gleicherweise mit der Idee des 
Künstlers, den wir nicht mit Namen 
kennen, wie mit der Forderung der 
Mystik. Der zauberhafte Schmelz 
eines sublimen Ausdruckes be- 
herrscht das Meisterwerk in Stein, 
das nun im Innern der Marthuret- 
Kirche steht und beschenkt den Be- 
sucher, auch wenn er sich über ihr 
Lächeln nicht ganz klar werden 
sollte. Ich war inzwischen einige- 
male wieder dort und habe viele um 
ihren Eindruck befragt, denn nur 
von hier aus kann man der Gruppe 
gerecht werden. Sie scheint ja nicht 
nur in Paris auf, sondern, um weni- 
ger bekannte zu nennen, in Sou- 
vigny, unweit Moulin oder im Lapi- 
dar des Toulouser Museums.11 Wäh- 
rend das Kind der Mutter das Vög- 
lein zeigt, das zu erhaschen ihm ge- 
lungen ist, begegnet sich auch hei- 
der Blick. Das Thema der „Blick- 
versenkung" wird zum eigentlichen 
Kriterium des künstlerischen Ran- 
ges wie der Absieht der Aussage. 
Nicht daß er etwa hier lyrischer 
wäre, etwa im Vergleich mit der 
Dramatik der Blickversenkung, wie 
sie (Ilaus Sluter in Champmols Kar- 
thause an der Begräbniskirche der 
Herzöge von Burgund bringt, es 
geht vielmehr darum, daß wir er- 
kennen, was ihr wissendes Lächeln 
meint. Unser Beispiel wechselseiti- 
ger, verstehender Blickversenkung 
ist mehr als eine Darstellung von 
Mutter und Kind in gemeinsamem 
Fühlen und der Gottesmutter im 
Mutterglück. Die Verklärung im 
Lächeln erwächst aus dem gemein- 
samen, geheimnisvollen Wissen um 
den Preis, der iür das „Vöglein" be- 
zahlt werden muß. Der Blick un- 
serer lieben Frau triiit sich mit dem 
des göttlichen Kindes. Er scheint zu 
sagen: „Du weißt ja, Mutuer, was 
mir bevorsteht." Und sic scheint 
ihm zuzulächeln: „Noch halte ich 
dich, mein Kind, mir geschehe nach 
dem Willen des Herrn." Solche Ver- 
haltcnheit der Aussage verlangt 
(von dem unbekannten Meister) eine 
ganz besonders verfeinerte Ober- 
flächenbehandlung, um im Lächeln 
den Ernst und das Wissen, um den 
kommenden Opiergang mitschwin- 
gen lassen zu können. Man hat das 
„innerliche Ausdrucksempfinden" 
ästhetisch gewertet, über die Moti- 
vierung dieses Lächelns hat man 
Ykein Wort verloren und doch bietet 
erst sie die Möglichkeit, das Ge- 
heimnis beider nun ohne heliendes 
Spruchband richtig zu verstehen. 
Ist man bei dieser Überlegung an- 
gelangt und liest man nun unter 
dieser Annahme die Bilder von Mut- 
ter und Kind, so ist man überrascht, 
wie breit der Raum der Ankündi- 
gung der Passion im Bereiche des 
Mutterglückes bzw. des Weihnachts-
	        
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