5 Sterzinger Madonna, 1. Hälfte des
14. Jahrhunderts, Peter und Paul-Kirche.
ß Heimsuchung, Pollingcr Meister 1439,
Kremsmünster.
Schwalbe, während Raffael den
Stieglitz noch in das 16. jahrhun-
dert weiter-trägt. Michele Giambo
läßt das jesuskind auf einen Stieg-
litz herabschauen." In München
(Alle Pinakothek) blickt auf der Ta-
fel eines Salzburger Meisters das
Kind mit ernstem Ausdruck auf den
Betrachter. In Nürnberg (Germ. Na-
tionalmuseum) haben wir allein bei
Burgkmair das Thema noch im
16. Jahrhundert zweimal, eberßo in
Toulouse ein italienisches Beispiel,
in Innsbruck bringt der Habsburger-
meister eine Erweiterung auf eine
Annaselbdritt, dort hält das Kind-
lein einen bläuliehgeliederten Vo-
gel in Händen. Eine Darstellung in
Spanien, im Dom zu Tudela, reicht
noch ins 17. Jahrhundert herauf.
Das Rheinland bietet uns in Aachen
ein Beispiel aus dem zweiten Vier-
tel des 15. Jahrhunderts. Burgundi-
sehe Beispiele weist der Louvre aul.
Eine Mainzer Gruppe spricht für
das 16. Jahrhundert, wobei das Kind
schon zwischen Vogel und Wein-
traube gestellt wird. Würzburg zeigt
die Gruppe plastisch in Alabaster
um 1380 - ohne Blickversenkung.
Auch in den böhmischen Kunst-
bereich dringt das Thema um 1400
ein. Erwähnen wir noch den Meister
von llallgarten (Frankfurt a. Main)
und erinnern wir an das herrliche
Stück französischer Provenienz im
Louvre, so ergibt sich ein Überblick
last über das gesamte römische
Christentum.
Bevor wir auf den „Stieglitz" ein-
gehen, wollen wir dem Weintrau-
benthema noch die ihm gebührende
Beachtung schenken. Das Kind mit
Apfel und Birne hat zweifellos eine
größere Verbreitung erlangt, als das
Kind mit dem Vogel. Man hat dabei
vom „Entwöhnungsmotiv" gespro-
chen. Richtiger wäre es schon, vom
Apfel der neuen Eva zu sprechen.
Das Weintraubensymbol stellt außer
Zweifel neuerlich eine Verbindung
mit dem mystischen Kelterthema
und damitmit der Passion herf"
Aus unserem vorgelegten Material,
das wir auswahlweise bringen, geht
hervor, daß das hohe geistige Bild
der mystischen Schau nur kurz ge-
währt hat und daß die bürgerlich-
bäuerliche Frömmigkeit der späte-
ren Gotik in Bayern wie in Italien
den Stieglitz besonders in den Vor-
dergrund stellt. Nicht nur wegen
seiner schönen Farben, sondern weil
man in diesem Vogel nun nicht
mehr die zu erlösende Seele ver-
steht, sondern nun ein Bild für das
Christkind selbst, „weil er sich so
bescheiden von Disteln nährt, und
doch so schön singnm Erst von die-
ser Voraussetzung aus läßt sich eine
Tafel (Bild 6), wie die des Pollin-
ger Meisters in der Marienkapelle
Kremsmünster richtig verstehen.
Wir sehen Maria und Elisabeth bei
ihrem Gang übers Gebirge zwischen
romantischem Gefelse und zwischen
ihnen einen übergroßen Stieglitz
sitzen, der uns sagt, daß Jesus da
ist, wenn auch nur durch ihn, den
stellvertretenden Stieglitz, sichtbar.
Auf der bekannten Tafel des Schot-
tenmeisters begegnet uns neuerlich
ein sitzender Distelfink, er unter-
streicht symbolisch die Anwesenheit
Christi bei der Flucht? Dort und
da sehen wir auch drei Vögel -
sind es Schwalben, haben wir sie als
Marienvögcl zu verstehen, so wie
sie einst Freya begleiteten. Wir cr-
innern an die Epiphanie Pfennings
in Amsterdamßa Auf der reizvol-
len Geburtsszene, die von Krems-
münster nach Wien kam und um
1410 entstanden sein mag, finden
wir Vögel, ebenso bei Reichlichs
Epiphanie in der Wiltener Stifuskir-
che,9' desgleichen bei Jakob Sunters
Dreikönigsszene im Wiener Kunst-
historischen Museumß
Bei der „Flucht" von Baldung Grien
(Akademie Wien) wechseln Vogel
und Vogelnest in ein anderes Bedeu-
tungsfeld. Hier haben sie die Auf-
gabe, das sichere Nest, das den Pa-
radiesesfriedenderHeimstattsymbo-
lisiert, mit der Not der Flüchtlinge
zu kontrastieren; hier wird auch
für Wasser und Nahrung auf wun-
derbare Weise gesorgt. Wenn, wie
bei der Kremsmünsterer Weihnacht.
auch über dem Dach fliegende Vö-
gel gezeigt werden, so sind sie im
Sinne des Mittelalters ein Hinweis
für die Entsündung der Menschheit
und so im Weihnachtsbild mehr als
idyllisches Beiwerk naiver Erzähl-
kunst!
Der Stieglitz hat sich auch im Lied-
gut niedergeschlagen."
Und hat sich der Vogel nicht auch
schon vor der Gotik, insbesondere
ihrer mystischen Strömung, ange-
boten? Darauf gibt uns die alte Ma-
rienkirche in Alatri Antwort, denn
dort sehen wir - kommen wir viel-
leicht auch nur hin, um die Pal-
laskermauern zu besuchen - eine
für unsere Untersuchung bedeu-
tungsvolle Nicopoia, die der Le-
gende nach aus Byzanz kam. Das
Kind trägt im Sinne der imperator
coeli-Vorstellung in der Linken die
Gesetzesrolle wie üblich, auf der
Rechten jedoch einen Falken. Nach
allem, was wir gehört haben, kann
in der feudalistischen, vorfranzis-
zäischen Zeit kein Singvögelehen
mit dem thronenden Gotteskind ver-