Kirchenkörper so auffallend gelöste Stellung erge-
ben: die nahezu unaufhörliche pyramidale, im voraus
auf die Abschlußspitze berechnete Verjüngung. Bis
zum harten, waagrechten Gesimse über dem Glocken-
hause sind die im Winkel von 900 an die Turmkanten
versetzten Eckstrebenpaare Träger dieses steten,
durch furtwährendes Zurücktreppen und Einschalten
von Baldachinen bewerkstelligten Abbaus der Masse,
wogegen die mit Paneelwerk aufgelockerten Füll-
mauern, die eigentlichen Turmwände, nur bei den
geschoßteilenden Gesimsen, am stärksten hinter dem
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Dreiecksgiebel leicht zurücktreten. Gleich über dem
Gesimsabschluß der Glockenstube löst sich die fast
zur Gänze aufgebrauchte Masse der Eckstrebenpaare
in Baldachine auf, die darüber noch vorhandene
Strebenmasse verklingt mit Kreuzblumen und er-
scheint gerade an jenem Punkte restlos aufgezehrt,
wo sich der Übergang vom vierkantigen Turmkörper
zum achtkantigen Gebilde des mittleren Turm-
abschnitts vollzieht. Über dem Gesimsabschluß der
(ilockenstube sitzen Verschränkte dreieckige Doppel-
giebel auf, die das Motiv des darunter eingeführten
großen Maßwerkdreiecks wieder aufgreifen. Durch
das Dreiecksgiebelpaar und das Hinüberwachsen der
Strebenreste über das Gesimse des Glockenhauses
wird T urmunterbau und Mittelteil offensichtlich ver-
klammert. Auch helfen die Doppelgiebel, neben
deren oberstem Schenkelteil der durch einen Balda-
chin geschickt maskierte Übergang vom viereckigen
zum achteckigen Turmkörper vollzogen wird, diesen
Vorgang glücklich zu verschleiern. Der nun acht-
seitig gewordene Mittelteil des Turmes wird von
gesondert hochgeführten Riesenüalen begleitet, wel-
che über den vier Kanten des Turmunterbaus auf-
wachsen. Diese Eckfialen und die Kantenverstärkung
des achtseitigen Turmgeschosses sind grundsätzlich
einheitlich behandelt, wodurch der Aufriß des mitt-
leren T urmabschnittes durch vier parallel zur Höhe
schießende, sich selbst wieder durch fortwährenden
Abbau der Steinrnasse verjüngende Bauglieder ge-
prägt wird. Das lanzettlich gestaltete Fenster des
achteckigen Turmkörpers vermag nur mehr zwei-
geteilt zu werden, steigt zwischen den Schenkeln der
Doppelgiebel empor und wird von einem Wimperg
bekrönt, über dessen Kreuzblume die Ansatzstelle
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des Helms erreicht ist. Die Galerie an seinem Fuße
wird durch eine durchbrochene Maßwerkbrüstung
verhüllt, und nur die darunter vorstürzenden zwiälf
Wasserspeier verraten, daß von dort ab der Turm-
körper offen ist. Über den Gang rings um den Helm-
ansatz schießt ein Wald von zwanzig Fialenspitzen
hoch, zu dem sich noch acht weitere Fialen gesellen,
die zwischen den Dreiecksgiebeln des Helmfußes
stehen. Der Stil des achteckigen Helms verrät eine
andere Hand: schon die Wlimperge an seinem unteren
Beginn sind mit Fischblasenrnnßwerk gefüllt, der
steile, fast senkrechte Aufstieg der acht Rippen und
das zweimalige Aufzucken weiterer Giebelkt-anze
mit Fialen kann keineswegs dem Urentwurf des aus-
gehenden 14. Jahrhunderts, aber auch nicht der Hand
Peters von Prachatitz angehören. Wahrscheinlich hat
Hans von Prachatitz für den Helm einen eigenen
Plan entwickelt, der mit seinem zackigen Kontur
bereits eine spätere Stilstufe der Gotik, den „Knittcr-
stil" vorwegnimmt, doch die große Einheitlichkeit
des gesamten Aufbaus nicht empfindlich stört. Das
kostbarste Stück des Turmes bleibt der unter der
Leitung Peters von Prachatitz aufgewachsene Mittel-
teil, dessen geschmeidige Verschleifungen und sanf-
te Übergänge die offensichtlichen baukünstlerischen
Entsprechungen des „W'eichen" Stils sind, für dessen
Begriffsformulierung ursprünglich die Erscheinungen
der gleichzeitigen Plastik und Malerei gedient hatten.
Mit seinen vorhin geschilderten Eigenheiten steht
der Hochturm von St. Stephan völlig allein da: die
deutschen Riesentürme von Freiburg und Straßburg
kennen die Verschleifung der Übergänge von Sockel-
geschoß, Mittelbau und Helm nicht, wirken aber
durch ihre luftige Auflösung weitaus filigraner als
s iuii des WCSIfCHSICXS von St. Stc-
niinn in Wien. Aus LlClH i-ininit-inv
der Wiener Bällhllllvt, Nr. 10.998.
Akademie der bildenden Kunste.
Wien
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