1 Der (ioldpokul der Könige von
Frankreich und England. Paris,
um 1380
Seit 1892 ist der Goldpokal der Könige von Frank-
reich und England einer der vornehmsten Schätze
des British Museum (Abb. 1). In diesem Jahr wurde
er mit Hilfe des Finanzministeriums und groß-
herzigen Beiträgen einer großen Zahl von Wohl-
tätern des Museums gekauft, zu denen auch Sir
A. KW. Franks, der damalige Leiter der Abteilung
für britische und mittelalterliche Antiquitäten, und
Mr. S. XWertheimer, der Händler, der den Pokal von
dem Sammler Baron Pichon in Paris erworben
und nach England gebracht hatte, gehörtenl). Der
Pokal ist nicht nur ein glanzvolles und einzigartiges
Relikt der phantastisch reichen Kultur an den Höfen
von England und Burgund in der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts, sondern auch ein bemerkens-
wertes historisches Dokument, dessen Geschichte
fast lückenlos durch die Jahrhunderte zurückverfolgt
werden kann. Als der Pokal 1883 von Simon Campo,
einem spanischen Geistlichen, nach Paris gebracht
wurde, um Geldmittel für den damaligen Besitzer,
das Kloster Santa Clara in Medina de Pomar bei
Burgos in Spanien, aufzutreiben, erregte sein plötz-
liches Auftauchen zunächst nichts als Mißtrauen.
Doch war Baron Pichon in der Lage, den ersten
Teil der Geschichte des Stückes nachzuweisen, indem
er erkannte, daß der Goldring, der eindeutig aus
späterer Zeit stammte als die übrigen Teile des
Pokales und in den oberen Teil des Schaftes eingefügt
war, eine emaillierte lnschrift trug, die sich auf den
1604 erfolgten Friedensschluß zwischen Philipp Ill.
von Spanien und Jakob I. von England bezogl).
Der Pokal war damals dem Chef der spanischen
Gesandtschaft in England, Juan de Velasco, Konne-
tabel von Kastilien und Herzog von Frias, anläßlich
seiner Abreise vom englischen König geschenkt
worden. 1610 übergab Juan de Velasco den Pokal
dem Kloster von Santa Clara.
Später war es möglich, die Geschichte des Pokales
durch die Inventare der Kronjuwelen bis in die Zeit
von Königin Elisabeth I. und König Heinrich VIII.
zuriickzuverfolgen. Während der Regierungszeit des
letzteren muß der zweite, später entstandene Ring
mit emaillierten Tudor-Rosen dem Schaft beigefügt
worden sein. Das Inventar von 1521 beweist den
Ersatz der originalen Bekrönung durch eine „Kaiser-
krone" wohl knapp vor diesem Zeitpunkt. Daß der
Pokal schon vor dieser Zeit im Besitz der englischen
Krone war, wird durch Dokumente belegt, die
beweisen, daß er mit anderen Kostbarkeiten im
Jahre 1449 versetzt wurde, um Geld für die Ver-
teidigung der Normandie beizubringen. 1434 war et
im Besitz des Regenten von Frankreich und England,
des Herzogs John von Bedford, der ihn von Frank-
reich an seinen Agenten R. Whitingham nach London
schickte. 1435, nach dem Tode des Herzogs, ging
der Pokal an seinen Erben, den jungen Heinrich Vl.
von England, über. Schließlich wurde auch die
älteste Aufzeichnung und seine ausführliche Be-
schreibung im Inventar König Karls VI. von Frank-
reich entdeckt. Der Herzog von Bedford hatte in
seiner Stellung als Regent den Pokal ohne Zweifel
für Heinrich VI., den rechtlichen Erben Karls Vl.
nach dem Tode des französischen Königs und seines
Vaters, Heinrich V., im gleichen Jahr 1422 emp-
fangen. Die Beschreibung im Inventar Karls VI.
lautet folgendermaßen:
„Erstens ein GefäSS („hanap") aus Gold, sein ganzer
Deckel gut und reich emailliert an der Aussenseite
mit dem Leben von Madatne, der hl. Agnes; und die
Bekrönung des Fusses ist geziertmitsechsundzwanzig
Perlen; und die Krone rund um den Deckel mit
sechsunddreissig Perlen; und die Bekrönung des
genannten Deckels (ist) geschmückt mit vier Saphiren,
drei Spinell-Rubine und fünfzehn Perlen. Und es
wiegt neun Mark und drei Unzen Gold. Und das
genannte Gefäss ruht auf einem Sockel aus Gold in
Form eines Dreifusses, und in der Mitte des Drei-
fusses ist Unsere liebe Frau in einer Sonne auf
leuchtend rotem Grund dargestellt, und die drei
Füsse des Dreifusses werden von drei geflügelten
Drachen gebildet. Genanntes Gefäss samt Deckel
wurden dem König vom Herrn llerzog von Berry bei
seiner Reise in die Touraine im Jahre 91 geschenkt"3).
Der Pokal war demnach für Jean de France, Herzog
von Berry, Onkel Karls VI. und großer Förderer der
Künste, hergestellt worden, dessen fabelhafte Reich-
tümer uns durch Inventare bekannt sind, die noch
existieren.
Aus der Beschreibung des Pokals können wir auch
schließen, wie die originale Bekrönung ausgesehen
hatte, die vor 1521 ersetzt worden war. Außerdem
erfahren wir auch, daß der Pokal auf einem reich
gezierten Dreifuß stand, der unserem Stück größere
Höhe und mehr Glanz verlieh. Es ist ein wahres
Unglück, daß der Pokal nicht nur seine Bekrönung
und seinen Perlenbesatz um den Deckel, sondern
auch den grandiosen Dreifuß verloren hat. Über
diese bedauerlichen Verluste hinaus hat der Pokal
eine Veränderung seiner Proportionen durch die
Hinzufügung der beiden Ringe am Schaft im 16. und
17. Jahrhundert erfahren. Doch ergibt eine Unter-
suchung des Pokales, daß zumindest ein originaler
Knauf zwischen dem bestehenden Fuß und seinem
Dekor mit den Evangelisten-Symbolen und der
Kuppa eingepaßt gewesen sein muß. Die vier Nieten,
die den Fuß an der Stelle, wo der Tudor-Ring
aufsitzt, festhalten, sind von grober handwerklicher
Ausführung und gehören zweifellos der Entstehungs-
zeit des Ringes an. Das ziemlich schmale Reifchen
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