DIE ANDERE
MÖGLICHKEIT:
GEORG EHRLICH
Die Österreichische Galerie hatte erfahren, daß im Herbst 1961 in den kleinen Städten Marl und Lünen in Westfalen mit Hilfe
einer Kölner Privatgalerie Ausstellungen von Bronzen Georg Ehrlichs veranstaltet worden waren. Man beschloß, dem Bei-
spiel dieser gänzlich außerhalb des österreichischen Gesichtskreises gelegenen Orte zu folgen. übernahm die dort gezeigten
Werke. ergänzte sie durch Leihgaben des Künstlers und Wiener Bestände und brachte so in der Akademie am Schillerplatz
eine der Breite und Tiefe nach sehr repräsentative Überschou auf das Oeuvre des 7 seien wir ehrlich i in Österreich schon
fast Vergessenen zusammen. Ehrlich wurde 1897 geboren. studierte bei Strnad an der Kunstgewerbeschule. war Offizier im
ersten Weltkrieg. betätigte sich nachher als Zeichner und Radierer. mußte bittere Notzeiten durchstehen. lebte von 1919 bis
1923 zunächst in München. dann in Berlin und begann erst 1926, sich als Bildhauer zu betätigen. Damit setzten auch die großen
Erfolge ein. Auf den Biennalen in Venedig war er als Repräsentant Österreichs 1932, 1934 und 1936 und - zur Ehre unseres
Vaterlandes sei es gesagt ä auch 1958 vertreten. 1937 emigrierte er nach England, konnte sich rasch durchsetzen und steht
nun in vorderster Reihe der nicht eben zahlreichen erwähnenswerten Bildhauer dieses Landes. Man kann ihn ohne Über-
treibung hinsichtlich seiner Berühmtheit im Vereinigten Königreich getrost in einem Atemzug mit Henry Moore nennen.
Nun. da wir ihn neuerlich in Wien kennenlernen 7 und die Begegnung mit ihm ist tatsächlich fast ein Neuanfang unserer-
seits -. reizt naturgemäß eine Gegenüberstellung mit Moore. den wir unlängst an gleicher Stelle und in ähnlicher Fülle er-
leben konnten. Gehört Moore zu den "anwendenden Theoretikern" der Bildhauerei. denen es u, a. darauf ankommt. rein
prinzipielle Fragen des Metiers. wie etwa das Verhältnis von Struktur und Schale, von Masse und Energie. aber auch von
Form und lnhalt zu gestalten. produziert Moore in diesem Zeichen gleichsam Wesen einer rein bildhauerischen, anderen
Welt mit autonomer Realitätsebene. wobei ihm im Ausdruckhaften das Archaiisch-Monströrse. Kataklysmische eher passiert.
als daß er es beabsichtigt, so ist bei Ehrlich alles ehrlich. eindeutig. einfach und klar. Er ist im besten Sinn des Wortes ein
empfindsames. lyrisches, träumerisches Naturell. das sich nicht schämt. seine Schöpfungen zum Träger seiner Gefühle zu
machen. Und es handelt sich um Gefühle. die jeder versteht. ehrt und achtet. bei denen niemand auch nur zu zweifeln wagt.
daß sie unmittelbar aus dem Herzen kommen und zum Herz sprechen. Deswegen ist es nicht möglich, Ehrlichs Kunst zu
_.platonisieren". wie man das heute gerade bei den abstrahierenden, destillierenden und konzentrierenden Bildhauern ü
la Wotruba, Avramidis oder Urteil machen muß: bei Ehrlich ist alles so verständlich. daß es fast nichts zu verstehen gibt,
Als Zeichner ("Porträt Erika Tietze-Conrath") erweist er sich als Wahrer des Erbes eines Chardin oder Graff, in den zahl-
losen Darstellungen von Kindern. besonders Knaben. geht er Wege. die an die Bemühungen von Georges Minne oder Lehm-
bruck gemahnen. Bei den feinsinnigen Porträts mag man an Despiau denken (.,ltalienischer Knabenkopf"), in der Auffassung
des Tieres dürfte er selbst als einzigartig in seinen Lösungen dastehen. Alle Vergleiche. alles Abmessen seines Werkes an dem
seiner Zeitgenossen darf jedoch nie am Erkennen des Ureigensten. eben des Poetischen im schönsten Sinne. vorbeigehen.
Die Kunst Ehrlichs ist uns in Wien. der Stadt des ,.totaIen Steinmetzen" Wotruba und des ebenso totalen wie besessenen ,.Erz-
gießers mit dem Schneidbrenner" Hoflehner. ein wenig fremd geworden. Es sollte gelingen. den Künstler zur Rückkehr in
die Heimat zu bewegen - er hätte in dieser Stadt eine große Aufgabe als Mittler zwischen Mensch und künstlerischer
Gestaltung zu erfüllen. Ernst Köller
Georg Ehrlich, Kleiner Faun mi! Gans, Plusiik, und Porlrük von Erika Tießze-Conrmh. rule Kreide