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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 56 und 57)

2 Chor und Qucrlnus, Slifixkirrhc 
Zwcul. N13. 
3 (Iboralnitht der Kirche in Dcillsrll- 
Altenburg, N0. 
4 Spinncrh um Kreuz. Wiener Neu- 
slatli. N0. 
er mit dem Hinweis auf den schon längst fertig- 
gestellten Turmriesen zu Freiburg und die gleichfalls 
noch dem hohen 14. Jahrhundert angehörenden 
mächtigen Turmunterbauten in Straßburg. Gerade 
in der Heranziehung der „Turmfachleute" aus Prag, 
Peter von Prachatitz und Wenzel Parler, erblickt 
Donin den Mißgriif; ihre Tätigkeit wird die Kata- 
strophe herbeigeführt haben. Daraus resultiert jedoch, 
daß der ursprüngliche Turmplan, den Tietze Peter 
von Prachatitz, Kletzl Wenzel Parler geben mochten, 
nur vom „herzoglichen Baumeister" Michael Knab 
stammen konnte. 
Eine Art „Gleichenfeier" am 25. Juni 1407 23) dürfte 
die Voraussetzungen für den neuerlichen Viiieder- 
aufbau gegeben haben. Das Werk schoß nun rasch 
empor: 1416 mag, wie eine Baubeschau bezeugen 
könnte 24), das Glockengeschoß fertig gewesen sein, 
1422 könnte ein für Meister Peter veranstaltetes 
Festessen den Hinweis geben, daß die Turmhöhe bis 
zum Helmansatz gediehen sein dürfte 25). 
Die Hauptlast der gesamten Arbeit trug Peter von 
Prachatitz, der bis zum Abschluß des (llockenhauses 
vielleicht mit der Verpflichtung gebunden war, die 
bis zu diesem Bauabschnitt ziemlich detaillierten 
Vorlagen Michael Knabs zu benützen. Das Glocken- 
geschoß endigt mit einem kräftigen (iesims, eigent- 
lich der einzigen wirklich fühlbaren Waagrechten im 
gesamten Turmaufriß. Darüber wird alles Detail 
reicher, üppiger und kleinteiliger, der Turmkörper 
ist mit minutiösem Steinmetzwerk übersät. Hier 
erst dürfte, wie Zykan wohl mit Recht vermutet 16), 
das Schöpferische der Persönlichkeit Peters von 
Prachatitz voll zur Entfaltung kommen. Erinnerun- 
gen aus der Tätigkeit am Veitsdom zu Prag, der ja 
als Werk des Mathias von Arras von Anbeginn als 
eine in fremdes Land verpflanzte rein französische 
Kathedrale eine gegenüber St. Stephan in Wien 
reichere tektonische und ornamentalc Durchbildung 
erforderlich gemacht hatte, aber auch bei der Über- 
siedlung nach Wien mitgeführtes Planmaterial aus 
Prag 7 Zykan datiert z. B. die Pergamentzeichnung 
mit zwei Aufrißdetails des Domturms von Prag in 
das Ende des 14. Jahrhunderts 17) i dürften Meister 
Peter instand gesetzt haben, die ganze Fülle seines 
Ideenreichtums über den Mittelteil des Stephans- 
turmes auszugieiien. Die Arbeit des Meisters in der 
Hütte bestand ia zum Großteil darin, aus dem 
Gesamtplan die Einzelheiten in der erforderlichen 
Größe herauszuzeichnen. Nun konnte aber der Ur- 
plan unmöglich alle nebensächlichen Details ent- 
halten, so daß die tägliche zeichnerische Tätigkeit 
des Hüttenmeisters immer wieder neuem 
schöpferisch im Erfinden neuer Ziergestalten werden 
mußte 23). Auf diesen Bauabschnitt wird daher auch 
bezogen werden müssen, was Ebendorfer mitteilt: 
die Gestehungskosten waren für keinen behauenen 
Stein geringer als ein Dukaten oder ein ungarischer 
(iulden Z9). Wenn sich Ebendorfer für diese Angabe 
auf Außerungen des Kirchmeisters Johannes Kauff- 
mann beruft, der 14l6[17 gestorben ist, könnte dies 
wohl einen lirinnerungsfehler als Ursache haben: 
libendorfer schrieb seine Chronik ungefähr 35 Jahre 
nach den von ihm geschilderten Ereignissen! Nicht 
näher bezeichnete Arbeiten anderer Art - etwa die 
Abtragung der alten Basilika oder die Aufführung 
dcr Westfassade mit dem großen Stirnfenster, dessen 
Vorzeichnung sich erhalten hatlß) w führten am 
7. Juni 1422 zu einer Einschränkung und am 3. Ok- 
tober zur viälligen Stillegung der Steinmetzarbeit in 
der Hütte. Am S. Februar 1429 starb Peter von 
Prachatitz, der mit Jahresbeginn die Arbeit am Hoch- 
von 
4 
turmc wieder aufgenommen hatte. Der ehemalige 
Parlier Hans von Prachatitz stieg zum Hüttenmeister 
auf. Unter seiner Leitung wurde die Errichtung des 
Steinhelms besonders intensiv betrieben-W). Ende 
1430 wurde das Baugerüst (wohl der unteren Turm- 
partien) zum Teil abgetragen: das Werk hat sich 
damals zum ersten Male in seiner ganzen Pracht 
repräsentiert. Mit der Aufsetzung der Kreuzrose 
am 30. September 1433 vermochte Hans von Pra- 
chatitz das stolze Werk zu beschließen 31). 
Der Hochturm von St. Stephan, das unbestrittene 
Hauptwerk der gotischen Architektur Österreichs, 
hat durch seine seitliche Stellung nur einen sehr 
lockeren Zusammenhang mit dem eigentlichen 
Kirchenkiärper. Dennoch, oder gerade deswegen, 
verrät er durch zahlreiche formale Erscheinungen 
das Bestreben seiner hieister, ihn mit dem Chore (zu 
dem er ja eigentlich gehört), aber auch mit dem 
Langhause enger zusammenzubinden. So urnfangt 
der Blattwerkfries der 'l'rauflinie des (Ihores den 
gesamten Turmkörper und wird über das Langhaus 
weitergeführt. Die Doppelfenster des Turmerd- 
geschosses scheinen wieder den Fensterpaaren der 
Herzogskapelle zu antworten. Schließlich hat Peter 
(oder Hans?) von Prachatitz das Motiv des großen, 
das Glockengeschoß „verschleiernden" Dreiecks- 
giebels für den baulichen Abschluß der Langhaus- 
mauern übernommen und einen dieser Giebel, den 
sogenannten „Friedrichsgieber über dem Singerture, 
auch mit seinem Maßwerkvorhang versehen (1430). 
Durch diese Elemente wird der Hochturm trotz 
seiner isolierten Aufstellung fühlbar mit dem Kir- 
chenbau verknüpft. Die zweite Eigenschaft des 
„Stephansturrnes" konnte sich nur durch seine vom 
7
	        
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