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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 58 und 59)

Zwischen Salzburg und Reichen- 
hall, von der Landeshauptstadt 
nicht sehr weit entfernt, liegt 
am Rande der Gebirgsschwelle 
der Ort Großgmain. Seine Pfarr- 
kirche, eine spätgotische, ab 1731 
barockisierte Schöpfungl), ent- 
hält Reste des berühmten spät- 
gotischen Hochaltars von 1499 
und im Hauptgeschoß des barok- 
ken - 1739 entstandenen i 
Hochaltars eine Gußstein-Madon- 
na des Weichen Stils, die uns hier 
näher beschäftigen soll. 
Die Zlilarlonna van Grrßgmainl) ist 
ein ungewöhnliches Werk für 
den nicht nur im Material, son- 
dern auch stilistisch im wesent- 
lichen zusammengehörigen Kreis 
der Gußstein-Madonnen3). Sie ist 
(nach Springer) 140 cm hoch, 
ca. 45 cm breit und ca. 34 cm 
tief. Die Madonna steht in leichter 
S-Kurve und trägt das halb sit- 
zende, halb liegende Kind über 
ihrer linken Körperseite (vom 
Beschauer aus: rechts)4). Beklei- 
det ist sie mit einem langen Ge- 
wand, einem vor dem Leib leicht 
geschützten Mantel (der mit dem 
Saum etwas unter Kniehöhe ab- 
schließt) sowie einem Kopftuch; 
sie trägt (seit 1871) eine glatte 
Krone mit runden Zapfenauf- 
Sätzen. Wie es bei den „Schönen 
Madonnen" üblich ist, steht sie auf 
einer rechteckigen, an den vor- 
deren Ecken stark abgeschrägten 
Standplatte, die jedoch in diesem 
Fall um eine schmalere, aber 
weiter ausladende zweite Stand- 
platte verstärkt worden ist. 
Das linke Bein der Madonna ist 
ihr Standbein, das rechte ihr 
Spielbein (wie beim Krumauer 
Typus der Schönen Madonnen). 
Der Mantel wird durch den 
rechten Arm Mariens hochge- 
nommen; die breite Mantelpartie, 
die sich von dorther über den 
Leib zieht, wird (mit bereits 
umgeschlagenem Saum) vom lin- 
ken Arm der Mutter, mit dem 
sie das Kind an der Brust hält, 
fest an die Hüfte geklemmt. 
Daneben fällt der andere (vom 
Beschauer aus: rechte) Mantelteil 
fast senkrecht herab. Über der 
Brust wird der Mantel von einer 
verhältnismäßig kleinen Agraife 
zusammengehalten. Er ist recht 
stoi-freich gegeben und hängt da- 
durch links über den Arm der 
Figur stark, besonders mit einer 
kräftigen seitlichen Schiisselfalte, 
über. Das Saumspiel des links 
vom Arm hochgenommenen Man- 
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telteiles entwickelt sich in großen, 
nur näherungsweise parallelen 
Schwüngen und ist stark an die 
Figur herangeklappt. Gegen die 
übliche Art kräftig abstehender, 
wie mit Luft gefüllter Röhren- 
falten hebt sich diese Formung 
stark ab. Naturalistisch ließe sie 
sich durch den Gegensatz eines 
dünnen weichen Stoffes zu einem 
dickeren und schwereren bei ande- 
ren Figuren erklären. 
lndem der Mantel links durch 
den Arm hochgezogen, rechts 
durch den andern Arm gegen 
die Hüfte gepreßt wird, hängt 
er in der Mitte vor dem Leib 
durch, und es ergibt sich eine 
Folge von Schüsselfalten. Zu- 
oberst ziehen sich einige kleinere, 
nur leicht durchhängende Quer- 
falten hin; erst weiter unten 
kommen zwei größere, kräftige 
Schüsseln, von denen die erste 
leicht nach links, die zweite 
leicht nach rechts heraushängt. 
An der zweiten Schüssel hängt ein 
kleines Faltendreieck und vor 
allem eine betont ausgebildete 
Diagonalfalte. Wäre sie nicht durch 
die untere Schüsselfalte verdeckt 
und abgeschnitten, so würde sie 
in der Verlängerung die Hüfte 
erreichen wie in der typischen 
Faltengebung des 14. jahrhun- 
derts. Auffällig ist, daß diese 
Diagonalfalte ebenso wie die ihr 
benachbarten Faltenzüge und 
-täler über Mantel und Gewand 
gleichmäßig durchgeht. Der Man- 
telsaum wellt sich in die Falten- 
täler hinein. 
Auf der rechten Seite der Figur 
bildet die dortige Mantelpartie 
ein langes, flach hängendes Drei- 
eck mit kurzem Saumspiel am 
Ende (auf Abb. 5 durch den 
Stern verdeckt, den der rechte 
Barockengel hält). Die Falten- 
gebung des Gewandes unterhalb 
unterstützt die Funktion des 
Standbeins. Senkrechte, etwas zu- 
rückgesetzte Falten führen bis 
zur Standplatte; eine tiefe senk- 
rechte Delle gibt ein weiteres 
Vertikalmotiv, nur eine leichte 
verankernde Ausschwingung einer 
Falte ist nach rechts gegeben. 
Auf der linken Seite dagegen 
sind diejenigen Faltenbahnen, die 
sich an die diagonale Hauptfalte 
anschließen, bis hin zum Umriß 
der Figur in leichter Schwingung 
nach außen geführt. So erhält 
die Figur ein für die Schönen 
Madonnen typisches Standmotiv 
mit einem leicht welligen Saum- 
spiel in der Mitte (am Boden) 
und verankernden Faltenzügen 
auf beiden Seiten, wobei die des 
Spielbeines mehr schwingend, die 
des Standbeines mehr vertikal 
gegeben sind. 
Der Kopf Mariens ist leicht nach 
vorn geneigt und leicht nach 
rechts gewendet. Das schwere 
Kopftuch, reich gefältelt und ge- 
säumt, fällt fast senkrecht herab; 
auf dem Rücken reicht es weit 
über die Schulter (wie in Alten- 
markt, Eggmühl u. a.). 
Bei vielen Schönen Madonnen 
liegt das Kind schräg vor dem 
Leib, getragen von beiden Hän- 
den Mariens, so daß deren Rechte 
es am Füßchen faßt, die Linke - 
unter dem Ärmchen durchgrei- 
fend - es an der Brust unter- 
stützt. Das Kind hält meist mit 
beiden Händen einen Apfel vor 
dem Leib. Es ist das ein Charak- 
teristikum des Pilsener TypsS) 
und des Typus Louvre-Colliß). 
Das Kind der Großgmainerin 
entspricht diesem Typ und wirkt 
nur wie durch schiebenden Druck 
der Rechten Mariens in eine etwas 
aufrechtere Lage gebracht. (Die 
historische Entwicklung kann na- 
türlich genau umgekehrt sein, 
daß nämlich das Kind von auf- 
rechter Haltung -- wie bei der 
Thorner Madonna 1 in beide 
Hände Mariens hineingleitet.) 
Der gegenwärtige Zustand der 
Figur macht es fast nicht mög- 
lich, ihre Qualität zu beurteilen 
und ihre Bedeutung recht zu 
würdigen. Über der farbigen Ori- 
ginalfassung, die nach Springer 
noch vorhanden ist, behndet sich 
eine jüngere Polychromie: der 
Mantel hellblau mit Goldmustern, 
das Futter dunkelblau, das Ge- 
wand kräftig bräunlich-rot, das 
Kopftuch weiß mit Goldsaum, 
Krone, Haare und Apfel golden, 
das lnkarnat rosig. K Spätere 
Fassungen können sehr schön sein 
und im Zusammenhang vorzüglich 
wirken, wie die barocke Fassung 
der Maria Säul in Salzburg oder 
die der Pürtener Madonna (bei 
Mühldorf). In Großgmain aber ist 
die Farbe so dick aufgetragen, daß 
die Einzelheiten des Gesichtsaus- 
druckes und der Haarbehandlung 
fast völlig verlorengehen. Die Un- 
ruhe der mittleren Mantelpartie 
schluckt für den optischen Ein- 
d.ruck den größten Teil der Fal- 
tenbildung7). 
Die Beurteilung dieses Werkes 
wird nun durch eine lnschrift 
am Sockel erschwert. An der 
Vorderseite der oberen Stand-
	        
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