Zwischen Salzburg und Reichen-
hall, von der Landeshauptstadt
nicht sehr weit entfernt, liegt
am Rande der Gebirgsschwelle
der Ort Großgmain. Seine Pfarr-
kirche, eine spätgotische, ab 1731
barockisierte Schöpfungl), ent-
hält Reste des berühmten spät-
gotischen Hochaltars von 1499
und im Hauptgeschoß des barok-
ken - 1739 entstandenen i
Hochaltars eine Gußstein-Madon-
na des Weichen Stils, die uns hier
näher beschäftigen soll.
Die Zlilarlonna van Grrßgmainl) ist
ein ungewöhnliches Werk für
den nicht nur im Material, son-
dern auch stilistisch im wesent-
lichen zusammengehörigen Kreis
der Gußstein-Madonnen3). Sie ist
(nach Springer) 140 cm hoch,
ca. 45 cm breit und ca. 34 cm
tief. Die Madonna steht in leichter
S-Kurve und trägt das halb sit-
zende, halb liegende Kind über
ihrer linken Körperseite (vom
Beschauer aus: rechts)4). Beklei-
det ist sie mit einem langen Ge-
wand, einem vor dem Leib leicht
geschützten Mantel (der mit dem
Saum etwas unter Kniehöhe ab-
schließt) sowie einem Kopftuch;
sie trägt (seit 1871) eine glatte
Krone mit runden Zapfenauf-
Sätzen. Wie es bei den „Schönen
Madonnen" üblich ist, steht sie auf
einer rechteckigen, an den vor-
deren Ecken stark abgeschrägten
Standplatte, die jedoch in diesem
Fall um eine schmalere, aber
weiter ausladende zweite Stand-
platte verstärkt worden ist.
Das linke Bein der Madonna ist
ihr Standbein, das rechte ihr
Spielbein (wie beim Krumauer
Typus der Schönen Madonnen).
Der Mantel wird durch den
rechten Arm Mariens hochge-
nommen; die breite Mantelpartie,
die sich von dorther über den
Leib zieht, wird (mit bereits
umgeschlagenem Saum) vom lin-
ken Arm der Mutter, mit dem
sie das Kind an der Brust hält,
fest an die Hüfte geklemmt.
Daneben fällt der andere (vom
Beschauer aus: rechte) Mantelteil
fast senkrecht herab. Über der
Brust wird der Mantel von einer
verhältnismäßig kleinen Agraife
zusammengehalten. Er ist recht
stoi-freich gegeben und hängt da-
durch links über den Arm der
Figur stark, besonders mit einer
kräftigen seitlichen Schiisselfalte,
über. Das Saumspiel des links
vom Arm hochgenommenen Man-
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telteiles entwickelt sich in großen,
nur näherungsweise parallelen
Schwüngen und ist stark an die
Figur herangeklappt. Gegen die
übliche Art kräftig abstehender,
wie mit Luft gefüllter Röhren-
falten hebt sich diese Formung
stark ab. Naturalistisch ließe sie
sich durch den Gegensatz eines
dünnen weichen Stoffes zu einem
dickeren und schwereren bei ande-
ren Figuren erklären.
lndem der Mantel links durch
den Arm hochgezogen, rechts
durch den andern Arm gegen
die Hüfte gepreßt wird, hängt
er in der Mitte vor dem Leib
durch, und es ergibt sich eine
Folge von Schüsselfalten. Zu-
oberst ziehen sich einige kleinere,
nur leicht durchhängende Quer-
falten hin; erst weiter unten
kommen zwei größere, kräftige
Schüsseln, von denen die erste
leicht nach links, die zweite
leicht nach rechts heraushängt.
An der zweiten Schüssel hängt ein
kleines Faltendreieck und vor
allem eine betont ausgebildete
Diagonalfalte. Wäre sie nicht durch
die untere Schüsselfalte verdeckt
und abgeschnitten, so würde sie
in der Verlängerung die Hüfte
erreichen wie in der typischen
Faltengebung des 14. jahrhun-
derts. Auffällig ist, daß diese
Diagonalfalte ebenso wie die ihr
benachbarten Faltenzüge und
-täler über Mantel und Gewand
gleichmäßig durchgeht. Der Man-
telsaum wellt sich in die Falten-
täler hinein.
Auf der rechten Seite der Figur
bildet die dortige Mantelpartie
ein langes, flach hängendes Drei-
eck mit kurzem Saumspiel am
Ende (auf Abb. 5 durch den
Stern verdeckt, den der rechte
Barockengel hält). Die Falten-
gebung des Gewandes unterhalb
unterstützt die Funktion des
Standbeins. Senkrechte, etwas zu-
rückgesetzte Falten führen bis
zur Standplatte; eine tiefe senk-
rechte Delle gibt ein weiteres
Vertikalmotiv, nur eine leichte
verankernde Ausschwingung einer
Falte ist nach rechts gegeben.
Auf der linken Seite dagegen
sind diejenigen Faltenbahnen, die
sich an die diagonale Hauptfalte
anschließen, bis hin zum Umriß
der Figur in leichter Schwingung
nach außen geführt. So erhält
die Figur ein für die Schönen
Madonnen typisches Standmotiv
mit einem leicht welligen Saum-
spiel in der Mitte (am Boden)
und verankernden Faltenzügen
auf beiden Seiten, wobei die des
Spielbeines mehr schwingend, die
des Standbeines mehr vertikal
gegeben sind.
Der Kopf Mariens ist leicht nach
vorn geneigt und leicht nach
rechts gewendet. Das schwere
Kopftuch, reich gefältelt und ge-
säumt, fällt fast senkrecht herab;
auf dem Rücken reicht es weit
über die Schulter (wie in Alten-
markt, Eggmühl u. a.).
Bei vielen Schönen Madonnen
liegt das Kind schräg vor dem
Leib, getragen von beiden Hän-
den Mariens, so daß deren Rechte
es am Füßchen faßt, die Linke -
unter dem Ärmchen durchgrei-
fend - es an der Brust unter-
stützt. Das Kind hält meist mit
beiden Händen einen Apfel vor
dem Leib. Es ist das ein Charak-
teristikum des Pilsener TypsS)
und des Typus Louvre-Colliß).
Das Kind der Großgmainerin
entspricht diesem Typ und wirkt
nur wie durch schiebenden Druck
der Rechten Mariens in eine etwas
aufrechtere Lage gebracht. (Die
historische Entwicklung kann na-
türlich genau umgekehrt sein,
daß nämlich das Kind von auf-
rechter Haltung -- wie bei der
Thorner Madonna 1 in beide
Hände Mariens hineingleitet.)
Der gegenwärtige Zustand der
Figur macht es fast nicht mög-
lich, ihre Qualität zu beurteilen
und ihre Bedeutung recht zu
würdigen. Über der farbigen Ori-
ginalfassung, die nach Springer
noch vorhanden ist, behndet sich
eine jüngere Polychromie: der
Mantel hellblau mit Goldmustern,
das Futter dunkelblau, das Ge-
wand kräftig bräunlich-rot, das
Kopftuch weiß mit Goldsaum,
Krone, Haare und Apfel golden,
das lnkarnat rosig. K Spätere
Fassungen können sehr schön sein
und im Zusammenhang vorzüglich
wirken, wie die barocke Fassung
der Maria Säul in Salzburg oder
die der Pürtener Madonna (bei
Mühldorf). In Großgmain aber ist
die Farbe so dick aufgetragen, daß
die Einzelheiten des Gesichtsaus-
druckes und der Haarbehandlung
fast völlig verlorengehen. Die Un-
ruhe der mittleren Mantelpartie
schluckt für den optischen Ein-
d.ruck den größten Teil der Fal-
tenbildung7).
Die Beurteilung dieses Werkes
wird nun durch eine lnschrift
am Sockel erschwert. An der
Vorderseite der oberen Stand-