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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 58 und 59)

wiederkehrende Rolle bei der 
Mehrzahl der Schönen Madon- 
nen. Ganz ungewöhnlich ist die 
Lösung in Großgmain, wo eine 
auffällige Diagonalfalte am Spiel- 
beinknie vorbei von rechts nach 
unten links verläuft. Das hat 
seine Parallelen im 14. Jahrhun- 
dert, vor allem bei der Wiener 
Dienstbotenmadonna. 
Wie ist nun die Stellung der 
Madonna von Großgmain inner- 
halb des Kunstkreises der Schönen 
Madonnen zu beurteilen? Auf- 
bau und Körpervorstellung wir- 
ken kraftvoll und organisch. Das 
Werk läßt auch in seiner ent- 
stellenden Oberflächenbemalung 
eine ungewöhnliche Qualität ver- 
muten. Nichts, was wir aus dem 
Bereich der Schönen Madonnen 
kennen, berechtigt uns dazu, eine 
solche Figur an das Ende des 
Weichen Stiles in Österreich zu 
setzen. Wohl aber führen manche 
Fäden von der Großgmainer Ma- 
donna zur Pilsener Madonna und 
zur Madonna Colli sowie deren 
Verwandten, wobei die schlaffere 
Haltung, die flächigere Ausbrei- 
tung der Motive, die größere 
Nachgiebigkeit in jeder Bezie- 
hung - so z. B. auch im abge- 
rundeten Verlauf der oberen 
Schüsselfalte 7 besonders für 
die Gruppe Louvre-Colli einen 
zeitlichen Abstand zu verraten 
scheinen. Es ist die Großgmaine- 
rin, die vorausgehen muß. So- 
wohl die kräftige Dreidimensiona- 
lität der Figur als auch die räum- 
lichen Beziehungen innerhalb der- 
selben (z. B. die vergleichsweise 
tiefere Raumbildung durch das 
Kopftuch) sind charakteristische 
Eigenheiten derjenigen Schöp- 
fungen, die an den Beginn des 
Weichen Stiles gehören. Es sind 
Madonnen durchaus unterschied- 
licher Typenprägung, in denen 
sich diese stilistischen Eigen- 
schaften dennoch gemeinsam fin- 
den: die Thorner Madonna und 
die Madonna von Altenmarkt. 
Diese ist spätestens 1393 ent- 
standenlv), jene zwar nicht histo- 
risch fest datiert, aber doch aus 
stilistischen Gründen urn 1390 
einzuordnenll). Im Bereich der 
Bauhüttenplastik wären dort, wo 
die Nahtstelle zu den Schönen 
Madonnen besteht, die Figuren der 
Wehinger Kapelle in Kloster- 
neuburg zu nennen, deren Be- 
deutung kaum hoch genug ver- 
anschlagt werden kann. Drei der 
ehemals lO Figuren wurden 1397 
bezahlt; nur zwei Figuren haben 
sich erhalten. im Charakter des 
Zeitstils (nicht im Typ) stehen 
sie der Altenmarkter Madonna 
14 
besonders nahe. Wollte man auf 
die Vesperbilder ausgreifen, so 
wäre wohl vor allem die Pieta 
aus Baden bei Wien zu nennen. 
Die Anfänge des Stils der Schö- 
nen Madonnen können wir noch 
nicht aufs Jahr, wohl noch nicht 
einmal aufs Jahrfünft hin fest- 
legen. Auch von den Quellen 
für diesen Stil haben wir erst 
einige erfaßt; so sind uns vor 
allem die Voraussetzungen für die 
Thorner Madonna trotz aller bis- 
herigen Bemühungen m. E. bis- 
her noch unbekannt. Auf einem 
anderen XVege sind wir schon 
weiter vorangekommen. Ver- 
bindungslinien scheinen von der 
Gruppe um die Wiener Eligius- 
madonna (und ihr faltengleiches 
Gegenstück, die Madonna vom 
Altstadtrathaus in Prag) über die 
Madonna von Laa an der Thaya 
zur Altenmarkterin, und damit 
in den Bereich der Madonnen von 
Hallstatt und Krumau zu führen. 
Die Zusammenstellung des Mate- 
rials bei Albert Kutall?) zeigt, 
wenn auch in teilweise anderer 
kunstgeographischer Sicht, doch 
ganz ähnliche Gedankengänge. 
Die Wehinger Figuren in Klo- 
sterneuburg geben uns wenig- 
stens in einem Punkt die Möglich- 
keit, eine Einflußnahme der Bau- 
hüttenplastik auf die Stilbildung 
der Schönen Madonnen zu er- 
kennen; mehr noch als für die 
Wiener Plastik scheint für zahl- 
reiche bisher (und auch künftig?) 
steirisch genannte Schöpfungen 
eine ausschlaggebende Quelle in 
diesen Klosterneuburger Figuren 
zu stecken. Weit schwieriger 
scheint es, Typen der Schönen 
Madonnen von Madonnenschöp- 
fungen im charakteristischen Stil 
des 14. Jahrhunderts abzuleiten. 
Doch gerade hier ist für Groß- 
gmain am ehesten zu suchen. 
Obwohl sich direkte Vorbilder 
(bisher) nicht belegen lassen, 
scheint sich der Typ, den Groß- 
gmain vertritt, doch im 14. Jahr- 
hundert anschließen zu lassen. 
Das Werk, das mir diese Auf- 
fassung zu belegen scheint, ist 
allerdings nur in barocker Um- 
arbeitung auf uns gekommen. 
Es handelt sich um die Madonna 
von Mauer bei Melk. Die Köpfe 
sind überhaupt barock oder je- 
denfalls überarbeitet und verdreht; 
man kann vermuten, daß das 
Kind ursprünglich mehr ein- 
wärts blickte, von der Madonna 
ist es mit Sicherheit anzunehmen. 
Der Faltenverlauf aber ist - 
wenn auch hier eine gewisse Uber- 
arbeitung nicht unmöglich sein 
mag - im großen und ganzen 
wohl verläßlich. Die von der 
rechten Schulter herabführenden 
Diagonalfalten, die sich zu kurzen 
Schüsseln vor den Leib senken, 
die von der linken Hüfte aus- 
strahlende, vom tiefsten Punkt 
der unteren Schüssel aus aber 
begleitete Diagonale und die 
Durchgliederung der Faltenpar- 
tien unterhalb des Horizontal- 
saumes zeigen manche Züge, die 
_ wenn sie sich in weiteren 
österreichischen Werken ähnlich 
fanden - wohl einen Absprung 
für die Großgmainerin bieten 
konnten. Daß aber die Madonna 
von Mauer noch dem 14. Jahr- 
hundert angehört 7 und zwar 
bei ihrem Faltenaufbau und ihrer 
Volumenentwicklung trotz des 
bekleideten Kindes der zweiten 
Hälfte dieses Jahrhunderts --, 
das dürfte Wohl keine Zweifel 
erwecken. Eine Bestätigung für 
die Existenz eines ähnlichen Ma- 
donnentypus im 14. Jahrhundert 
könnte die Madonna aus Frauen- 
tal'bei Deutsch-Landsberg bie- 
ten 13). Auch ohne vielleicht älter 
zu sein als die Großgmaincr 
Madonna, dürfte sie doch einen 
älteren Typ spiegeln. 
Die Schlüsse, die ich aus diesen 
Überlegungen für die Madonna 
von Großgmain ziehen möchte, 
sind die folgenden: Die Groß- 
gmainer Madonna bildet einen 
Eckstein für die Entwicklung 
vom 14. Jahrhundert in den 
Weichen Stil. Als vergleichsweise 
frühes (etwa um 1390f95 ent- 
standenes) Gußsteinwerk gehört 
sie zwar stilistisch schon ganz dem 
Kunstkreis der Schönen Madon- 
nen an, enthält aber gleichwohl 
noch Züge des 14. Jahrhunderts - 
sowohl in der ihr eigenen Monu- 
mentalität, als auch in Details -, 
die in der weiteren Entwicklung 
der Schönen Madonnen abge- 
stoßen werden. Da eindeutige 
Vorbilder nicht genannt werden 
können, ist das Verhältnis der 
Entstehung dieser Figur zur Ent- 
stehung anderer Prototypen der 
Schönen Madonnen nur schwer 
faßbar. Der neue Stil „um 1400" 
scheint in mehreren Werkstätten 
auf der Grundlage unterschied- 
licher älterer und neu erfundener 
Typen, jedoch in enger Wechsel- 
wirkung entstanden zu sein. Auf 
Salzburg als Entstehungsort der 
Großgmainerin verweist außer 
dem Standort der Madonna ihre 
Beziehung zu dem für Salzburg 
zu sichernden Typ Louvre-Colli 
und zum Pilsener Typ, der durch 
die Nonnberger Madonna eben- 
falls noch heute in Salzburg ver- 
treten ist. 
1) ÖKT 11, 1916, 1187151. 7 
Dchio-Hnndbuch Salzburg, 
41954. 29. 7 Reclams Kunst- 
Eihrcr Öslcrn: h. Bd. 2, 1961, 
186187. 
1) ÖKT n, 129m und Fig. 119. 
7 Wilhelm Pindcr: Die 
Deutsche Plastik vum aus- 
gehenden Minelalrer bis zum 
Ende der Renaissance. - 
Handbuch der Kuusrwisscn- 
Schaft (Bd. 2) 1929, S. 288{89. 
7 Louis Adalbtit Springer: 
Die bayrisch - östtrrciehische 
Stcingußplastik der Wende VOm 
14. zum is. jniiriinnderr. 
Würzburg m6. Bes.S.1117 
114 und Katalog (I) 10. 
3) kh benutze den Ausdruck 
"Gußslein". nirhl wie 
Springer - den khngvollercn 
Ausdruck „siringnism da letz- 
rcrer mißveistanden werden 
könnte. Es lmiidelr sich um 
künstlich 7 durch Guß 
hergestellten Rnhsxeiii. nicht 
um Guß der Figur aus Roh- 
masse in eine vnrgearbeirule 
Form. Springer unterscheide: 
verschiedene (iußsteirl-Grup- 
pm. hier "weißen Sleinguß". 
i) „Rar-chrs" nnd „links" gelten 
irn folgenden als vom B1:- 
Schauer zus gesehen; die Be- 
Zeichnung der Kürperleilc gclu 
dagegen von der Figur aus. 
S) Vgl. ÖZKuD 14, 1960, s. m9, 
Abb. 94. 
") Ebda. Abb. 95. 
v) Wie sehr eine mißglückre 
farbige Fasung den Eindruck 
einer Figur cntslellcn kann. 
inir die Freilcgung der origi- 
malen Fmung bei der Madonna 
aus Eggmiihl (Niederbayern) 
gezeigt. Das bis dahin minder- 
wertig erscheinende Werk er- 
wies sich als Srhöpfilug von 
vorzüglichem Rang. 
3) Es ist zu bemerken, diiß Finder 
das Original niChK kinnlc; 
ihm Slitld nur die für diesen 
Zweck unzulängliche Abbil- 
dung in der ÖKT zur Ver- 
üigimg. 
v) Springer m. 
I") Dieter Großmniln: Die Srhbne 
Madonna von Krumau und 
Österreich. lu: ÖZKuD 14, 
1960, 1037114, bei. 111112. 
U) Auf ein: Beweisführung für 
diese 7 allerdingv von den 
meisten Forschern vcrlrelcne 
7 Dalicrung muß im vor- 
liegenden Zuszmmrnhang ver- 
zichtet WCIdCll. 
11) Albert Kutnl: O Mistru Krum- 
invrire Marlony. ln: uini-ni s, 
m57, 294.3. 
u) Graz, Ionnueum. Lindenlmlz, 
Hohe 91cm. 7 Abb. 25 hci 
Karl Garzarolli v. "Thuru- 
Llfkh: MlKKClJlKWIClIC Pld k 
in Steiermark. Graz 1941.
	        
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