1400 einen Umbau in eine ganz
neue geistige Einstellung, in eine
naturalistische Auffassung der
Welt und des Menschen, eine Säku-
larisierung des Weltbildes, in einen
ganz neuen wirklichkeitsnahen
Realismus, der genau das Gegen-
teil des mittelalterlichen Realismus
ist (sehr ausführlich bei GNCEISE).
Natürlich gibt es in den Jahr-
zehnten dieser Übergangszeit noch
konservative Kräfte, die zunächst
noch versuchen, das neue Streben
mit der „transzendentalen ldealitat
der gotischen Stilformen zu ver-
binden" (XVEISE, S. 156), ja
andere, die mit einer Art von
Reformbestrebungen den Versuch
unternahmen, einer vorwiegend
theologischen Weltanschauung
ihre Geltung und damit die Ein-
heitlichkeit der mittelalterlichen
Weltanschauung zu bewahren.
An erster Stelle ist hier Nikolaus
von Cues zu nennen, in dessen re-
formatorischen Bemühungen im-
iner wieder die dualistischen
Grundgedanken des Mittelalters
auftauchen.
So z. B. (die folgenden Zitate nach
HElNIPEL1953): „Unser Streben
müsse es sein, daii wir von der
Schönheit des Sinnlichen uns zur
Schönheit unseres Geistes erheben,
welche alle sinnliche Schönheit in sich
faßt. Das Wesen des Schönen als
Univcrsales besteht im Glanz der
Form, der sich über die proportio-
nierten Teile der Materie, wie über
verschiedene Stoffe und Handlun-
gen breitet. Cusanus läßt einen
Maler zwei Bildnisse malen, das
eine wäre tot, obgleich es in seiner tat-
sächlichen Erscheinung dem Dar-
gestellten näher käme, das andere,
weniger ähnliche, wäre lebendig,
da es von seinem Gegenstand zur
Bewegung angereizt, sich dem Ur-
bild immer gleichförmiger machen
könnte. Welches von diesen beiden
Bildern vor dem anderen den Vorzug
verdiente, könnte keine Frage sein.
Erst die von der Materie abgelöste
Seins-Form erkennt (I. als unbedingt
wahr und formhaft an."
Dieser Dualismus tritt in seinen
Schriften immer wieder auf. ln
seinem Schreiben „Von der Gottes-
kindschaft" an seinen Äiitbruder
Kanonikus Konrad von Wartberg
(ich folge hier der Ausgabe von
PETERS im Herder-Verlag 1956)
fordert Cusanus, unser vernunft-
hafter Geist dürfe sein Interesse
nicht den vergänglichen Schatten
der Sinnenwelt verhaftet sein lassen.
Vielmehr muß er die Sinnendinge
als Hilfsmittel für sein geistiges
Streben gebrauchen, gleichwie das
Erlernen der wahrnehmbaren Schrift-
zeichen und der sinnlich hörbaren
Laute nur ein Mittel dazu ist, zu
den dadurch ausgedrückten Ge-
danken vorzudringeti. „Durch solch
gleichnishaftes Beispiel werden wir,
20
die wir nach der Gotteskindschaft
trachten, ermahnt, nicht den Sinnes-
erscheinungen anzuhangen, die nur
Rätselzeichen des Wahren sind; viel-
mehr sollen wir, ohne ihnen ob
unserer Schwachheit in befleckender
Weise verhaftet zu sein, uns ihrer
so bedienen, als spräche durch sie der
Lehrmeister der Wahrheit zu uns, als
wären sie gleichsam Bücher, die eine
Kundgahe seines Geistes enthalten."
Diese Versuche einer Rettung
mittelalterlicher Geisteshaltung ha-
ben sich nun ja nicht durchgesetzt,
in Österreich aber doch vorüber-
gehend noch erhalten bzw. ein-
gewurzelt. Gerade der so überaus
konservative Kaiser Friedrich lll.
kann ihnen nicht ablehnend gegen-
übergestanden sein. Noch mehr
muß dies für die damalige höhere
Geistlichkeit Österreichs gelten.
Was die beiden Gurker Bischöfe
von dem so auffälligen Straßburger
Stein bctritTt, so war Bischof Schallcr-
mann nach der gütigen Auskunft
von Prof. Dr. j. Obersteiner in
Gurk wohl ein streitbarer, mit
beiden Füßen auf dem Boden der
Wirklichkeit stehender Mann, der
seine Rechte (auch materielle) stets
energisch zu wahren wußte. lir
war aber auf dem Reformkonzil
von Basel anwesend und war vor
seiner lirnennung zum Bischof von
Gurk Dompropst von Brixen (wo
ja Nikolaus von (Iues Bischof war)
gewesen und war ein Freund Kaiser
Friedrichs lll. Auch der andre der
beiden Bischöfe, sein Nachfolger
Ulrich von Sonnenburg, war früher
in der Wiener Kanzlei von Fried-
rich III. angestellt.
Wenn Veit Stoss in seinem 1492
vollendeten Grabdenkmal für König
Kasimir jagiello wörtlich die glei-
chen vier Adneter Sorten nimmt wie
Niklas von Leyen für das Friedrichs-
grab und wenn seine Technik der-
jenigen des Niklas so vollkommen
ähnlich ist, daß man das Krakauer
Denkmal dem Meister des Friedrichs-
grabcs zuschreiben könnte, wenn
es nicht so eindeutig als Veit Stoss
signiert wäre (ein wesentliches Ar-
gument dafür, daß Veit Stoss bei
Niklas gelernt hatte), so sind dies
denn doch der persönlichen Bezie-
hungen genug. Damit ist weder
etwas gegen die sonst sehr wirk-
lichkeitsnahe Einstellung der Auf-
traggeber gesagt, noch dagegen, daß
die ausführenden Künstler auch
durchaus anders, naturalistisch, in
einem die Plastik des Reliefs nicht
störenden Marmor arbeiten konnten
(vgl. dazu verschiedene Grabplatten
von Veit Stoss aus dem fast einfar-
bigen Adnet-Lienbacher Marmor).
Wer in Lauifen verwirrt vor dem
Muttergottesrelief des Welsperg-
Grabmals gestanden ist, mit dem
Jesukind, dessen Gesicht in der
weiß-roten Scheckigkeit kaum aus-
zunehmen ist, wer an dem Tauf-
stein in St. Zeno in Reichenhall
(1522) mit den Augen vergeblich
die Vexierbilder der einzelnen
Reliefs zu erfassen versuchte, wer
die vibtierende Stimmung der
Kaiserfigur des Friedrichsgrabes
auf sich wirken läßt, wer sich
ergriffen in das schon ganz jen-
seitige 7 wenngleich von dem
Tarnmuster vollkommen zerris-
sene 7 Antlitz des Königs Kasi-
mir Jagiello versenkt, wird hinter
allen diesen und manchen andern
Denkmälern eine gemeinsame
Grundhaltung nicht übersehen
können. Wenn hier versucht wur-
de, ihre geistigen Wurzeln bloß-
zulegen, so soll dies nicht verall-
gemeinert werden, riicht jedem
Steinmetz ein Wissen von dem
Gedanken des Cusaners zuge-
schrieben werden. Die Auflösung
der plastischen Wirklichkeit durch
die Buntscheckigkeit des Steins
hat natürlich ihre Nachahmer ge-
funden, ist eine Manier, eine Mode
geworden. Dies spricht in keiner
Weise gegen ihre gedanklichen
Grundlagen in diesem Herbst des
Mittelalters.
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