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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 58 und 59)

lRANZ HÄDAMOWSKY 
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Die Familie Taglioni 
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Mit dem Ende der von seinen 
Zeitgenossen als „Weltkrieg" be- 
trachteten und bezeichneten Aus- 
einandersetzung Europas mit Na- 
poleon war auch die heroische 
Haltung der klassizistischen Zeit 
im Abklingen, und eine stärker 
vom Gefühl betonte, zu der schon 
im ersten Jahrzehnt des neuen 
Jahrhunderts die XlUurzeln ge- 
legt waren, kam herauf. Die frei- 
gewordenen Kräfte, von politi- 
scher Ablenkung ferngehalten, 
wurden für die Künste fruchtbar, 
und so erlebten im „Vormärz" 
bei einer romantischen Grund- 
haltung bildende Künste, Musik 
und Theater eine Blütezeit, die 
sich in aufgezwungener Selbst- 
bescheidung auf den Menschen 
und seine Umwelt, seine Familie, 
sein Haus und seine Heimat be- 
schränkte, deren Schönheit man 
nun in Wort und Bild darzustellen 
mit vieler Freude nicht müde 
wurde. Der Name „Biedermeier", 
zu Anfang des 20. Jahrhunderts 
eine Stilbezeichnung für die Wohn- 
kultur jener Zeit, wird jetzt in 
starker Erweiterung des Begriffs 
als einer der Grundzüge des 
Wesens des geistigen und gesell- 
schaftlichen Lebens angesehen, 
dessen Merkmale Frohsinn, Ge- 
selligkeit, Sinn für Kunst, Be- 
geisterung für das Theater, Freude 
an der Natur und Lust am Wan- 
dern sind. 
Von den theatralischen Gattun- 
gen erfreute sich das pantomi- 
mische Ballett einer besonderen 
Beliebtheit, die keine nationalen 
Grenzen kannte. Die stumme 
tänzerische und mimische Sprache 
des Körpers wird ja überall ver- 
standen, wenn sie nur ausdrucks- 
voll und beredt ist, ästhetisch und 
fesselnd wirkt. 
Wie in der gesamten theatrali- 
schen Kunst waren die Romanen 
im 19. Jahrhundert auch die Vor- 
bilder und Vorkämpfer des thea- 
tralischen Tanzes. Ein Franzose, 
J. G. Noverre, hat zu Beginn der 
zweiten Hälfte des 18. Jahrhun- 
derts als erster das pantomimische 
Ballett gestaltet; Paris war im 
19. Jahrhundert ein Mittelpunkt 
klassischer Tanzkunst, ein Mekka 
der theatralischen Tanzkünstler, 
aber auch in anderen großen 
Städten, in Wien, London, Peters- 
burg fand sie eifrige PHege. Waren 
nur die regierenden Fürsten oder 
andere bestimmende Persönlich- 
keiten Freunde der theatralischen 
Tanzkunst, dann entfaltete sie 
sich auch an ihrem Sitz reich. 
Jeder war bestrebt, die Spitzen- 
könner des Balletts wenigstens für 
einige Zeit an seinem Theater zu 
sehen; die berühmten Tänzer 
wurden mit Geld und Ehren über- 
schüttet, ein märchenhafter Nim- 
bus wob sich um sie, Verehrung 
und Begeisterung nahmen uns 
heute unvorstellbare Formen an, 
und allen Standesvorurteilen zum 
Trotz nahmen Aristokraten gerne 
die schönen Sylphiden zu Ehe- 
frauen. Die Tänzer waren im 
19. Jahrhundert noch mehr als 
die Sänger die internationalen 
Stars, die man ebenso in den 
Metropolen Europas wie den 
großen, aufstrebenden Städten 
Amerikas traf. Aus diesem inter- 
nationalen Korps de Ballett leuch- 
ten aus der ersten Hälfte des 
19. Jahrhunderts zwei Namen mit 
zauberhaftem Nimbus in unsere 
Zeit: Fanny Elßler und Marie 
Taglioni. Die Ballettomanen der 
dreißiger und vierziger Jahre wa- 
ren in ganz Europa in zwei Lager 
geteilt: die Elßleristen und die 
Taglionisten; während Fanny Elß- 
ler aber 7 wenn man von ihrer 
Schwester absieht 7 allein steht, 
gab es zwei fast gleich berühmte 
Marie Taglioni; sie stammten aus 
einer Tänzerfamilie, die in beiden 
Geschlechtern durch drei Ge- 
nerationen ihre Kunst und ihren 
Ruhm durch die alte und die 
neue Wlelt trugen. Zur ersten ge- 
hörten Philipp und Salvator, zur 
zweiten Marie die Ältere, Paul 
und Luisa, und zur dritten Marie 
die Jüngere: eine Kontinuität der 
Talente, die in der Geschichte 
des theatralischen Tanzes ohne 
Beispiel ist. 
Die Familie Taglioni stammt aus 
Italien. Carlo Taglioni, erst Tän- 
zer, dann Ballettmeistcr, hatte 
fünf Kinder, von denen vier wie 
der Vater sich der Tanzkunst ver- 
schrieben: Philipp und Salvator, 
Giuseppa und Luisa. Philipp ging 
zur Ausbildung nach Paris, wo 
ihn August Vestris, der „Gott 
des Tanzes", in der Kunst unter- 
wies, und wurde dann Tänzer 
an der Großen Oper. Im Jahr 1802 
gewann ihn ein Abgesandter des 
schwedischen Königs als ersten 
Tänzer und Ballettmeister für das 
Königliche Hoftheater in Stock- 
holm. Diese Bühne verdankte 
ihren bedeutenden Rang König 
Gustav IIL, einem Freunde des 
Theaters, der selbst Schauspiele 
schrieb. Unter den heimischen 
Künstlern, die er besonders schätz- 
te, war der Schauspieler-Sänger 
Karsten; dieser hatte eine Tochter 
von besonderer Schönheit: Hed- 
wig Sophie; sie heiratete am 
9. August 1803 Philipp Taglioni; 
ihr erstes Kind (geboren 23. April 
1804) war Marie (die Ältere), die 
unsterblich gewordene Sylphide. 
Philipps Schwestern Giuseppa und 
Luisa, beide blendende Schön- 
heiten, waren nur kurze Zeit 
Tänzerinnen; Giuseppa heiratete 
einen Grafen aus dem Geschlecht 
der Contarini, das Venedig 8 Do- 
gen gegeben hatte; nach einem 
geflügelten Wort der Zeit wäre 
das Höchste gewesen, „Venedig 
und die schöne Gralin Contarini" 
zu sehen. Ihre Schwester ver- 
mählte sich mit einem französi- 
schen Adeligen, einem Grafen Du 
Bourg. 
Zu Anfang des Jahres 1805 ver- 
ließ Philipp Taglioni mit Frau und 
Kind Stockholm und nahm an 
den Hoftheatern in Wien ein 
Engagement an. Die Wiener Hof- 
theater, das Burgtheater und das 
Kärntnertortheater, pflegten bis 
1810 wechselweise alle drei thea- 
tralischen Gattungen: Schauspiel, 
Oper und Ballett, und so trat 
Taglioni bei seinem ersten En- 
gagement an den Wliener Hof- 
theatern (bis zum Jahr 1810) bald 
im alten Burgtheater, das am 
Michaelerplatz stand, bald im alten 
Kärntnertortheater, dem Vorläufer 
der Wiener Staatsoper (an der 
Stelle des Hotels Sacher), auf. 
Philipp tanzte aber nicht nur, er 
inszenierte und verfaßte auch 
Ballette; das erste Divertissement, 
das er in Wien inszenierte, trug 
den bezeichnenden Titel „Die 
Tanzsucht". 
lm Jahr 1810 ging Taglioni nach 
Kassel, wo Jeröme, von Napo- 
leons Gnaden König „Immer 
lustik", Hof hielt. Als dieser vor 
den Kosaken in alle Winde zer- 
stob, floh auch Mutter Taglioni 
mit den beiden Kindern, der 
sechsjährigen Marie und dem zwei- 
jährigen, am 12. Jänner 1808 in 
Wien geborenen Nicolaus Paul, 
nach Paris, während Philipp nach 
Italien ging. In Paris nahmen die 
Mutter und ein tüchtiger Lehrer 
Marie in strenge Zucht. Das Kind 
entwickelte ihre von Vater und 
Mutter ererbten Anlagen wunder- 
bar. Ende Dezember 1819 ging 
die Familie nach Wien zurück 
und Vater Philipp stellte sich den 
Wienern zum zweitenmal 
Seine Begrüßung war schmeichel- 
haft; man rühmte seinen „feinen 
Anstand", seine „unvergleichliche 
Leichtigkeit", „Praecision"; er ge- 
hörte zu einem Tänzer-Quartett, 
das „so vollkommen" war, daß 
„wohl schwerlich ein deutsches 
Hnftheater ein besseres aufzu- 
weisen im Stande sein würde". 
In Wien führte Philipp seine 
beiden in harter Übung und Zucht 
bühnenreif gewordenen Kinder 
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