lRANZ HÄDAMOWSKY
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Die Familie Taglioni
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bildungen zu Seite 40
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Mit dem Ende der von seinen
Zeitgenossen als „Weltkrieg" be-
trachteten und bezeichneten Aus-
einandersetzung Europas mit Na-
poleon war auch die heroische
Haltung der klassizistischen Zeit
im Abklingen, und eine stärker
vom Gefühl betonte, zu der schon
im ersten Jahrzehnt des neuen
Jahrhunderts die XlUurzeln ge-
legt waren, kam herauf. Die frei-
gewordenen Kräfte, von politi-
scher Ablenkung ferngehalten,
wurden für die Künste fruchtbar,
und so erlebten im „Vormärz"
bei einer romantischen Grund-
haltung bildende Künste, Musik
und Theater eine Blütezeit, die
sich in aufgezwungener Selbst-
bescheidung auf den Menschen
und seine Umwelt, seine Familie,
sein Haus und seine Heimat be-
schränkte, deren Schönheit man
nun in Wort und Bild darzustellen
mit vieler Freude nicht müde
wurde. Der Name „Biedermeier",
zu Anfang des 20. Jahrhunderts
eine Stilbezeichnung für die Wohn-
kultur jener Zeit, wird jetzt in
starker Erweiterung des Begriffs
als einer der Grundzüge des
Wesens des geistigen und gesell-
schaftlichen Lebens angesehen,
dessen Merkmale Frohsinn, Ge-
selligkeit, Sinn für Kunst, Be-
geisterung für das Theater, Freude
an der Natur und Lust am Wan-
dern sind.
Von den theatralischen Gattun-
gen erfreute sich das pantomi-
mische Ballett einer besonderen
Beliebtheit, die keine nationalen
Grenzen kannte. Die stumme
tänzerische und mimische Sprache
des Körpers wird ja überall ver-
standen, wenn sie nur ausdrucks-
voll und beredt ist, ästhetisch und
fesselnd wirkt.
Wie in der gesamten theatrali-
schen Kunst waren die Romanen
im 19. Jahrhundert auch die Vor-
bilder und Vorkämpfer des thea-
tralischen Tanzes. Ein Franzose,
J. G. Noverre, hat zu Beginn der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts als erster das pantomimische
Ballett gestaltet; Paris war im
19. Jahrhundert ein Mittelpunkt
klassischer Tanzkunst, ein Mekka
der theatralischen Tanzkünstler,
aber auch in anderen großen
Städten, in Wien, London, Peters-
burg fand sie eifrige PHege. Waren
nur die regierenden Fürsten oder
andere bestimmende Persönlich-
keiten Freunde der theatralischen
Tanzkunst, dann entfaltete sie
sich auch an ihrem Sitz reich.
Jeder war bestrebt, die Spitzen-
könner des Balletts wenigstens für
einige Zeit an seinem Theater zu
sehen; die berühmten Tänzer
wurden mit Geld und Ehren über-
schüttet, ein märchenhafter Nim-
bus wob sich um sie, Verehrung
und Begeisterung nahmen uns
heute unvorstellbare Formen an,
und allen Standesvorurteilen zum
Trotz nahmen Aristokraten gerne
die schönen Sylphiden zu Ehe-
frauen. Die Tänzer waren im
19. Jahrhundert noch mehr als
die Sänger die internationalen
Stars, die man ebenso in den
Metropolen Europas wie den
großen, aufstrebenden Städten
Amerikas traf. Aus diesem inter-
nationalen Korps de Ballett leuch-
ten aus der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts zwei Namen mit
zauberhaftem Nimbus in unsere
Zeit: Fanny Elßler und Marie
Taglioni. Die Ballettomanen der
dreißiger und vierziger Jahre wa-
ren in ganz Europa in zwei Lager
geteilt: die Elßleristen und die
Taglionisten; während Fanny Elß-
ler aber 7 wenn man von ihrer
Schwester absieht 7 allein steht,
gab es zwei fast gleich berühmte
Marie Taglioni; sie stammten aus
einer Tänzerfamilie, die in beiden
Geschlechtern durch drei Ge-
nerationen ihre Kunst und ihren
Ruhm durch die alte und die
neue Wlelt trugen. Zur ersten ge-
hörten Philipp und Salvator, zur
zweiten Marie die Ältere, Paul
und Luisa, und zur dritten Marie
die Jüngere: eine Kontinuität der
Talente, die in der Geschichte
des theatralischen Tanzes ohne
Beispiel ist.
Die Familie Taglioni stammt aus
Italien. Carlo Taglioni, erst Tän-
zer, dann Ballettmeistcr, hatte
fünf Kinder, von denen vier wie
der Vater sich der Tanzkunst ver-
schrieben: Philipp und Salvator,
Giuseppa und Luisa. Philipp ging
zur Ausbildung nach Paris, wo
ihn August Vestris, der „Gott
des Tanzes", in der Kunst unter-
wies, und wurde dann Tänzer
an der Großen Oper. Im Jahr 1802
gewann ihn ein Abgesandter des
schwedischen Königs als ersten
Tänzer und Ballettmeister für das
Königliche Hoftheater in Stock-
holm. Diese Bühne verdankte
ihren bedeutenden Rang König
Gustav IIL, einem Freunde des
Theaters, der selbst Schauspiele
schrieb. Unter den heimischen
Künstlern, die er besonders schätz-
te, war der Schauspieler-Sänger
Karsten; dieser hatte eine Tochter
von besonderer Schönheit: Hed-
wig Sophie; sie heiratete am
9. August 1803 Philipp Taglioni;
ihr erstes Kind (geboren 23. April
1804) war Marie (die Ältere), die
unsterblich gewordene Sylphide.
Philipps Schwestern Giuseppa und
Luisa, beide blendende Schön-
heiten, waren nur kurze Zeit
Tänzerinnen; Giuseppa heiratete
einen Grafen aus dem Geschlecht
der Contarini, das Venedig 8 Do-
gen gegeben hatte; nach einem
geflügelten Wort der Zeit wäre
das Höchste gewesen, „Venedig
und die schöne Gralin Contarini"
zu sehen. Ihre Schwester ver-
mählte sich mit einem französi-
schen Adeligen, einem Grafen Du
Bourg.
Zu Anfang des Jahres 1805 ver-
ließ Philipp Taglioni mit Frau und
Kind Stockholm und nahm an
den Hoftheatern in Wien ein
Engagement an. Die Wiener Hof-
theater, das Burgtheater und das
Kärntnertortheater, pflegten bis
1810 wechselweise alle drei thea-
tralischen Gattungen: Schauspiel,
Oper und Ballett, und so trat
Taglioni bei seinem ersten En-
gagement an den Wliener Hof-
theatern (bis zum Jahr 1810) bald
im alten Burgtheater, das am
Michaelerplatz stand, bald im alten
Kärntnertortheater, dem Vorläufer
der Wiener Staatsoper (an der
Stelle des Hotels Sacher), auf.
Philipp tanzte aber nicht nur, er
inszenierte und verfaßte auch
Ballette; das erste Divertissement,
das er in Wien inszenierte, trug
den bezeichnenden Titel „Die
Tanzsucht".
lm Jahr 1810 ging Taglioni nach
Kassel, wo Jeröme, von Napo-
leons Gnaden König „Immer
lustik", Hof hielt. Als dieser vor
den Kosaken in alle Winde zer-
stob, floh auch Mutter Taglioni
mit den beiden Kindern, der
sechsjährigen Marie und dem zwei-
jährigen, am 12. Jänner 1808 in
Wien geborenen Nicolaus Paul,
nach Paris, während Philipp nach
Italien ging. In Paris nahmen die
Mutter und ein tüchtiger Lehrer
Marie in strenge Zucht. Das Kind
entwickelte ihre von Vater und
Mutter ererbten Anlagen wunder-
bar. Ende Dezember 1819 ging
die Familie nach Wien zurück
und Vater Philipp stellte sich den
Wienern zum zweitenmal
Seine Begrüßung war schmeichel-
haft; man rühmte seinen „feinen
Anstand", seine „unvergleichliche
Leichtigkeit", „Praecision"; er ge-
hörte zu einem Tänzer-Quartett,
das „so vollkommen" war, daß
„wohl schwerlich ein deutsches
Hnftheater ein besseres aufzu-
weisen im Stande sein würde".
In Wien führte Philipp seine
beiden in harter Übung und Zucht
bühnenreif gewordenen Kinder
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VOf.