einem Huldigungsvers. Leider sind
sowohl das Album wie die Ta-
glionische Figurinensammlung nur
mehr eine schöne Erinnerung; sie
sind seit 1945 verschwunden.
Paul Taglioni war n1it einer Kol-
legin, einer durch Jahrzehnte sehr
beliebten Tänzerin, Amalie Gal-
ster, einer Berlinerin (17. Jänner
1807 bis 23. Dezember 1881) ver-
heiratet. Wie dem Ehebund Phi-
lipps mit Sophie Karsten ent-
stammte auch Pauls Ehe eine be-
rühmte Tänzerin, Maria Sophie
Auguste, kurz Marie die Jüngere
genannt. Sie wurde am 27. Okto-
ber 1830 in Berlin geboren. Die
mimisch-tänzerischen Anlagen bei-
der Eltern führte der Vater durch
eine gründliche und liebevolle
Ausbildung zur Vollendung. Ma-
rie war gleich vortrelflich als
Mimikerin wie als Tänzerin; sie
wußte in ihren mimischen Rollen
im Ballett wie im Schauspiel
ihrem „seelischen Gefühl in an-
mutiger Freude wie im tragischen
Schmerz gleich verständlichen
Ausdruck" zu geben. Die Tech-
nik ihres Tanzes war vollendet.
Sie wurde mit „einer vom linden
Hauch geschaukelten Rose", mit
einer „Libelle, die von Blume zu
Blume schwebt" verglichen, und
dem Ausruf eines Enthusiasten
„Die Taglioni tanzt wie ein En-
gel!" erwiderte ein anderer: „Sie
irren! Die Engel tanzen wie die
Taglionil"
Marie trat als fertige Künstlerin
vor das Publikum. Sie wurde im
Haus ihres Vaters in gehobenem
bürgerlichem Milieu liebevoll, aber
nach strengen Lebensgrundsätzen
erzogen; Züge einer Bohemienne,
die man bei einer Tänzerin gerne
sucht und in jener Zeit nicht
selten findet, fehlen in ihrem
Wesen wie in ihrem Leben voll-
ständig. Zum erstenmal stand sie
in einer Vorstellung vor dem Hof
im Königlichen Theater im Neuen
Palais in Berlin am 20. Juni 1847
auf der Bühne; vor der Allge-
meinheit debütierte sie in London
am 16. Februar 1849 in einem
„Pas de la Rosiäre" mit außer-
ordentlichem Erfolg. Als die Kö-
nigin der Sängerinnen ihrer Zeit,
die „schwedische Nachtigall" Jen-
ny Lind, sich von London verab-
schiedete, wünschte sie, daß Marie
den Part der Helena in Meyerbeers
Oper „Robert der Teufel", den der
Komponist für ihre Tante geschaf-
fen hatte, übernehme.
Mit ihrem Vater nach Berlin zu-
rückgekehrt, schritt sie nach ihrem
ersten öffentlichen Auftreten in
der Königlichen Oper in Berlin
am 9. November 1849 von F.r-
44
folg zu Erfolg. Im März 1851
tanzte sie vor dem Zaren. Im
Jahr 1853 begann sie einen Gast-
rollenzyklus in Wien, den sie nun
alljährlich bis 1856 wiederholte.
Wohin sie kam, wurde sie mit
Huldigungsgedichten überschüt-
tet. Johann Strauß komponierte
einen Taglioni-Walzer, es gab
eine Taglioni-Polka, modische
Gegenstände erhielten ihren Na-
men, die Blumenhändler machten
blendende Geschäfte. In Wien
trafen sich ihre Verehrer beim
Sacher und hießen bald der „Ta-
glioniklub"; als ihr Anführer galt
Prinz Alexander Hohenlohe-Schil-
lingsfürst, ein Sohn des deutschen
Reichskanzlers, damals bei der
preußischen Gesandtschaft in
Wien tätig. Es gehörte zum guten
Ton, einer Tänzerin von großem
Namen den Hof zu machen.
„Selbst der Kaiser", so erzählt der
Prinz in seinen Memoiren, „amü-
sierte sich darüber; und wenn er
zum Ballett in die Loge kam,
richtete er sein Glas auf meinen
Platz. Hob ich dann meinen Hut
in die Höhe und zeigte das darin
verborgene Bukett, mit dem ich
bestimmt war, das Signal zum
Blumenwerfen zu geben, dann
lächelte er lieb, um den Spaß mit
anzusehen. Zuckte ich aber mit
den Achseln und hatte einen
leeren Hut, dann ging er bald
wieder fort." Niemand ahnte aber,
daß sich unter der Maske des
Ballettenthusiasten ein für Öster-
reich sehr gefährlicher Spion ver-
berge. Im Taglioniklub und im
Salon der Künstlerin gab es
natürlich zahlreiche Ofßziere, die
viel von den „schwebenden
militärischen Angelegenheiten
schwatzten". „So erfuhr ich alles,
ohne jemand zu fragen. Ich war
zuletzt so schnell unterrichtet,
daß ich einmal abends von einem
geheimen Befehl über Anord-
nungen in der Armee Kenntnis
erhielt, ehe er im Konzept auf-
geschrieben war, und daß meine
Meldung darüber in Berlin an
dem Tag eintraf, an dem er in
Reinschrift unterschrieben ward.
Auf diese Weise unterstützte
Marie Taglioni die preußische
Diplomatie, ohne es zu wissen."
Dieser Bericht stammt aus dem
Jahr 1854, der Zeit des zweiten
Gastspiels Maries in Wien. ln
diesem „Taglioniklub" stellte
Prinz Hohenlohe-Schillingsfürst
der Tänzerin auch den Prinzen
Joseph zu Windisch-Graetz vor,
der „sich ganz ernstlich in sie
verliebte, und lange schmachtete,
bis er sie zwölf Jahre später
heiratete".
Nach ihrem ersten Gastrollen-
zyklus in Wien fand Marie bei
ihrer Rückkehr nach Berlin zwei
außerordentlich schmeichelhafre
Engagementanträge, einen nach
XWien und einen nach Petersburg,
vor. Auf XWunsch des Königs
Friedrich Wilhelm lV. entschied
sie sich aber, in Berlin zu bleiben,
und schloß mit den Königlichen
Hoftheatern am 1. Oktober 1853
einen zehnjährigen Kontrakt ab.
Von Berlin aus unternahm sie
alljährlich Gastspielreisen zu den
bedeutendsten Bühnen der Alten
Welt und wurde überall begeistert
aufgenommen. im Juni 1863 ver-
letzte sie sich im Ballett „El1inor"
den Fuß; die Gastspielreisen stellte
sie nun ein. Nach dem Ende ihres
zehnjährigen Kontrakts ließ sie
sich noch einen dreijährigen mit
der Hofbühne abringen, aber am
14. Februar 1864 bat sie um ihre
endgültige Pensionierung, die ihr
vom 1. April an auch gewährt
wurde. Sie hat die Bühne nie
mehr betreten.
Nach dem Ende des österrei-
chisch-preußischen Krieges hei-
ratete Marie Taglioni am 24. Sep-
tember 1866 einen „feindlichen"
Ofüzier, jenen Prinzen Joseph zu
Windisch-Graetz, k. k. Major im
4. Husarenregiment in Prag, den
sie 12 Jahre zuvor in Wien im
„Taglioniklub" kennengelernt har-
te. Nach einer beispiellos erfolg-
reichen Bühnentätigkeit wurde sie
im „Walten im häuslichen (und
gesellschaftlichen) Kreise" sehr
glücklich. Sie starb am 27. August
1891 in Neu-Aigen bei Tulln in
Niederösterreich.
Maries jüngere Schwester Auguste
hatte sich auch dem Theater, aber
nicht dem Tanz, sondern der
Sprechbühne zugewendet. Wie
Tante, Onkel und Schwester be-
gann sie ihre Bühnenlaufbahn in
Wien. Sie trat am 1. Dezember
1856 im Burgtheater ins Engage-
ment und debütierte am 5. De-
zember in der „Ersten Liebschaft"
(von Th. Hell); als „muntere
jugendliche Liebhaberin",
ihre Rollenbezeichnung lautete,
fügte sie sich gut in ihre Kunst
ein. Nach sieben Monaten ging
sie an die Königlichen Hoftheater
in Berlin, zu Vater und Schwester.
Am 1. September 1874 verließ sie
endgültig die Bühne; sie starb
hochbetagt am 8. Juni 1911 in
Tegel bei Berlin. Mit August:
schloß sich der Kreis künstlerisch
tätiger Taglioni auf deutschem
Boden. Die Geschichte der Familie
im 19. Jahrhundert ist gleich-
zeitig eine Geschichte des Bühnen-
tanzes in Europa.
wie
Avimlie "Ihvlii
S. 47, A .
Ährie Tiiglmni .i. j
S. 49, Abb, 9
LITERATUR
Friedrich 'l'ictz, MJIIC Tliglioni.
Erinlivrunßxhliiltcr .1... dem Leben
der Künstlerin. Berlin 1x66.
Hmgrapliixchcs um. des Kaiser-
- v. L Hd. 43 (Wien
1 um". Marie Taglioni.
mit 1'- . Englische Übersetzung
um Cyiil w. I1CILIIUUIILLDIIÖUII
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Lunrlnn 1054.
Mary (Hlfkf. m grtxll llJllCrlW.
Luiitltm wsv.