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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 60 und 61)

FELIX BRAUN Die Kunst unserer Zeit ist antinaturalistisch. Die Ursache der so genannten mm 
Die Bl-ldhlHlPrl-II [In Gjdniuggruplalbuber nen Bestrebungen, der surrealistischen, gegenstandslosen, abstrakten und ähnlici 
scheint mir in dem Begehren begründet, zwei Begrenzungen aufzuheben oder 
durchbrechen: die Begrenzung durch die drei Dimensionen des Raums und 
durch die fünf Sinne gegebene. Vilas der Musik, der Dichtung, der Malerei 
Experiment leichter fiel, konnte die Bildhauerei nicht sogleich erzielen, da ihr 
wie der Schauspielkunst, vor allem die Gestalt des Menschen aufgetragen bl" 
Spät gelang ihr der Versuch, diese Gestalt durch einen kühnen Appell an die Ph 
tasie des Betrachters der Ergänzung anheimzugeben. KWas wir durch äußere 2 
störungen als Torso überkommen haben, wird nun durch bewußre Auslassunj 
von Bestandteilen des natürlichen Körpers künstlich bewirkt. Henry Moore und 
junge irische Bildner Macwilliam haben wichtige Lösungen erreicht. Die gr 
artigste vielleicht war eben in der Ausstellung französischer Plastik im Schwarz 
bergpark durch die eherne Prophetenfigur des in Paris schaffenden Spaniers Pa 
Gargallo zu bewundern, von der wie von keiner „ganzen" Skulptur eine Berührt 
durch das Erhabene auf die Seele überging. 
Die Zeiten der vollkommenen Kunst sind selten über zwei Generationen hina 
reichend. Sähen wir die Kunstgeschichte der Erde als ein Gesamtes an, so würi 
wir erschrecken, einen wie geringen Anteil an ihr das Schöne besitzt. Heute, da 
die Kunst der farbigen Völker kennen, nehmen wir wahr, in welchem Ausn 
das Dämonische verwaltet, und weil sich die Menschen in ihren Göttergestal 
abspiegeln oder fortsetzen - wen kann es noch erstaunen, daß sich die eigi 
Häßlichkeit selbst abbilden muß? Das kleine Griechenland des fünften vorchr 
lichen Jahrhunderts hat, nicht ohne Einwirkung anderer mittelmeerischer Schöpfi 
gen, allein das Bekenntnis zu der ldee der Schönheit gewagt, das der Enthusiasn 
späterer Jahrhunderte wiederholt und in edlen Nachbildungen bezeugt hat. 
Es sieht aus, als ob heute für das Schöne nur etwa im Bereich des Kunsthandwe 
noch Raum sei. Der junge Maler, Bildhauer, Dichter fürchtet es fast. Andersi 
wird der berufene Künstler schwerlich auf die Tugend der Anschaulichkeit v 
zichten können. Gewiß hat es auch in frühen Zeiten abstrakte Kunst gegeben - n 
erinnere sich an den Stil der großen Dipylon-Vase -, doch hat die Geschicl 
mit Ausnahme der Juden des Alten Testaments und der Calvinisten und Puritan 
nirgends eine Feindschaft gegen das Bild feststellen können, obwohl aus religiö: 
Gründen sogar in Byzanz Ikonoklasten dem Vernichtungstrieb nachgegeben hatt 
XVie der Sinn für das Konkrete aus der Flucht in das Abstrakte neu sich wied 
herstellen kann, das ist noch verhüllt. Aber vom Abstrakten ist wohl viel gelernt w 
den. An manchen Werken jüngerer Künstler mag sichs einsehen lassen, und dann w 
das Fruchtbare des scheinbar Negativen erkannt werden. An dem Beispiel einerjung 
Tiroler Bildhauerin, Ilse Glaninger-Plalbzlber, möchte ich es zu erläutern versuchen 
Tirol, das angestammte Land der Bildnerkunst, Jahrhunderte vor Michael Pacl 
und den Meistern des Maximiliangrabmals in der Innsbrucker Hofkirche, ist I 
Heimat Ilse Glaninger-Halhubers, die von ihren Vorgängern das Geheimnis streng 
Gestaltgebung empfing. Der vortreffliche Bildhauer Pontiller war ihr erster Lehr 
doch fand sie Weisungen auch in anderen Werkstätten, und es ist schön, zu gewahr: 
wie die verschiedenen Epochen doch immer wieder das eine, das Ererbte und c 
zu Erzielende, beibehalten, das wohl durch den Zeitgeist Verwandlungen erfäh 
aber aus einerGrundtreue nicht anders hervorgeht als Pflanzen, die veredelt werden, a 
ihren Wurzeln. Das Übereinstimmende des Gotischen und des Barocken hat Wilhe 
Worringer nachgewiesen. In Tirol aber ist auch der Anteil der Renaissance ein verwar 
ter, und dieses Gemeinsame läßt sich ebenso gültig für unsere Zeitkunst feststellen. 
Nicht so weit wie die Bildhauer und Erzgießer anderer Völker wagen sich die c 
Alpenlandes vor: denn sie leben innerhalb einer großen Natur. Gleichwohl entsch 
den auch sie sich für ein gewisses Maß an Abstraktion, das die Kontinuität sell 
im Material aufhebt und nur die essentiellen Momente betont. Sogar in ihr 
Büsten hat Ilse Glaninger-Halhuber der reinen Linie die Notwendigkeit des Z 
sammenhangs hintan gesetzt - ich hebe die Büsten der Dichter Josef Leitg 
und Raimund Berger, besonders die späteste, die das Haupt des Arztes Antoi 
magistral darstellt, hervor -; aber in den Reliefs, die sie für Tiroler Landkirch 
geschaffen hat, wurde manche glückliche Findung für einen neuen bildnerisch 
Stil geformt, die sowohl dem zeitlichen Geschmack als auch dem Dienst am Schön 
gemäß ist. Hier sind vor allem die bedeutenden Leidensstationen und Ambonc 
reliefs in der neuen Kirche von Wlattens, ferner die nicht geringeren Arbeiten 
den Kirchen von Scharnitz, Seefeld, lmst, Nauders, Steinach und Rotholz hoch 
rühmen. Überall wird das Konkrete bewahrt, jedoch nicht im naturalistisch 
Sinn, und das Abstrakte einbezogen, nicht als Negatives, sondern als Stilbildendi 
ja, als jenes „Weglassen des Unwesentlichen", als das ein berühmtes Wort die Kur 
überhaupt definiert hat. 
Betrachten wir die Leidensstationen und Ambonen. so fällt zunächst auf, daß die 
Reliefs keinen Hintergrund, keine Perspektive haben und, was sie vorstellen, nic 
in einer kausalen Verbindung darbieten, sondern nach einem Grundsatz kumpxmii 
sind, den man in der Poesie „pats pro toto" nennt. Der Schauende kann aus chara
	        
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