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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 60 und 61)

 
HUNDERTWASSER 
BEZAUBERTE 
DIE LAGUNENSTADT 
Obwohl Österreich noch niemals so 
eindrucksvoll auf der Biennale von 
Venedig vertreten war. konnte es auch 
diesmal keinen Preis erringen. Der 
Biennalekommissör Professor Oberham- 
mer hatte aber durch Gegenüberstellung 
zweier so verschiedenartiger Persön- 
lichkeiten. wie des Bildhauers Avra- 
midis und des Malers Hundertwasser 
einen deutlichen Prestigeerfolg: von 
dem festlichen Anblick des Josef 
Hoffmon-Pavillons. den Hundertwasser 
mit farbigen Mörchenbildern ganz im 
Geiste der heroischen Zeit der Wiener 
Secession geschmückt hat und von der 
festlichen Art des Prüsentierens der 
Werke wird man noch lange in der 
Lagunenstadt sprechen. 
Natürlich muß die Wiederentdeckung 
Klimts und Schieles auf dem inter- 
nationalen Kunstmarkt dem bewußt in 
ihren Spuren wandelnden Maler Hun- 
dertwasser zugute kommen. Wuchern- 
des Ornament und jene ,.Verschimme- 
lung" von der er in seinen Manifesten 
spricht, lassen ihn als besten Vollstrecker 
ihres Willens erscheinen. Unvermeidlich 
wird der Name Hundertwasser einst 
mit dem von Klimt und Schiele in einem 
genannt werden müssen. Dieser Maler 
der unendlichen Spiralen. der bunten 
Spielzeughöuser, der spitzen Zäune. 
afrikanischen Oasen. tibetanischen Tö- 
ler, der roten Regentropfen. der Lepra 
alter Mauern, hat sich ein friedliches 
Königreich geschaffen. Den für die 
Malerei von heute so charakteristischen 
temperamentvollen, oft auch verzwei- 
felten Explosionsformen. stellt er die 
„langsame Explosion" der farbigen 
Zellenbildung gegenüber. Formen des 
Wachstums wuchern in den von ihm 
gemalten Oasen des Friedens. 
Avramidis. eine härtere. an der alten 
Mittelmeer-Kunst geschulte Persönlich- 
keit, läßt. wenn der Besucher der 
Biennale vor den zu dreißig Säulen 
verwandelten Figuren des gebürtigen 
Griechen weilt, an die Geometrie von 
Albrecht Dürer und Erhard Schön den- 
ken. Seine langwierige beharriiche 
Arbeit. die Klarheit seiner Formen wird 
von der Farbenglut Hunteriwosserscher 
Bilder in Kontrastwirkung voll zur Gel- 
tung gebracht. 
Den großen Preis der XXXI. Biennale 
errang diesmal Alberto Giacometti. ein 
Klassiker unter mehreren anderen. 
deren Werk die Biennale durch Groß- 
ausstellungen ehrt: Odilon Redon 
(1840-1916). der Symbalist, Arcliile 
Gorky (1904-1948) in dessen Oeuvre 
sich Elemente von Picasso, Miro und 
deutlich surrealistischer Tendenz glück- 
lich vereinen. Arturo Martini (1889 bis 
1947) Titanenarbeit an riesigen Marmor- 
blöcken, Mario Sironi (1885-1961) aus 
dessen gefühlstiefen melancholischen 
Bildern echte Monumentalität spricht. 
Vergeblich wird der hoffende Kunst- 
freund im Pavillon der Sowjetunion 
nach einem "Tauwetter" suchen. Der 
alte, so tief im 19. Jahrhundert ver- 
ankerte „sozialistische Realismus" der 
Stalinöra lebt doch unverändert weiter, 
der alte Abziehbilderstil im Dienste von 
Kolchosen, zum Schmuck sibii 
Bahnhöfe. Am Rande der Sow_ 
bessert sich das Bild. Rumänische 
ler imitieren bereits Guttuso. Aus 
und Jugoslavien lassen sich h 
notieren: Eugeniusz Eibisch, "l 
Brzowski, Oton Gliha. Vorteilhal 
sich im tschechoslowokischen Pc 
der freundliche Kamil Lhotak n 
malten Anekdoten von robuste 
ringerer Kunst ab. 
Manessier, Schöpfer abstrakter r 
formatiger Gemälde mit relig 
Hintergrund, erhielt den großen 
für Malerei. Als bedeutende Leist 
von mutigen Einzelgüngern er 
nicht minder Aufmerksamkeit di 
spachtelten Farbströme des Kan- 
Riopelle. wie die unter die fmnzö 
Trikolore gestellten Malereien d: 
bürtigen Russen Poliakoff. 
Die Italiener Mortotti, Pomodoro. 
chieri, die Engländer Dalwood 
Richards, die Deutschen Heckel 
Schuhmacher. die Holländer Cori 
Tajiri. ein bezaubernder naiver l 
namens Westerik. der Japaner 
mata f dies sind einige Höhep 
der leider auch schon einige f 
dungszeichen ahnen lassenden )' 
Biennole. Als schönste Überras( 
im Pavillon der USA dürfen die 
mungsvollen Montagen von Louis: 
velson genannt werden: Bretter. 5c 
Räder, Zahnschnitte. zerstörte B 
aus Großmutterzeit, in geistre 
Weise aneinandergefügt, vergolde 
heimnisvollen versunkenen Kathi 
len, Altären aus Atlantis gleichend. 
Arnulf Neu 
iiidcrtwcssel . uphOntklSChCä Schiff e 
ibcrg" (aus dci Biennolc m Venedig 
"IC von Rcnä Perrot, HDOTYS un Fasse 
Vt Villcige". 1955, 250x4t10cm, 
Saiten, Aubusson e Finanzministc. 
hris (aus der 1. internationalen 
c der Tapisserie in Lciiisannc 1962) 
GROSSE BIENNALE DER 
TAPJSSERIE AM GENFERSEE 
Mit einem einzigen, wenn auch sehr 
ansehnlichem Stück. Boeckls Stadthallen- 
gobelin. ist Österreich auf der Ersten 
Internationalen Biennale der Wand- 
teppichkunst in Lausanne vertreten. 
Grundbedingung zur Teilnahme war 
ein Mindestmaß van 12 m2, denn das 
CITAM (Centre International de la 
Tapisserie Ancienne et Moderne) wollte 
aus Repräsentationsgründen mit For- 
tissimo beginnen. Zum Citam-Präsi- 
denten wurde kein Geringerer als 
Jean Lurcat, der verdiente und be- 
kannte Erneuerer der Gobelinkunst. 
gewählt. Fast alle europäischen und 
mehrere Länder aus Übersee folgten 
der Einladung zu einem Unternehmen. 
das, mit beträchtlichen Mitteln versehen. 
hoffen läßt. neben den klalssischen 
Kunstbiennalen von Venedig und Säo 
Paulo zu bestehen. 
Dieser unter dem Patronat der Stadt 
Lausanne begonnenen Biennale (Juli 
bis September 1962) soll nach zwei 
Jahren eine andere, dem kleineren 
Teppichformat eingeräumte, folgen. Es 
 
wäre zu beklagen, wenn Österreich 
sich 1964 die Gelegenheit entgleiten 
ließe, mit einer größeren Anzahl von 
Bildteppichen an dieser Manifestation 
teilzunehmen. deren Bedeutung übri- 
gens auch durch die Mitgliedschaft von 
Andre Malraux im Ehrenkomitee der 
Biennale angedeutet ist. 
Rene Huyghe. der bekannte Kunst- 
publizist. hat die Renaissance der Go- 
belinkunst als das bedeutendste Ereignis 
im Jahrzehnt nach 1945 bezeichnet. 
Sinnvoll steht ein Werk des Erneuerers 
Lurgat, sein großer Bildteppich .,La 
Poesie". 1962 in Felletin ausgeführt. 
Maße 400 x 1060 crn. ebenso im 
Zentrum der Biennale wie die beiden 
Wandteppiche von Henri Matisse "Poly- 
nesien w- der Himmel" und "Polye 
nesien 7 das Meer". gewebt 1946 748 
in Beauvais nach dem Buntpapiere 
schnittkarton des Meisters. 
..Was ist heutzutage die Aufgabe der 
Tapisseriei". So fragt der bekannte 
Architekt Le Corbusier in seinem auf- 
sehenerregenden Katalogvorwort. .,Der 
Teppich ist das Wandbild unserer Tage. 
Wir sind Nomaden in Mietwohnungen. 
deshalb können wir keine Fresken an- 
bringen. Aber den Gobelin, diese 
Maueraus Wolle. können wir abhängen. 
einrollen. unter den Arm nehmen und 
an anderer Stelle aufhängen. Deshalb 
habe ich meine Bildteppiche ,Mural- 
nomad' genannt." Und als Beispiel für 
ein „Muralnomad" von Le Corbusier 
bringt die Biennale seinen 1962 in 
Felletin gewebten UNESCO-Teppich. 
Frankreich. das Land alter Tapisserien- 
kunst. hat auch andere bedeutende 
Werke nach Lausanne gebracht. Voll 
poetischer Kraft, reich an Detail. 
exquisit in der Farbe leuchtet der 
..Sang der Sterne". 1962, von Robert 
Wogensky. Aber auch die blau-schwarz- 
rate .,F6erie Mecanique". 1961. 
Andre Perrot. die "Wanderung 
1962, von Jean Piccirt le Doux best 
als exquisite Beispiele französischer 
belins. 
Auf der Höhe der Brüsseler Webet 
entzückt ein Gobelin von Anne B( 
"Kompositionen über Themen aus 
Typographie". 1959. Hartung und 
senkrechten Streifen im Bild, aber 
das Nordlicht mögen die Kanad 
Rousseau-Vermette zu ihrer schon 
fährlich einer Autodecke ähnli 
Tapisserie ..Kanadischer Winter" a 
regt haben. Auch im Jagdteppich 
Japaners Hirozo Murata wurde in 
wendung eines den Stoffen von Ab 
kleidern ähnlichen Goldgrundes 
fährliche Wege beschritten. 
Ein ernstes gedankenschweres V 
stellt der Pole Wojciech Sadley 
gewebt 1962. Bleiche Gestalten zwisi 
zwei Feuerströmen. in ihrer Hal 
auf die Höhe biblischer Symbolik 
bracht. berichten von Auschwitz. 
schwieriges Problem wurde sowohl 
danklich. wie formal, wie techniscl 
überzeugender Weise gelöst. Des Pc 
giesen Guilherme Camarinha vi 
tümliches Epos vom Senhor de N 
zinhos, 1960. die Gewebe der be 
Schweizer Denise Voita .,Strahlung 
1962 und Ch.-Fr. Philippe ..Die Schi 
1958. müssen als sehr gute Beispiel 
einer reichhaltigen Kollektion geni 
werden. Mit varnehmer Tiefstapelei 
schränkt sich der Schwede Einar For 
in einem hellgrau-grün-blau gehalte 
großen Gobelin „Brücken". 1959, 
zarteste Farben. Gletscher und Wä 
seines von Asen und Gnomen belel 
Nordlandes geben den Hintergr 
für ein Kunstwerk von hoher S 
rnungskraft und beispielhafter Diszi; 
Arnulf Neuw
	        
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