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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 62 und 63)

slisch sind. Aus 
knnn auch kaum sagen, daß er durch 
ein besonderes Wissen belastet gewesen 
wäre. er hat vielmehr. nach einer 
kurzen Phase naturalistischer und sur- 
realer Versuche, mit einer formalen 
Analyse des menschlichemKopfes an- 
gesetzt und ist erst durch diese Analyse 
- das scheint mir wesentlich ä zu 
einer Philosophie gekommen. die Kreuz 
und Kugel verbinden möchte und in 
manchem an das Denken Hegels er- 
innert. ln der Analyse des Kopfes 
zeigten sich zuerst Kreis2usommen- 
hänge, spüter Zylinder und Kuben. 
geometrische Formen mit vegetativem 
Ausdruck. Der Kopf schloß sich immer 
mehr zu. bis er überhaupt verschwand. 
Dieses Sichzuschließen zur nichtdiffe- 
renzierlen Kugel. bedingt durch die 
einseitige Vorherrschaft der Symmetrie. 
diese relative Ausdruckslasigkeit. die 
mangelnde Spannung im Werk war 
die eigentliche Gefahr seines Schaffens. 
Es fehlte. wenn man so sagen darf. 
das Kreuz. 
Durch die formale Analyse entstanden 
gleichzeitig jene punkthaften Einheiten, 
die für seine Arbeit seither charakteri- 
der geschlossenen 
Kugel. dem Nichts der Spannungs- 
losigkeit, begann sich wieder der Kopf 
zu entfallen. der jetzt, eben durch 
diese Formen, magisch anspricht. an 
indische, freilich auch an friihchristliche 
Kunst erinnernd. Die Einheiten bilden 
einerseits Gestalten (Mundpartie, Auge. 
Tierhaftes etc.) - Hartlauer spricht 
von Zellen. vom Urphanomen der 
Zelle w. können aber anderseits durch 
Zerlegung selber zu Gestalten werden 
(Paradoxie der Unendlichkeit!) Die 
Grundstruktur der "Zelle" ist das 
Quadrat (die ,.Vier"): ein auf die 
Spitze gestelltes Quadrat aufein anderes 
gelegt. Dadurch entsteht ein Achteck 
mit der Tendenz zum Kreis (bzw. zur 
Kugel), gleichzeitig aber auch Dreiecke 
(die ,.Drei"). Wesentlich ist, daß in 
den größeren Gestalten dieselbe Ge- 
setzmäßigkeit waltet wie in den kleine- 
ren oder kleinsten. wie potenziell auch 
in der punkthaften Einheit. wodurch 
die uralte spekulative Identität von 
Mikro- und Makrokosmos neu anklingt. 
Leitfaden bleibt der Kopf. der von den 
verschiedensten Ansichten her sich als 
Antlitz zeigt. Dieselben Einheiten (z. B. 
vier Punkte. quadratisch angeordnet, 
im Zentrum ein Kreuz) haben je nach 
ihrem Ort im symbolischen Raum 
(oben. unten. links, rechts), der den 
Standort des Betrachters einschließt. 
unterschiedliche Bedeutungen. Dadurch 
erscheinen verschiedene Gestalten. Sa 
z. B. zeigen die Augen oben das 
menschliche Antlitz. die Augen im 
Quadrat unten sprechen hingegen tier- 
haft an. 
Die geometrische Struktur der „Zelle" 
- die ineinandergeschachtelten Qua- 
drate - laßt sich am reinsten in der 
Flüche darstellen. Dies scheint mir der 
Grund, warum Hartlauer 1957 be- 
gonnen hat, mit Platten zu arbeiten 
(Relief) und notwendigerweise zur 
Zeichnung (auf Rasterpapier!) geführt 
wurde. nachdem er fast zehn Jahre 
hindurch nicht mehr gezeichnet hattel). 
Die Platten bzw. Zeichnungen sprechen 
dieselbe Sprache wie die Kopfplastik. 
nur daß sie naturgemäß "abstrakter" 
sind und so an den Aufnehmenden 
höhere Anforderungen stellen. thr Vor- 
teil freilich ist, daß sie die formalen 
Probleme deutlicher aufgeben und so 
auch eine einsichtigere Lösung er- 
möglichen. Kunst wird hier wieder zur 
Forschung. Die Sprache bleibt dieselbe: 
Der schöpferische Prozeß des Kreuzes 
ergibt Punkte. die Gestalten bilden. und 
tendiert durch seine adäquate Aus- 
führung über das Achteck zum differen- 
zierten Kreis. in dem alles aufgehoben 
ist. 
Das entscheidende Problem Hartlauers 
und seines Werkes ist die alte Frage 
der Philosophie. oder sagen wir lieber 
des Menschen. nach den Gründen und 
Folgen der lndividuation, die als 
Abfall vom Ganzen. vom Absoluten, 
als Urschuld empfunden wird. freilich 
auch als notwendige Trennung, Ver- 
selbstündigung: die Tragödie der 
Menschwerdung. Der ursprüngliche Zu- 
stand des paradiesischen Eingebettet- 
seins ist nach der spannungsgeladenen 
Differenzierung weder erstrebenswert 
noch erreichbar v gesetzt. daß man 
die sinnenfüllige Realität nicht zum 
tüuschenden Schein verflüchtigt. Eine 
Kunst. die einen solchen Zustand ver- 
sinnbildlichen wollte. müßte zu einem 
gestaltlosen Werk führen, zu einer 
conlradictio in adjecto. Hartlauer hat 
diese Versuchung durchgemacht und 
seine Sprache gefunden: Worauf es 
ankommt. ist. sich in neuer Weise ins 
Ganze zu fügen. die verfestigten Gegen- 
sötze zu überwinden. Kontakt zu be- 
kommen mit den Dingen. die Ent- 
fremdung aufzuheben, nicht sie rück- 
gängig zu machen. So soll der einzelne 
aufgehoben sein im Ganzen wie die 
Punkleinheit in der Zelle. nicht unter- 
jocht oder gar ausgelöscht. sondern 
auf seinem Platz, mit seiner Funktion 
und Bedeutung. Ob das mehr ist als 
ein Wunsch. ist angesichts von Kunst 
nicht sehr entscheidend. Ob Hartlauer 
seine Aussage bereits endgültig. d. h. 
so formuliert hat. wie es möglich würe. 
bleibt offen. 
Das Bedenken liegt nahe, die philo- 
sophische Deutung sei in das Werk 
hineingetragen worden. Ein solches 
Bedenken lößt sich schwerlich durch 
handfeste Argumente zerstreuen. Mir 
will scheinen. daß das Werk selber 
so spricht. Allerdings nicht zu einem 
flüchtigen Betrachter, dem es dekorativ 
vorkommen mag. Es fordert die Medi- 
tation: nicht das Hineindeuten. aber 
das Hineinschauen. Dies zu erleichtern. 
ist der Zweck des Kommentars. 
Wiederabdruck aus "o." Kunstwerk" 121xv. m2. mit freundlicher Genehmigung 4.; m, 
Verlages. Buden-Buden
	        
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