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Volltext: Alte und Moderne Kunst VIII (1963 / Heft 66)

Maße geübt, weil gegen den großen EinHuß von 
Donners klassischer Kunst keine andere Richtung 
aufkommen konnte, die W wie das Rokoko in 
Bayern - mehr die barocke Tradition, eine be- 
wegtere und dekorativ aufgelöstere Formgebung 
befürwortet hätte. So sind die Sonntagberger An- 
betungsengel, trotz aller Ähnlichkeit der Gesin- 
nung mit dem „zarten Stil" Bayerns, nicht als 
Rokokoplastiken anzusprechen, da im Gesamtein- 
druck doch das Vorbild Donners das Überge- 
wicht hat; und überdies wirken sie bedeutend 
akademischer. 
Anders verhält es sich mit den großen Engeln, die 
das (inadenbild halten (Abb. 2, 3, 4). Hier tritt 
wieder die barocke Tradition mehr in den Vorder- 
grund. Und diese Tendenz ist so stark, daß der 
Einfluß Donners bloß auf die dicht wirkende Plasti- 
zität beschränkt bleibt, die Qualitäten des „zarten 
Stils" jedoch ganz zurücktreten und die traditionellen 
Elemente den Ausschlag geben. 
Schon vom Thema her wird hier noch einmal das 
große Anliegen des Barock aufgegriffen, ein Wunder, 
ein bloß im visionären Bereich erlebbares Ereignis 
zu vergegenwärtigen: Engel tragen das Gnadenbild 
und bieten es den Gläubigen zur Verehrung dar. 
Die Darstellung der Erscheinung ist in Gold, Silber 
und Weiß, also in entmaterialisierenden Farben ge- 
halten, wodurch die schwebende Leichtigkeit der 
Komposition noch betont wird und zu der schweren 
rotmarmornen Architektur des Tempels höchst 
efTektvoll kontrastiert. Für die Engel wurde ein 
sehr feinkörniger weißer Marmor verwendet, der 
ihre Gestalten schimmernd und wie transparent 
leuchten läßt. Und nun wendet die barocke Ge- 
staltungsweise einen Kunstgriff von unerhörter 
Kühnheit an: jenes Medium, das gerade wegen seiner 
entmaterialisierenden Eigenschaft für die Schaffung 
eines visionären Eindrucks ausgewählt wurde, der 
alabasterartige Marmor, wird für eine i.n extremem 
Gegensatz dazu stehende realistisch abbildende 
Darstellung dienstbar gemacht. Aus der Verbindung 
eben dieser beiden gegensätzlichen Faktoren er- 
wächst eine eminente Steigerung der Wirkung, in 
der eben das Geheimnis der Faszination barocker 
Kunst begründet liegt. Die Verwirklichung des 
Überirdischen ist so intensiv, daß die Gläubigen 
sich nur mit staunender Ergriffenheit dieser Illusion 
hingeben konnten. Die irdische, beinahe ver- 
führerische Schönheit der Engel (Abb. 2, 3) strahlt 
stärkste sinnliche Präsenz aus und ist gleichzeitig 
doch immateriell. 
Die Sonntagberger Engelpaare gehören zweifellos 
in die erste Reihe später Wiener Barockplastiken. 
An Marmorbildwerken gibt es in diesen Jahren 
nichts, das ihnen an die Seite zu stellen wäre, und in 
der technischen Ausarbeitung bezeugt Schletterer 
ein nahezu virtuoses Können (Abb. 2, 9). Während 
die Künstler der jüngeren Generation den Zeitstil 
um die Mitte des Jahrhunderts in seiner komplexen 
Erscheinung als vollendete Tatsache vorfanden, hat 
Schletterer seine Entstehung, die ganze Skala der 
Möglichkeiten und Abwandlungen des Barock 
selbst erlebt und als Akademieprofessor beeini-lußt. 
Diese reichen Erfahrungen versetzten ihn in die 
Lage, je nach dem Thema die verschiedensten 
Variationen anzuwenden, die ihm geeignet schienen, 
von ihm erstrebte Wirkungen zu erzielen. 
Sein ruhiger Akademismus, der sich um die Dar- 
stellung eines harmonischen, antikisch idealisierten 
Menschenbildes bemühte, erklärt es, daß die be- 
deutendsten Meister des österreichischen Klassi- 
zismus seine Schüler waren, Hagenauer, Martin 
Fischer und Zauner, und die spätere Generation 
seine Werke wohlwollend beurteilte, wobei sie 
gerade die Natürlichkeit, „die XVahrheit und Simpli- 
zität" daran lobend hervorhob.
	        
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