Maße geübt, weil gegen den großen EinHuß von
Donners klassischer Kunst keine andere Richtung
aufkommen konnte, die W wie das Rokoko in
Bayern - mehr die barocke Tradition, eine be-
wegtere und dekorativ aufgelöstere Formgebung
befürwortet hätte. So sind die Sonntagberger An-
betungsengel, trotz aller Ähnlichkeit der Gesin-
nung mit dem „zarten Stil" Bayerns, nicht als
Rokokoplastiken anzusprechen, da im Gesamtein-
druck doch das Vorbild Donners das Überge-
wicht hat; und überdies wirken sie bedeutend
akademischer.
Anders verhält es sich mit den großen Engeln, die
das (inadenbild halten (Abb. 2, 3, 4). Hier tritt
wieder die barocke Tradition mehr in den Vorder-
grund. Und diese Tendenz ist so stark, daß der
Einfluß Donners bloß auf die dicht wirkende Plasti-
zität beschränkt bleibt, die Qualitäten des „zarten
Stils" jedoch ganz zurücktreten und die traditionellen
Elemente den Ausschlag geben.
Schon vom Thema her wird hier noch einmal das
große Anliegen des Barock aufgegriffen, ein Wunder,
ein bloß im visionären Bereich erlebbares Ereignis
zu vergegenwärtigen: Engel tragen das Gnadenbild
und bieten es den Gläubigen zur Verehrung dar.
Die Darstellung der Erscheinung ist in Gold, Silber
und Weiß, also in entmaterialisierenden Farben ge-
halten, wodurch die schwebende Leichtigkeit der
Komposition noch betont wird und zu der schweren
rotmarmornen Architektur des Tempels höchst
efTektvoll kontrastiert. Für die Engel wurde ein
sehr feinkörniger weißer Marmor verwendet, der
ihre Gestalten schimmernd und wie transparent
leuchten läßt. Und nun wendet die barocke Ge-
staltungsweise einen Kunstgriff von unerhörter
Kühnheit an: jenes Medium, das gerade wegen seiner
entmaterialisierenden Eigenschaft für die Schaffung
eines visionären Eindrucks ausgewählt wurde, der
alabasterartige Marmor, wird für eine i.n extremem
Gegensatz dazu stehende realistisch abbildende
Darstellung dienstbar gemacht. Aus der Verbindung
eben dieser beiden gegensätzlichen Faktoren er-
wächst eine eminente Steigerung der Wirkung, in
der eben das Geheimnis der Faszination barocker
Kunst begründet liegt. Die Verwirklichung des
Überirdischen ist so intensiv, daß die Gläubigen
sich nur mit staunender Ergriffenheit dieser Illusion
hingeben konnten. Die irdische, beinahe ver-
führerische Schönheit der Engel (Abb. 2, 3) strahlt
stärkste sinnliche Präsenz aus und ist gleichzeitig
doch immateriell.
Die Sonntagberger Engelpaare gehören zweifellos
in die erste Reihe später Wiener Barockplastiken.
An Marmorbildwerken gibt es in diesen Jahren
nichts, das ihnen an die Seite zu stellen wäre, und in
der technischen Ausarbeitung bezeugt Schletterer
ein nahezu virtuoses Können (Abb. 2, 9). Während
die Künstler der jüngeren Generation den Zeitstil
um die Mitte des Jahrhunderts in seiner komplexen
Erscheinung als vollendete Tatsache vorfanden, hat
Schletterer seine Entstehung, die ganze Skala der
Möglichkeiten und Abwandlungen des Barock
selbst erlebt und als Akademieprofessor beeini-lußt.
Diese reichen Erfahrungen versetzten ihn in die
Lage, je nach dem Thema die verschiedensten
Variationen anzuwenden, die ihm geeignet schienen,
von ihm erstrebte Wirkungen zu erzielen.
Sein ruhiger Akademismus, der sich um die Dar-
stellung eines harmonischen, antikisch idealisierten
Menschenbildes bemühte, erklärt es, daß die be-
deutendsten Meister des österreichischen Klassi-
zismus seine Schüler waren, Hagenauer, Martin
Fischer und Zauner, und die spätere Generation
seine Werke wohlwollend beurteilte, wobei sie
gerade die Natürlichkeit, „die XVahrheit und Simpli-
zität" daran lobend hervorhob.