Notizen aus dem Kunstleben und Kunsthandel
Der nebenstehende Bzimtq Slrlltittlt viin
Professur E. sniqaniii, w ilttl in.
Okmlier 1962 in iVieil im Alm min
79 jallrcii Vtrslütbflt m.
') Siehe dazu: Otto Benesch. nt-londzeich-
nungen des Luca Giordano" (Wien, Ver-
lag ca. Hölzel s Co..1913)
E. Schaffran
ZEJCHNUNGEN DES LUCA
GIORDANO. NEUERWER-
BUNGEN DER ALBERTINA
Als die Zeitgenossen des alten Luca
Giordano (1632-4705) ihm den Zu-
namen ..lI fa presto" gaben und damit
sowohl die ungeheure Fülle der künst-
lerischen Produktion wie das sicher
ungewöhnlich rasche Tempo seiner
Arbeit bezeichnen wollten. war dieser
Zuname noch ohne Disqualifikation.
Erst im Klassizismus und dann im
19. Jahrhundert wurde daraus eine
bewutlte Herabsetzung; sie war iedoch
ungerecht.
Nun ist Luca Giordano, was die zweite
Hälfte des 17. Jahrhunderts anbelangt.
neben Mottia Preli nicht nur der be-
deutendste Maler des neapolitanischen
Hochbarocks. sondern auch ein Künstler
von hohem Rang in der ganzen clci-
maligen italienischen Malerei. Das gilt
weniger von seinen vielen Fresken als
weit mehr von seinen Tafelbildern.
unter denen jene mit mythologischen
Themen den anderen voranstehen.
Um die Bedeutung dieser Tafelbilder
würdigen zu können, ist die Kenntnis
der Zeichnungen des Giordano not-
wendig. Es ist daher sehr erfreulich.
1 Luca Giordano. Studie fur
Madonna mit Kind und
ht. Johannes. Feder. BISIEI,
Kohlevorzeichnung
2 Luca Giordano. Fürstenpor-
trcit mit allegorischen Figuren,
Feder. Tusche. Kohlevor-
Zeichnung z
wenn es nun der ..Albertina" gelang,
aus der Sammlung Luboiatzky in
Gloggnitzt) 37 Blätter mit Zeichnungen
von der Hand des Neapolitaners zu
erwerben und damit sowohl die bisher
knappe Kenntnis der Handzeichnungen
zu erweitern wie auch für die Beur-
teilung der Tafelbilder neue Unterlagen
zu erhalten. Einige Blätter sind auf
beiden Seiten vom Künstler verwendet
worden. Die Zeichnungen entstanden
im Zeitraum von ungefähr 1655 bis
1680. gehören also der frühen, der
mittleren und dem Beginn der letzten
Schaffensperiode an. An ihnen ist zu
erkennen die längere Zeit währende
Beeinflussung des Giordano durch die
Carracci und besonders durch Pietro
da Cortonci. also durch eine fast anti-
barock. vorklassizistisch erscheinende
Kunst. und später. dank des mehr-
maligen Aufenthaltes in Venedig. die
noch größere und keineswegs nur ober-
flächlich bleibende Anregung durch
Paalo Veronese und Jacopo Tintoretta.
Es gibt Mythologien des Giordano. die
in Auffassung. Komposition und in
Typen wie eine unmittelbare Fort-
setzung des Tintoretta wirken, obwohl
doch mindestens 80 Jahre dazwischen-
liegen.
Auf landschaftlichem Gebiet (ein wich-
tiger Bestandteil der Mythologien) er-
hielt Giordano ferner Impulse durch
Claude Lorrain und Poussin: es ist
schade. daß sich davon in den Albertina-
Zeichnungen-nichts widerspiegelt,
Um die Zeichnungen des Giordano in
der Albertina würdigen zu können. sei
kurz auf die Entwicklung des Künstlers
hingewiesen: seine früheste Zeit stand
im Zeichen des Ribera. Das vergeht
bald. Zeichnungen aus dieser Epoche
der Schulung fehlen bisher, Dann tritt
Rom in den Vordergrund. es sind. wie
schon erwähnt, die Carracci und Pielro
da Ccrtona. die von besonderer Bedeu-
tung werden. und damit reihte sich
Giordano in den mittelitalienischen
Seicentoklassizismus um 1655160 ein.
ihm iedoch eine stärkere Dynamik und
eine größere Koloristik zuführend. Bei
weiteren Reisen gelangte Giordano
mit 25 Jahren bereits ein führender
Maler in Neapel, unausgesetzt und
umfangreich schaffend - zweimal nach
Venedig. Nun werden für ihn besonders
Veronese und Tintoretta richtung-
gebend. und darin mag wohl auch die
Ursache liegen. dciB der Neapolituner
um 1670 Werke schafft. in denen er
Wesentliches für die Kunst des Seba-
stiano Ricci und für G. B, Tiepolo fest-
legte. Dieser Erscheinung näher nach-
zugehen wäre kunstwissenschaftlich
ebenso wichtig wie interessant. Nach
1680 beginnt sich die bisher zeichnerisch
geradezu klassizistisch verfestigte Art
des Luca immer mehr aufzulockern und
geht schließlich in eine hemmungslose
Dynamik und in eine ganz freie
Koloristik über.
Das italienische Barock ahmte gerne
bis zur völligen Täuschung nach: "Chi
non sa stupire. vada aila striglia".
Auch Giordano. Er apperzipiert mit
genialer Leichtigkeit und mit jener
Naivität. die dem neapolitanischen
Volkscharakter entspricht. Doch geht
Giordano dennoch nie so weit, als man
es ihm damals schon vorzuwerfen be-
gann. Er bleibt immer er selbst und es
gelingt iederzeit. auch in den weitest-
gehenden Imitationen. den echten
Giordano herauszulösen. Denn er ist
kein Problematiken sondern ein naiver
Augenmensch.
Für die jetzt in der Albertina befind-
lichen Zeichnungen verwendete der
Künstler tiefbraune bis schwarze Tu-
sche, dann Bister. schwarze Kreide und
für die Vorzeichnung noch Kohle.
Pentimenti sind zahlreich vorhanden:
mitunter werden für Korrekturen neue
Papierteile aufgeklebt und die weitere
Fassung darauf gezeichnet. Oft zeichnet
Giordano Figuren der Rectoseite der-
art kräftig. daß sie sich auf der anderen
Seite des Blattes durchdrücken und
dann. aber seitenverkehrt. für die
weitere Entwicklung der Komposition
etc. verwendet werden können. Von
den 37 Albertiria-Btättern sind die
meisten erste Notizen von Ideen. andere
wieder Bewegungsskizzen. einige auch
Kompositionsentwürfe in erster An-
deutung. Doch konnte es bisher bei
keinem Blatt gelingen. eine Beziehung
zu einem Tafet- oder Freskogemälde
herzustellen. denn das Oeuvre des
Giordano ist noch viel zuwenig durch-
forscht. und an ein lückenloses Werk-
verzeichnis ist wegen der ungeheuren
Fülle des Materials kaum je zu denken.
Die .,Madonna mit Kind und dem
kleinen Johannes" (Abb. 1. lnv.-Nr.
34.206 recto) gehört mit demMadonnen-
blatt lnv.-Nr. 34.177 der römischen
Zeit an. denn vieles weist auf P. da
Cortona, auf Lodovico Carracci und
sogar auf die spüle Raffaelschule.
Ebenfalls noch im römischen Einfluß-
kreis entstanden. aber mehr von der
damaligen Graphik als von Gemälden
inspiriert. ist die leicht und genial hin-
gesetzte Federzeichnung einer "Aurora"
(lnv.-Nr. 34.182). Die Strichführung.
die klare Formendarstellung lassen
das Blatt als ein schönes Denkmal
des seicentesken Klassizismus erschei-
nen. die Kohlevorzeichnung ist an
mehreren Stellen noch zu merken. In
der Typenbildung besteht Ähnlichkeit
mit dem Blatt "Sich kämmende Frau.
hinter ihr eine Büste". Doch während
die ..Aurora" spätestens urn 1660 ent-
standen ist. gehört das andere Blatt
der späten Periode an. da alles in
formenauflösende Bewegung geraten
ist, Dennoch ist das dem Giordano
Gemeinsame nicht zu übersehen.
Ein weiteres Blatt bringt eine wie durch
einen Sturm hingefegte ovale Komposi-
tionsskizze ..Apotheose eines Heiligen"
(Pinsel, lnv.-Nr. 34.200 recto). Es ist
von einer geradezu verschwenderi-
schen Genialität. eine Skizze für eine
(nicht ausgeführte?) Lunette. Spät ent-
standen. bereits in der Zeit restloser
dynamischer Hypertrophie. zeigen sich
doch noch Erinnerungen an die frühere
Forrnenstrenge. z. B, in der Figur des
Heiligen. Eine solche breite Pinsel-
technik hat Luca in der Spützeit oft.
aber nicht ausschließlich verwendet.
Denn auch mit feinen Federstrichen
war es ihm möglich. die neuen Stil-
veränderungen wiederzugeben. wie das
z, B, Abb. 2 zeigt, eine ..AlIegorie auf
ein Fürstenbildnis". So klassizistisch das
Blatt vorerst aussehen mag. so ist es
dennoch spätestes Barock, denn hier ist
alles Bewegung. die Kraftlinien kontra-
postieren nicht mehr. sondern sie dis-
tonieren.
Einen guten Beleg der hohen Befähigung
des Giordano für rasch hingesetzte
ldeenskizzen bietet eine Federzeich-
nung mit zwei Studien für einen
..Bethlehemitischen Kindermord" (ln-
ventar-Nummer 34.192. recto). Der
männliche Rückenokt vorne ist ebenso
klar wie im klassizistischen Sinne
gekonnt.
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