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Full text: Alte und Moderne Kunst VIII (1963 / Heft 67)

Günther zurückgehenden Goldschmiedearbeiten, die 
unserer Meinung nach in der ersten Hälfte der 
sechziger Jahre, jedenfalls bestimmt vor 1767, ent- 
stand, da in diesem Jahre noch die Krone hinzugefügt 
wurde 5). Sie steht, wie man sieht, stilistisch zwischen 
der Atteler und der neu entdeckten Madonna. Gegen- 
über der ersteren noch wesentlich räumlicher emp- 
fundenen Figur ist diese bedeutend flächiger gehalten 
und zur Einansicht tendierend, was bei Günther ein 
wichtiges Faktum zur Datierung seiner Werke dar- 
stellt. Die Eingliederung des letzteren Stückes in das 
übrige VUerk des Münchener Meisters ergibt sich 
aber auch noch durch einen anderen, stilistisch sehr 
aufschlußreichen Vergleich mit einem bisher un- 
veröffentlichten, aus Lindenholz geschnitzten und 
ganz vergoldeten lrnmakulata-Relief  111 cm). Es 
gehört als letzte Darstellung zu einem insgesamt 
16 Stück umfassenden marianischen Zyklus von 
Chorgestühlreliefs in der Münchener Frauenkirche 
(1774) 5). Diese Arbeiten gehören zu den letzten 
erhaltenen Werken Günthers, der ein knappes Jahr 
nach ihrer Vollendung starb. Bei aller stilistischen, 
typologischen und motivischen Verwandtschaft, die 
bis in die Details 4 z. B. bei dem an der gleichen 
Stelle im Mantel in Erscheinung tretenden Putten- 
köpfchen - spürbar werden, ist doch evident, daß 
die bisher unbekannte Madonna keinesfalls in den 
Bereich dieses kantigen verhärteten Faltenstiles mit 
seiner metallischen Kalligraphie und seiner zur Manier 
gewordenen Parallelisierung der Gewandfalten ge- 
hört, die eine allerletzte Phase im Werk Günthers 
darstellt. Wie bei so vielen Künstlern des Barock 
gibt es auch bei diesem Bildhauer auffallende Typus- 
Wiederholungen. So verwendet er „den" Immakulata- 
Typus, den wir bereits in seinen bedeutendsten 
Beispielen kennengelernt haben, dann „den" Mater- 
Dolorosa-Typus, „die" Engels-Pietä- und Kruzifix- 
Darstellungen. Merkwürdigerweise wurde bisher 
noch niemals die wichtige Frage aufgeworfen, woher 
der für Ignaz Günther so überaus charakteristische 
Immakulata-Typus abzuleiten ist. Es sind für die 
Gesamtfiguration und gesondert für den Kopftypus 
zwei bisher unerkannte, aus der Malerei und Plastik 
stammende Vorbilder nachzuweisen, die ihrerseits 
nicht miteinander in Verbindung stehen und beide 
aus ganz verschiedener Zeit stammen. Was die erstere 
anbetrifft, so ist die Günther unmittelbar vorausge- 
hende venezianische Malerei des 18. Jahrhunderts mit 
Sicherheit ihr Ausgangspunkt. Daß gerade die Kunst 
Venedigs das typusmäßige Vorbild für diese Werke 
des in München arbeitenden Rokokobildhauers ab- 
gab, ist angesichts der zwischen den beiden Kunst- 
kreisen bestehenden engen Beziehungen nicht ver- 
wunderlich, wenngleich diese für die Malerei des 
Rokoko wesentlich offener zutage treten als es bei 
der Plastik zur Zeit Günthers der Fall ist. Am näch- 
sten kommt diesem in Rede stehenden Günthertypus 
ein bisher unbekanntes, um die Mitte des 18. Jahr- 
hunderts zu datierendes, sehr ausdrucksvoll gemaltes 
Bild von Giovanni Antonio Guardi (1698A1760), das 
früher in französischem Privatbesitz war (ÖljLuu; 
110x97 cm). Es geht wiederum auf eine von 
Sebastiano Ricci im Jahre 1732 geschaffene Immaku- 
lata zurück, die sich früher als Altarbild in S. Vitale 
in Venedig befand (heute in der Akademie-Galerie) 7). 
Das mit Händen zu greifende venezianische Vorbild, 
das vor allem für die Struktur der Gewandfalten 
Günthers mit ihrer das Standmotiv der Figur ent- 
wertenden schwingenden mittleren Diagonale und 
der darnit verbundenen Vertikalisierung der Falten- 
drapierung von entscheidender Bedeutung ist, hat 
im Werk des Bildhauers auch sonst seine deutlich 
sichtbaren Spuren hinterlassen. So folgt ihm darin 
die Gestalt der zum Himmel auffahrenden Maria 
mit ihren weit ausgebreiteten Armen auf dem Relief 
in der Schloßkapellc zu Sünching (1760) fast wört- 
lich. Dazu gibt es bei ihm etwa gleichzeitige und 
später entstandene Varianten des gleichen Typus in 
Gestalt einer knienden lmmakulata in Berlin und im 
Gegensinn bei der Figur des apokalyptischen Weibes 
auf dem Aufsatz des Hochaltares in hlallersdorfg). 
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch eine 
bisher unveröffentlichte Zeichnung des Bildhauers, 
auf der die Skizze einer auf der Weltkugel knieenden, 
von Engeln und einem Strahlenkranz umgebenen 
lmmakulata im Gebet wiedergegeben ist, von der 
eine Ausführung nicht bekannt ist oder sich nicht 
erhalten hat9). Der Vergleich der kleinformatigen 
Immakulata-Gestalten Günthers mit der Guardi- 
Komposition ist sehr aufschlußreich, insofern, als 
das vergleichsweise schwere Pathos mit seiner 
dramatisch zugespitzten Attitüde und dem zum 
Himmel gerichteten theatralischen Blick von dem 
Münchener Bildhauer nicht mit übernommen wurde. 
Er stand dem von ihm selbst erwählten oder von 
seinen jeweiligen Auftraggebern gewünschten italie- 
nischen Vorbild in einer bestimmten inneren 
Distanzierung gegenüber. Dies gilt vor allem für die 
Wahl seines Kopftypus, bei dem Ignaz Günther in 
künstlerischer Freiheit überraschenderweise auf ein 
ganz anderes, nicht aus dem 18. Jahrhundert stam- 
mendes Vorbild zurückgriif. Der bei Günther zu 
findende, typologisch genau erfaßbare, auffallend 
klein gebildete Madonnenkopf, mit seinem glatt 
anliegenden, in der Mitte gescheitelten Haar, mit 
seinem seitlich geneigten Haupt und dem abwärts 
gerichteten Blick geht eindeutig auf einen „klas- 
sischen" Archetypus zurück, der von Frangois Du- 
quesnoy gen. il Fiammingo um 1630 in Rom mit 
seiner hl. Susanna in S. Maria in Loreto geschaffen 
wurde. Der in Frage kommende Kopftypus ver- 
breitete sich freilich weniger von der großen Figur 
mit ihrer „klassischen" Gewanddrapierung aus als 
vielmehr von einer auch noch heute in mehreren 
Exemplaren nachweisbaren eigenhändigen Reduktion 
in Form einer kleinen Bronzebüste (H. 23,5 cm) 10). 
Joachim von Sandrart nennt sie „sehr anmutig, 
kunstreich" und setzt hinzu: „gegossen zu Rom"11). 
In typusmäßiger Abwandlung gibt es dazu vom 
gleichen Künstler zwei ebenfalls mehrfach nach- 
zuweisende eigenhändige kleine Bronzebüsten, die 
schon von Bellori erwähnt wurden. Sie werden als 
Madonna und jugendlicher Christus bezeichnet. Es 
ist wirklich verblüffend, zu sehen, wie eng Günther 
bei der Wiedergabe seiner Madonnenköpfe in der 
Haltung des kleinen, seitlich leicht geneigten Hauptes, 
in der Haartracht und in der Augenstellung sich an 
das noch im 18. Jahrhundert berühmte Duquesnoy- 
sche Vorbild anlehnte, was auch für die ausdrucks- 
mäßige Haltung dieser Stücke gilt. Die Duquesnoy- 
Bronzebüsten lernte Ignaz Günther mit einer an 
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit über die 
Vermittlung der Akademie in Wien kennen, wo es 
von beiden Werken je ein - aus altem k. u. k. Hof- 
besitz stammendes 7 Exemplar gibt, die sich heute 
im dortigen Kunsthistorischen Museum befinden. 
Unsere Madonnenstatuette und das im Jahre 1774 
entstandene Chorgestühlrelief in der Münchener 
Frauenkirche stimmen gegenüber der Atteler Im- 
makulata und der lngolstädter Silbermadonna mo- 
tivisch darin überein, daß bei den beiden ersteren 
Figuren auf der linken Mantelinnenseite das paus- 
s lgnzz Günther. lmmakulata, 1714, 
n. m cm. München, Frauenkirche
	        
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