„IL CALLOTTO RESUSCITATO ODER NEU EINGERICHTES ZWERCHEN CABINET“
Der „Callotto“, wie eine zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstandene Stichserie allgemein
bezeichnet wird, spielt auf den berühmten Jacques Callot zwar im Titel an (Abb. 94), die
dargestellten Zwerge selbst haben jedoch mit seinen ,,Gobbi“ nichts mehr gemeinsam.
Die Zwerge des „Callotto“ wurden im 18. Jahrhundert sowohl von der Klein- als auch von der
Großplastik (besonders für die sogenannten „Zwerglgärten“) als Vorlagen verwendet.
Porzellanzwerge, die auf dem „Callotto“ basieren, sind vor allem aus den ältesten euro
päischen Manufakturen - Meißen, Wien, Capodimonte - bekannt (Schmidt 1953,
S. 96-109); direkte Rückgriffe auf die „Gobbi“ Callots, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts
entstanden, sind mir aus frühem europäischem Porzellan jedoch kaum bekannt.
Die Zwergenserien des „Callotto“ wurden offenbar in sehr vielen Ausgaben verbreitet, die
keineswegs miteinander identisch sein mußten. Meines Wissens können wir drei große
Gruppen unterscheiden, die voneinander sowohl im Format als auch in der Art der
Darstellung abweichen:
1. Gruppe: Darstellung von mehreren Zwergenfiguren auf einem Blatt. Diese Serien könnten
die Vorbildstiche für die Augsburger und Amsterdamer Gruppe gewesen sein.
2. Die Augsburger Gruppe: Einzeldarstellungen von Zwergen in reichem, groteskem
Rahmen.
3. Die Amsterdamer Gruppe: Einzeldarstellungen von Zwergen, ohne groteskem Rahmen,
mit reichhaltigem Text, im Gesamtformat wesentlich kleiner als die Augsburger Gruppe.
Innerhalb dieser Gruppen unterscheiden sich die einzelnen Ausgaben manchmal - vor allem
im Umfang - wieder beträchtlich voneinander. Festgestellt sei etwa, daß die beiden
Amsterdamer Ausgaben des British Museum (eine davon 1716 datiert) außer den bekannten
Zwergen auch 12 Monatsdarstellungen und tanzende Paare enthalten. Die 12 Monate sind
als eigenständiges Werk auch als englische Stichserie im British Museum, London, erhalten.
Die chronologische Einordnung der Augsburger bzw. Amsterdamer Ausgaben bedarf
ebenso einer endgültigen Klärung wie die Frage nach Entstehungsort und -zeit der
ursprünglichen Vorlagen. Wichtige Grundlagenforschung von seiten der Porzellanwissen
schaft wurde bereits geleistet.
Die eingehendsten Forschungen zur Datierung und Provenienz des „Callotto“ betrieb Ernst
Kramer, Fulda; sehr wichtig sind auch der Katalog zu der 1975 im Stift Altenburg abgehaltenen
Ausstellung „Groteskes Barock“ und die von Gerhard Winkler verfaßten Katalogtexte. Beide
Wissenschafter werden im folgenden immer wieder zitiert.
In einem seiner Rundschreiben verweist Kramer darauf, daß J. Andr. Pfeffel am 23.6.1702
vom Kaiser ein Privileg „über neu inventierte Kupferstichbilder“ erhielt. Die Vorbildstiche,laut
Kramer (briefliche Mitteilung vom 30.8.1971) noch in Wien entstanden, faßten auf einem Blatt
immer jeweils 6 bis 8 Figuren zusammen. „Kurz nach dem Jahre 1706 wurden dann einzelne
Stiche als separates Blatt mit je einer deutschen Unterschrift versehen, wobei die einzelnen
Figuren Namen erhielten“ (briefliche Mitteilung Ernst Kramers vom 30.8.1971). Mit dieser
Datierung der Augsburger Stichfolge knapp nach 1706 stimmt auch Gerhard Winkler im
Katalog „Groteskes Barock“ fast überein, wenn er ein Einzelblatt im Historischen Museum
der Stadt Wien 1705 datiert und Elias Baeck zuschreibt. Der darauf dargestellte Zwerg wird
allgemein als der Wiener Hanswurst Stranitzky identifiziert (Abb. 95).
Kramer stützt seine Datierung darauf, daß „zahlreiche der im deutschen Text angesproche
nen Themen nur kurz nach 1706 denkbar waren (Kriege und Persönlichkeiten der Zeit)... Die
Serie der Stiche wurde dann 1716 in Holland nachgestochen, teilweise spiegelbildlich, da das
auf 10 Jahre befristete Privileg abgelaufen war, wobei ein dreisprachiger Text gedruckt
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