HANS SEDLMAYR Buxtelli und da: Rokokv
Rede anlizßlirll der Eröfnung der BuJtelli-Auxxtellung
de: Bayrirrllen Natinnalrrlnreum: am 20. juni 1963
„Ivlilverwandte Welt ' ' Da: „bellurrß
„Alles Vollendete spricht sich
nicht allein, es spricht eine ganze
mitverwandte Welt aus." (lXlaualir)
In den kleinen Wunderwerken
Bustellis spricht sich die ganze
„mitverwandte" Welt des R0-
koko aus. Das ist so selbstver-
ständlich nicht, wie es erscheinen
möchte. Das Vollphänomen des
höfischen Rokoko gibt es ur-
sprünglich nur in Frankreich.
Doch schon die Materie, in der
Bustelli arbeitet und aus Welcher
ein G0ll_frim' Älwlpßr das gesamte
Stilphänomen „Rnkuk0" ableiten
wollte, das Porzellan, ist nicht in
Frankreich, sondern in Deutsch-
land erfunden worden. Freilich
war durch den genialen l-lof-
zwerg Max Emanucls, Frangois
de Cuvillies, ein origineller Ab-
leger des französischen Rokoko
in München entstanden und damit
das Milieu, für welches auch die
neugegründete Pnrzellanmanufak-
tur arbeitet. Auf einer Hoftafel
in dem kleinen Jagdschloß der
„Amalienburg" wären Bustellis
Figurinen am vollkommensten an
ihrem „idealen" Ort. Aber direkt
hat Bustellis Kunst mit dem
französischen Rokoko nichts zu
Illfl.
Und doch zeigen sich in der nur
acht Jahre dauernden Tätigkeit
dieses „Modellmeistersf in einer
Zeit als Winckelmann seine „Ge-
danken über die Nachahmung der
griechischen Wkrke in Malerei
und Bildhauerkunst" schon ver-
öffentlich: hatte, fast alle cha-
rakteristischen Züge des Rokoko,
ja geradezu der Inbegriff dieses
Stils in feinster Konzentration.
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Den energischesten Versuch zu
einer Bestimmung dieses Stils,
dem auch Bustellis Kunst noch
zugehört, hat der Theologe Erirh
Przyulara gegeben. Er ordnet dem
Barock die spezifische Schönheit
des „pulchrum" als zentrale Be-
stimmung zu, dem Rokoko die
Schönheit des „bellum". Pulchrum
ist „sinnenhafte Pracht", ist
„Ruhm durch Fülle und Pracht".
„Bellum" ist das in sich selbst
schwingende Schöne, und zwar
das Schöne in der Bedeutung von
hübsch, artig, fein, allerliebst,
munter, anmutig, angenehm, köst-
lich, charmant, auch galant. Es
ist ein Wort, das zu dem römischen
Wesen, wie es im „pulchrunW
sich ausdrückt, nicht paßt. Doch
jedes dieser Wörter ließe sich auf
die Kunst des Rokoko wie auf
die Kunst Bustellis anwenden.
Diese Art der Bestimmung ist ver-
lockend, weil sie einen ganzen
Stil durch einen Modus der
Schönheit bestimmt. Leider ist
sie aber zu allgemein. Die Schön-
heit des „bellum" würde auch
noch auf manche Erscheinung des
späteren Griechentums zutreiTen:
die bekannten Figürchen von
Tanagra wären dann ein antikes
„R0koko". _
Wir aber wünschen uns eine Be-
stimmung, die nur mehr auf
diesen eigentümlichen Stil der
Zeit von 1700 bis l760[7O zu-
trifft, welcher in dem französi-
schen Rokoko der kurzen fünf-
zehn Jahre zwischen 1730 und
1745 sich am vollständigsten dar-
stellt und hier alle Künste um-
greift.