Xpiegel und Lurler
Weiß ist die lichthafteste Farbe,
Gold die dem Licht verwandteste
Materie, der Spiegel ist lichter
Glanz und Schein zugleich. Er
vervielfacht nicht nur das Licht,
nimmt den Dingen im Raum
durch sein Gegenlicht die Schwere,
der Raumgrenze jeden Rest vom
Stumpfen, sondern er verklärt das
Licht. Er macht es, ohne ihm
den Charakter des irdischen Lich-
tes zu nehmen, unfaßbar, phan-
tastisch.
In den großen Spiegeln, die oft
ganze Wandfelder füllen, vermischt
sich der lnnenraum mit dem
Außenraum, potenziert sich das
irdische Licht zu höchstem und
feinstem Lichtglanz.
Ein anderer Exponent dieses Lu-
minismus sind die Lichtträger
des Rokoko, die venezianischen
Luster und Appliken mit ihren
geschliffenen und beweglichen
Glasprismen, die das ohnehin
schon bewegliche Licht der Ker-
zen bei der leisesten Erschütterung
verändern und in Lichtfunken
versprühen lassen. Sie sind: aLe
plus gai, le plus intelligent, le
plus feerique des moyens em-
ployes pour multiplier les eclats et
crecr des irrisations er ce scintille-
ment, qui accompagne en ces
salons tous les ieux et les fcux
tl'esprit et ravive le regartl des
f e mmcs s) { I Innßrrnrvzr).
Glanz
Das Glänzende ist aus der XWelt
des Rokoko nicht wegzudenken.
An dem Lichtglanz der Spiegel
nimmt eine Fülle anderer Ma-
terien durch eine betont lichthafte
Behandlung ihrer OberHächen in
allen Graduierungen und Schat-
tierungen teil. Man denke an den
Hochglanz der lichten Parketten,
an die Politur der Möbelfurniere
und vmarketterien, an die Bevor-
zugung der glänzenden und chan-
gierenden Seiden, der sanft schima
mernden Samte, an Perlmutter
und Lack, an den mondigen
Schimmer bleierner Skulpturen.
Die Kulmination des Phänomens
ist dort gegeben, wo sich das
Weiß mit dem Glanz verbindet:
in einem weißen Atlaskleid oder
eben in der glasierten Oberiiäche
des Hartporzellans. Diese Materie
fügt dem System des Rokoko
etwas Neues und höchst Er-
wünschtes an Glanz- und Licht-
wirkung hinzu, zumal da diese
so weich erscheinende glatte Obere
lläche den Glanz auf dem Weiß
sozusagen gleiten läßt.
Mit dem heraufkommenden Klas-
sizismus wird dieser Hiissige Glanz
mehr und mehr verschwinden.
Man beschränkte sich in dem
Hguralcn Porzellan bald auf das
sogenannt: Biscuit, das, auf Glasur
vcrzichtend, als (r plus noble, d'un
gnüt plus göneraln galt.
Abxebeu 1'011 Dunkel nur! Xrlur
4 Fnmz Anton Husum.
Pulte als Pnndnrn.
München, Slg. Dr. Bäuml.
gxößcxc Schildmirke der Neudecker
bzw. Nymphcnburger Manufaktur, H. 10 an
5 Franz Anton Busrelli.
Der stürmische Galan.
München, Bayerischcs Nzrionalmuseum,
größere Schildmzrke dcr Neudecker
bzw. Nymphcnburger Manufaktur, H. 14,8 cm
18
Dieses Verhältnis zum Licht, das
Absehen vom Dunkel, ist ein
Grundsatz des Rokoko nicht nur
auf der ästhetischen, sondern auch
auf der moralischen Ebene. Und
hier bestimmt es wesentlich mit
die Bilderxvelt des Rokoko, bis
hinab in ihre einzelnen Themen
und Lieblingsgegenstände.
Das Ideal des Rokoko ist ein
irdisches Paradies ewiger jugend,
Heiterkeit, anmutiger Schönheit
und verklärter Sinnlichkeit, das
Sünde, Tod, Alter und Gebrech-
lichkeit verneint.
Mit dem Dunkel soll auch alle
Schwere verbannt sein. „Das Le_
ben gilt hier als etwas Leichtes
und Heiteres, dessen Harmonie
darauf beruht, daß alle Schwer-
fälligkeit aufgehoben, alles Pathos,
alles Dunkel ausgeschlossen wird",
sagt Jean Rnuuier. Und er fahrt
fort: „Das gilt ebenso von den
Manieren, wie von der Sprache,
wie von der Kunst in allen ihren
Äußerungen. Dieses Ethos ver-