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Volltext: Alte und Moderne Kunst VIII (1963 / Heft 71)

 
 
 
 
 
 
 
 
 
abscheut im Umgang die gestelzte 
Eloquenz, die polternde Pedan- 
terie der sittenrichterlichen Stren- 
ge. Einfachheit, Anmut, Zurück- 
haltung, Winke und Anspielungen 
sind ihr Ideal." Ein leichter Sinn, 
ia das Leichtsinnige gilt als gesell- 
schaftliche Tugend. 
Der Gegensatz zwischen Sinnlich- 
keit und Geist ist aufgehoben. 
Nun können auch die Sinne, sogar 
die niedrigen, geistreich sein. 
Das Paradies ist „Verklärung", 
Versetzen der Dinge in eine na- 
türlich-übernatiirliche Klarheit. 
Verklärt wird das Licht, verklärt 
werden die Materien. Begreiflich, 
daß gerade die Seide, deren leich- 
ter und kühler Stoff zugleich unser 
feinstes Tastgefiihl provoziert und 
zugleich durch seinen Glanz sich 
selbst entwirklicht, zum Lieblings- 
storl" der Zeit werden mußte. Und 
ähnliches gilt vom Porzellan. 
Das Sein im Paradies garantiert 
ewige Jugend. Das Rokoko mei- 
det in seinen typischen Bildern 
Xpirl 
Eine Welt, die von den Nacht- 
seiten des Lebens mit solcher 
Entschiedenheit absieht, ist eine 
Welt des Spiels, eines Spiels ohne 
lirnst. Das Spielelement blüht im 
liokoko so reich auf, daß die 
Detinition des Rokoko des Ad- 
jektives „spielerisch" kaum ent- 
behren kann, wenn es sie auch 
nicht erschöpft. 
Ein Spiel ohne Ernst ist par 
excellence das kindliche Spiel -- 
aber auch das amouröse. Daraus 
versteht man, daß die Sphäre des 
Kindes eine bis dahin nicht ge- 
kannte Bedeutung gewinnt 4 das 
die Darstellung der Spuren des 
Alters: allenfalls verwendet man 
das Alter als günstiges „rep0us- 
soir" für Jugendlichkeit. Die 
Weißen, im Rokoko schon kleinen 
Perücken verjüngen ihre Träger 
in paradoxer Weise, verleihen 
ihrem Teint das Blühende der 
Jugend. Der Winter, Tod der 
Natur, wird zum erstcnmal in 
seiner Heiterkeit gesehen, welche 
die Natur mit dem lichten Weiß 
des Schnees verzaubert, maskiert, 
die Wangen jugendlich tötet; zu 
ihm gehört das neue Vergnügen 
des tanzgleichen Eislaufs, bei 
dem die Läufer die Schwere ah- 
zustreifen scheinen, die Lustfahrt 
der nun federleicht gebauten 
Schlitten, deren Gleiten die Här- 
ten der Erde vergessen läßt. ln 
(iöckings (ietlicht „Als der erste 
Schnee tiel" ist die Quintessenz 
eines neuen (iefiihls gegeben, an 
dem - auf schwer zu fassende 
Weise - auch das schwebende 
Spiel der Figuren Bustellis teil hat. 
18. Jahrhundert ist die erste Blüte- 
zeit des Kinderspielzeugs f und 
Kinderspiele (esearpolette, collin- 
maillart) zum Vergnügen von 
Erwachsenen werden. ln den zahl- 
losen Amoretten trillt sieh die 
kindliche Welt mit der erotisch- 
paradiesischen. 
Das Spiel ist nicht nur Gegen- 
stand der Kunst, sondern die 
Kunst selbst wird als Spiel auf- 
gefaßt und stellt sich bewußt als 
solches dar. 
Der Künstler spielt mit wenigen 
Figuren, nach wenigen unge- 
schriebenen und leichten Regeln 
e Franz Anton einem. 
Weihhrunnkesscl. 
München, Bayerisches Natiolialmusenm, 
grollere Schildmarke der Ncuderker 
bzw. Nymphenburger Manufaktur, 
Preßmarke „w, H. 24.2 cm 
ein Spiel mit unendlichen Mög- 
lichkeiten. 
ln solchem geistreichen Spiel kann 
ein Nichts von Motiv, ein einziger 
„Zug" den Wert eines Kunst- 
werks ersten Ranges gewinnen. 
Der Träger dieser heiteren Kiinste, 
welche die Grenze zwischen Leben 
und Kunst überspielen, ist ein 
Adel, der seine herrschaftliche 
Funktion schon verloren hat und 
sich im Spiel - auch im Glücks- 
spiel ? einen Ersatz dafür schatit. 
Die historische Situation erinnert 
in manchem an den „internatio- 
nalen Stil" um 1400. 
Changieren, Übergang, Verwandlung 
lm Phänomen des (ilanzes, wie 
ihn das Rokoko sucht, liegt ein 
anderes mit einbeschlossen: das 
Fließende und Schmelzende der 
Übergänge, die Verwandlungs- 
fahigkeit. Der Übergänge des 
Lichtes, der Bewegungen, der 
gegenständlichen Sphären. 
Das neue Ornament des Rokoko, 
die „Rocaille", ist nach Hermann 
lirmer zwittriges Changieren zwi- 
schen Ornament und Naturge- 
bilde, zwischen Ornament und 
Bild, zwischen Ornamentdimen- 
sion und Bilddimension. Die Er- 
fahrung des „Mikromegalismus", 
die Gulliver auf seinen Reisen 
macht, kann man vor Ornament- 
stichen des Rokoko haben. 
Die Rocaille tritt nach Bernhard 
Rupprerbt nicht nur mit Vorliebe 
an „ÜbergängerW auf - dort 
wo die Gefahr besteht, daß zwei 
Formen, zwei Richtungen, zwei 
Gattungen, zwei Sphären sich hart 
voneinander-absetzen -, sondern 
ihr Wiesen läßt sich als das des 
Übergangs schlechthin bestim- 
men. 
Das Rokoko hält überall Sphären 
in Spannung, deren Grenzen es 
paradox, ironisch überspielt. 
Ja, man kann noch weitergehen 
und die Ästhetik des Rokoko aus 
dem Prinzip der Verwandlung 
entwickeln. „Im Rokoko", sagt 
Ilerzmuzn Bauer 7 „liegt der 
ästhetische (Jenuß im Erkennen 
des Künstlichen, Kunstvollen. Ihre 
Schönheit bezieht die Rokoko- 
kunst aus dem Transitorischen. 
Das machte eine Schönheit mög- 
lich, wie sie bis dahin in der 
abendländischen Kunst unbekannt 
war." Und wo wäre das unmittel- 
barer anschaulich als an der Kunst 
Bustellis? 
„Doch solche Kunst steht schon 
an dem Punkt, wo diese Art von 
Schönheit sich selbst zerstört." 
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