abscheut im Umgang die gestelzte
Eloquenz, die polternde Pedan-
terie der sittenrichterlichen Stren-
ge. Einfachheit, Anmut, Zurück-
haltung, Winke und Anspielungen
sind ihr Ideal." Ein leichter Sinn,
ia das Leichtsinnige gilt als gesell-
schaftliche Tugend.
Der Gegensatz zwischen Sinnlich-
keit und Geist ist aufgehoben.
Nun können auch die Sinne, sogar
die niedrigen, geistreich sein.
Das Paradies ist „Verklärung",
Versetzen der Dinge in eine na-
türlich-übernatiirliche Klarheit.
Verklärt wird das Licht, verklärt
werden die Materien. Begreiflich,
daß gerade die Seide, deren leich-
ter und kühler Stoff zugleich unser
feinstes Tastgefiihl provoziert und
zugleich durch seinen Glanz sich
selbst entwirklicht, zum Lieblings-
storl" der Zeit werden mußte. Und
ähnliches gilt vom Porzellan.
Das Sein im Paradies garantiert
ewige Jugend. Das Rokoko mei-
det in seinen typischen Bildern
Xpirl
Eine Welt, die von den Nacht-
seiten des Lebens mit solcher
Entschiedenheit absieht, ist eine
Welt des Spiels, eines Spiels ohne
lirnst. Das Spielelement blüht im
liokoko so reich auf, daß die
Detinition des Rokoko des Ad-
jektives „spielerisch" kaum ent-
behren kann, wenn es sie auch
nicht erschöpft.
Ein Spiel ohne Ernst ist par
excellence das kindliche Spiel --
aber auch das amouröse. Daraus
versteht man, daß die Sphäre des
Kindes eine bis dahin nicht ge-
kannte Bedeutung gewinnt 4 das
die Darstellung der Spuren des
Alters: allenfalls verwendet man
das Alter als günstiges „rep0us-
soir" für Jugendlichkeit. Die
Weißen, im Rokoko schon kleinen
Perücken verjüngen ihre Träger
in paradoxer Weise, verleihen
ihrem Teint das Blühende der
Jugend. Der Winter, Tod der
Natur, wird zum erstcnmal in
seiner Heiterkeit gesehen, welche
die Natur mit dem lichten Weiß
des Schnees verzaubert, maskiert,
die Wangen jugendlich tötet; zu
ihm gehört das neue Vergnügen
des tanzgleichen Eislaufs, bei
dem die Läufer die Schwere ah-
zustreifen scheinen, die Lustfahrt
der nun federleicht gebauten
Schlitten, deren Gleiten die Här-
ten der Erde vergessen läßt. ln
(iöckings (ietlicht „Als der erste
Schnee tiel" ist die Quintessenz
eines neuen (iefiihls gegeben, an
dem - auf schwer zu fassende
Weise - auch das schwebende
Spiel der Figuren Bustellis teil hat.
18. Jahrhundert ist die erste Blüte-
zeit des Kinderspielzeugs f und
Kinderspiele (esearpolette, collin-
maillart) zum Vergnügen von
Erwachsenen werden. ln den zahl-
losen Amoretten trillt sieh die
kindliche Welt mit der erotisch-
paradiesischen.
Das Spiel ist nicht nur Gegen-
stand der Kunst, sondern die
Kunst selbst wird als Spiel auf-
gefaßt und stellt sich bewußt als
solches dar.
Der Künstler spielt mit wenigen
Figuren, nach wenigen unge-
schriebenen und leichten Regeln
e Franz Anton einem.
Weihhrunnkesscl.
München, Bayerisches Natiolialmusenm,
grollere Schildmarke der Ncuderker
bzw. Nymphenburger Manufaktur,
Preßmarke „w, H. 24.2 cm
ein Spiel mit unendlichen Mög-
lichkeiten.
ln solchem geistreichen Spiel kann
ein Nichts von Motiv, ein einziger
„Zug" den Wert eines Kunst-
werks ersten Ranges gewinnen.
Der Träger dieser heiteren Kiinste,
welche die Grenze zwischen Leben
und Kunst überspielen, ist ein
Adel, der seine herrschaftliche
Funktion schon verloren hat und
sich im Spiel - auch im Glücks-
spiel ? einen Ersatz dafür schatit.
Die historische Situation erinnert
in manchem an den „internatio-
nalen Stil" um 1400.
Changieren, Übergang, Verwandlung
lm Phänomen des (ilanzes, wie
ihn das Rokoko sucht, liegt ein
anderes mit einbeschlossen: das
Fließende und Schmelzende der
Übergänge, die Verwandlungs-
fahigkeit. Der Übergänge des
Lichtes, der Bewegungen, der
gegenständlichen Sphären.
Das neue Ornament des Rokoko,
die „Rocaille", ist nach Hermann
lirmer zwittriges Changieren zwi-
schen Ornament und Naturge-
bilde, zwischen Ornament und
Bild, zwischen Ornamentdimen-
sion und Bilddimension. Die Er-
fahrung des „Mikromegalismus",
die Gulliver auf seinen Reisen
macht, kann man vor Ornament-
stichen des Rokoko haben.
Die Rocaille tritt nach Bernhard
Rupprerbt nicht nur mit Vorliebe
an „ÜbergängerW auf - dort
wo die Gefahr besteht, daß zwei
Formen, zwei Richtungen, zwei
Gattungen, zwei Sphären sich hart
voneinander-absetzen -, sondern
ihr Wiesen läßt sich als das des
Übergangs schlechthin bestim-
men.
Das Rokoko hält überall Sphären
in Spannung, deren Grenzen es
paradox, ironisch überspielt.
Ja, man kann noch weitergehen
und die Ästhetik des Rokoko aus
dem Prinzip der Verwandlung
entwickeln. „Im Rokoko", sagt
Ilerzmuzn Bauer 7 „liegt der
ästhetische (Jenuß im Erkennen
des Künstlichen, Kunstvollen. Ihre
Schönheit bezieht die Rokoko-
kunst aus dem Transitorischen.
Das machte eine Schönheit mög-
lich, wie sie bis dahin in der
abendländischen Kunst unbekannt
war." Und wo wäre das unmittel-
barer anschaulich als an der Kunst
Bustellis?
„Doch solche Kunst steht schon
an dem Punkt, wo diese Art von
Schönheit sich selbst zerstört."
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