Div {zwi Xeiten de: Roknko
Wenn man die Kunst des Rokoko
für sich betrachtet, wenn man sie
aus dem Leben der Zeit heraus-
nimmt, bekommt man nur die
eine Hälfte dieser Welt zu sehen.
Diese eleganten und anspruchs-
vollen Herren mit ihren kleinen
xveißgepuderten Perücken, den
bizarren Dreispitzen, den seidenen
Kniehosen und Strümpfen, den
Schuhschnallen und Stöckeln, wo-
möglich noch mit Schönheits-
pfiästerchen im Gesicht, sind nicht
nur in Frankreich die Erbauer
der besten Schiffe, Häfen, Straßen,
die man vielleicht seit der Römer-
zeit gesehen hat. Sie sind die
ersten modernen Städtebauer, Bei
gründet großer Kulunialreiche und
Handelssysteme. Es sind uner-
bittliche kritische Denker, die eine
alte Welt rücksichtslos zum Ein-
sturz bringen, um eine neue zu
erbauen. Noch im Namen der
„fürchterlichen Bewegung", die
sie auslösen, klingt die Beziehung
zum Licht an: „AufklärungT
Der Werkstoff des POtZellanS
scheint auch diesen merkwürdigen
Zug der Gesamtwelt des Rokoko
symbolisch Widerzuspiegeln: der
Stoß, der außen so weich und ge-
schmeidig erscheint wie Milch, ist
innen so hart wie der härteste Stein.
Miinchc
10 Franz Anton
n. Bayerisches National:
Nymphcnburger Mal
llustclli, Kruzifix. Modell: AugustjDcul-nbcr 1755.
nuscum. größere Sdüldmarkc der Neudeckcr bzw.
nufaktur, Preßmarke u. 35,5 cm (Ohnc Kreuz)
Helerorrlarphie
So weit scheint die „mitver-
wandte" Welt des Rokoko sich
in der Mikrowelt der Figuren
Bustellis vollendet auszuspre-
chen.
Doch gibt es in der Kunst Bu-
stellis Bestandteile, die in dieser
Gleichung mit dem allgemeinen
Rokoko noch nicht erfaßt sind.
Wenn sie auch nur als leichter
Einschlag der Legierung seiner
Kunst beigemengt sind, geben sie
doch dem ganzen Werk einen
unverkennbar eigenen Klang.
Diese Elemente zu bestimmen,
gehört zum Schwersten. Es ist
nicht meine Aufgabe. Man sieht
sie vielleicht am deutlichsten,
wenn man seine Aufmerksamkeit
darauf richtet, daß es unter den
Themen Bustellis, wie der Por-
zellankunst überhaupt, solche gibt,
die nicht zum typischen Reper-
toire des eigentlichen Rokoko
gehören. Da sind auf der einen
Seite die „Tierhatzen", in denen
ein barock-hochdramatisches Ele-
ment weiterlebt, das dem franzö-
sischen Rokoko im allgemeinen
fremd ist und das - bei ganz
anderer Thematik f auch in
Frankreich erst auf einer posthu-
men Stufe des Rokoko stark
durchschlägt, bei Fragonard.
Dann aber - auf der anderen
Seite Ä die unvergleichliche
Gruppe der Kreuzigung in deren
religiöser Ekstatik die ganz andere
Sphäre jenes „Sonderrokoko" der
süddeutschen Kirchenbauten und
ihrer weißen Grußplastik zu ahnen
ist, in Welchem das säkulare R0-
koko in die Kirche „heimgeholW
wurde.
In stilistischer Hinsicht aber schei-
nen dem Rokoko Bustellis sowohl
Elemente eines letzten Spätbarock,
wie Spuren jener „noble simpli-
- n:
cite beigemengt, die in diesen
sechziger Jahren zum theoreti-
schen Programm erhoben wird.
Bei seinen Altersgenossen, bei
Ignaz Günther und - mutatis
mutandis - bei Maulpertsch
kann man ähnliches finden.
Bustellis Kunst blüht in einer
Zeit, in der in Frankreich der
„style rocaille" schon überholt ist.
Die frühen sechziger Jahre sind
in Frankreich längst nicht mehr
die Zeit des Palais Soubise, son-
dern die des Petit Trianon. Das
Petit Trianon von Versailles zeigt
die europäische Baukunst noch
einmal auf einem Gipfel, der
griechischen für einen Augen-
blick innerlich nahe, bevor man
diese äußerlich kopieren wird.
Mit der edlen Feinheit der Bau-
körper harmoniert die der plasti-
schen Porträts dieser Stufe (Hou-
don), die Frische eines zarten
Ornaments und eine tief farbige
Malerei, die sich von dem Weiß
der Innenräume schon abgelöst
hat und zu den Zonen des Feu-
rigen und des Luftigcn auf-
steigt.
Diese letzten, posthumen M0-
mente des Rokoko haben etwas
Erlesenes, Ergreifendes: der Aus-
klang Tiepolos, Maulpertsch,
Günther. Sie gehen in ihrer Fein-
heit und Tiefe über die Möglich-
keiten des Stils so hinaus wie
auf den älteren Stufen nur Wat-
teau oder Chardin. Zu diesen
wenigen Jahren gehört die Kunst
Bustellis und zumal seine letzte
Serie der Comedie italienne.
Das Kunstgewerbe wird zur hohen
Kunst.
„Alles in seiner Art Vollkommene
geht über seine Art hinaus."
(Gaelbe)
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