lebender Tradition sagt vielleicht mehr als
gelehrte Untersuchungen.
Wir jedoch müssen uns vor dem Hinein-
interpretieren hüten. So muß man heute, trotz
der erwähnten zeitgenössischen Tendenz, die
holländische Genre- und Stillebenmalerei in
zwei Gruppen teilen. Das reine „tendenzfreie"
Bild, in dem sich uns heute keine hinter der
Darstellung liegende tiefere Bedeutung offen-
bart, und eine zweite Gruppe, deren „Wahr-
heit" im Bild selbst - manchmal auch in
glücklich gefundenen literarischen Quellen -
transparent wird.
Für die Wiener Sammlungen ist das Über-
wiegen der ersten Gruppe charakteristisch.
Für die unter dem EinHuß südlicher Kunst-
theorien lebenden Sammler spielt die Allegorie
innerhalb der bekannten großen barocken
Programme. Die Gedankenwelt des holländi-
schen bürgerlichen und protestantischen Sinn-
bildes ist ihnen fremd. Sie sehen in den Werken
der holländischen Kleinmeister nur die eine
Seite, den Realismus. So kommt es, daß sie
vorwiegend Bilder sammeln, in denen sinnbild-
hafte Momente am weitesten zurückgedrängt
werden. Symptomatisch hierfür ist die Vor-
liebe für die Landschaft. Dennoch finden wir
einige charakteristische Meister der zweiten
Gruppe in Wiener öffentlichen und privaten
Sammlungen.
Die Maler dieser Gruppe, deren Haupt-
exponent Jan Steen ist, gehen trotz der For-
derung, den Sinn der Darstellung in ein
„angenehmes Dunkel" zu hüllen, nie so weit,
daß der Betrachter das Rätsel nicht erraten
kann. Durch gewisse Kunstgriffe, die oft an
die Dialektik zeitgenössischer Predigten oder
an beliebte Überraschungsmomente des Thea-
ters erinnern, wird der Beschauer schließlich
auf die „Wahrheit" gestoßen. Es sind im
Grunde immer wieder drei „Tricks", deren
sich die Maler bedienen: „Das Wort im Bild",
„Das Bild im Bild" und die „Personiiikation
der Wahrheit".
„Das Wort im Bild" ist die unkünstlerischeste
Möglichkeit. Sie kommt vom „Titel" der
Graphik her. Im Tafelbild sind diese Titel
dann mehr in die Komposition einbezogen,
auf aufgeschlagenen Büchern, auf Briefen usw.
Besonders häufig ist diese Darstellungsart im
Bereiche des Stillebens. Als Beispiel sei die
„Allegorie der Eitelkeit" von Leonhard Bramer
im Kunsthistorischen Museum erwähnt
(Abb. l). Das Bild ist außerdem ein typisches
Beispiel für den Übergang des Genres ins
Stilleben. Die „VUahrheiW steht auf dem
Notenblatt: Vanitas. In diese Gruppe gehören
auch jene Bilder, zu denen sich in der Literatur
oder Graphik die zugehörigen „Texte" er-
halten haben. Die Tanzgesellschaft des Dirk
Hals aus der Gemäldegalerie der Akademie
der bildenden Künste (Abb. 2) ist in der Auf-
fassung nahezu identisch mit einem Kupfer-
stich des gleichen Malers. Symbole und An-
spielungen, die wir im Tafelbild erkennen,
finden ihre übergeordnete Deutung in dem
zur Graphik gehörenden Spruch (übersetzt
und wegen der Länge etwas verkürzt): Dies
geile Volk, leichtsinnig und verdorben, ver-
bringt die Zeit mit Nutzlosigkcit und Un-
keuschheit, es will sich nur sättigen an der
Dummheit der Welt. . . . Der Körper wird
3 Jacob Duck (1600-1660), Soldatcnszcnc. Sammlung Czemin,
Wien
4 Jan Sleen (1626-1679), Die verkehrte Welt. Kilnstlxistorlsches
Museum. Wicn
geplagt, die Seele verdorben. Und dies leicht-
sinnige Pack Endet an nichts Freude als am
eigenen Unheil und der ei enen Schande."
Das ist überhaupt das Besondere dieser Art
des symbolischen Genres, es wird nie das
gute B spiel demonstriert, es t immer die
negative Seite, die belehrt, wie man nicht
sein soll.
Die den ku leri hen Gesetzen adäquateste
Art der bildhaften Darstellung der „Wahr-
heiten" ist ihr Erscheinen als Bild im Bild.
el, wenn in einem lnterieur mit
einer zechenden (Jesellsclwaft an der Wand
das Gemälde mit Szenen a dem Leben des
Verlorenen Sohnes erscheint. Das Bild berindet
sich an hervorragender Stelle, wo es der
Betrachter gleich bemerkt. lst es aber kleiner
und x "teckter, fehlen nie kompositicunelle
Mittel, Personen, die hinweisen, oder une
gewtähnliche Licht tnrung, die den Blick des
Beschauers auf diesen „ l" leiten.
(Ü arakteristische Beispiele die er ( ttung sind
in Wien nicht vertreten,