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Volltext: Alte und Moderne Kunst IX (1964 / Heft 74)

IE NOTWENDIGSTE AUSSTELLUNG 
ES JAHRZEHNTS 
ur Austellung "Monumenta Judaica" 
Köln 
'n 15. Oktober war diese Ausstellung 
i Kölnischen Stadtmuseum eröffnet 
orden. um den 15. Februar herum 
ltten bereits über 80.000 Besucher die 
hier endlosen Raumfluchlen durch- 
essen, und es ergab sich die zwingende 
otwendigkeit. die Manifestation um 
nen weiteren Monat zu verlängern. 
n zweibändiges Katalogwerk. be- 
zhend aus einem ausführlichen Werks- 
erzeichnis und einem Handbuch. in 
issen Kapiteln sämtliche nur denkba- 
in Aspekte des Problems eingehend 
ihandelt sind. konnte mit Vehemenz 
erkauft werden, bereits Anfang dieses 
hres kam es zu einer revidierten 
weitauflage. 
.1 den Besuchern der Ausstellung zähl- 
n vor allem junge Leute. Mittel- und 
ochschüler. die vorwiegend in Grup- 
EH (beinahe möchte man sagen: 
ilonnenweise) angerückt kamen. um 
in sachkundigen, ebenfalls zumeist 
hr jungen Führern durch die Säle 
eleitet zu werden. Äußerst interessant 
ar es. die Gesinnung zu beobachten, 
it der die jungen Besucher die Aus- 
zllung zur Kenntnis nahmen: sie war 
inz auf rein sachliches Interesse ab- 
istimmt, man betrachtete die Aus- 
:llung als lnformationsquelle. in der 
an sich über sämtliche Aspekte der 
dischen Diaspora am Rhein etwa in 
ner Weise orientieren konnte, wie 
es bei einer gut und groß angelegten 
Jsstellung über irgendein interessantes 
iotisches Volk der Fall ist. Die Aus- 
zllung wurde somit weder als .,Pro- 
iganda" in irgendeinem Sinne des 
'orles (auch dem der Selbstbezichti- 
ing) mißverstanden. noch kam sie als 
anifestation zu einem Problem an. 
is. um ein beliebtes österreichisches 
iblizistisches Schlagwort variierend zu 
ibrauchen. als „heißes Eisen alle an- 
thl". 
i hatte man summa summarum das 
npfinden. als seien die Probleme. die 
.h durch die Existenz der Judenschaft 
in einst innerhalb des "einheimischen" 
)lkskörpers am Rhein (und auch im 
irigen Deutschland) ergeben hatten, 
cht mehr von lebendiger Aktualität. 
ndern nur noch von historischer Be- 
iutung. Und: Was beinahe zwei 
hrtausende versäumt worden war. 
nämlich sich über das Wesen des 
Judentums zu informieren. kann erst 
jetzt. nach einer um den Preis von 
Millionen von Dahingemetzelten er- 
folgten "Endlösung", nachgeholt wer- 
den -- jetzt. da sich vor allem die 
Jugend einfach nicht mehr betroffen 
fühlt . . . 
Die Ausstellung, die den Untertitel 
,.2000 Jahre Geschichte und Kultur der 
Juden am Rhein" trägt. greift be- 
deutungsmößig über die an sich sehr 
großzügig gezogenen regionalen Gren- 
zen weit hinaus und wird zum Modell- 
fall der Beziehungen zwischen Juden- 
schaft und den .,Gastvölkern" in ganz 
Europa. Dabei stellt sich etwa folgendes 
heraus: Die jüdischen Gemeinschaften 
innerhalb der Städte bildeten stets ein 
geschlossenes Ganzes. das sich mit aller 
Kraft und Konsequenz gegen jegliche 
Form der Assimilierung wehrte und - 
wie die Ausstellung an zahllosen Bei- 
spielen beweist - lieber das kollektive 
Selbstopfer wählte. als daß es in dem 
sie umgebenden und sie bedrängenden 
Christentum aufgegangen wäre. Daraus 
geht hervor. daß die Juden mit aller 
Kompromißlosigkeit stets bestrebt wa- 
ren, Juden und nichts anderes zu 
bleiben. Es wäre absoluter Unsinn. 
hinsichtlich der Vergangenheit etwa 
von "deutschen" oder Hitatienischen" 
oder ,.evangelischen" Juden zu spre- 
chen: der Begriff des Judentums schließt 
alle weiteren Assoziationen restlos aus. 
Das ändert sich erst mit dem 19. Jahr- 
hundert, das mit zunehmender recht- 
licher und gesellschaftlicher Gleich- 
stellung auch einen rasch fortschreiten- 
den Abbau der Grenzen bringt. Das 
19. Jahrhundert ist es allerdings auch. 
das den modernen Antisemitismus pro- 
duziert und dem Aufgehen des Juden- 
tums einen Riegel verschiebt. Vielleicht 
gehört es zu den Treppenwitzen der 
Weltgeschichte, daß es dieser ebenso 
dumme wie aggressive Antisemitismus 
war, dem das Judentum seine Wieder- 
geburt in unserer unmittelbaren Gegen- 
wart und damit seine Wandlung von 
einer zeitlos-uralten Kultgemeinschaft 
zu einer modernen Nation zu verdan- 
ken hat. Aber mit dieser Hypothese 
wird schon ein sehr schwankender 
Boden betreten. 
Weiters belehrt uns die Ausstellung über 
die Tatsache. daß die Beziehungen der 
christlichen Völker zum Judentum vom 
Ende der Antike bis tief hinein in die 
Neuzeit von zwei Momenten bestimmt 
war: einmal galt das Judentum als 
verfemt. weil man ihm eine alle zeit- 
liche Grenzen sprengende kollektive 
Verantwortung für den Opfertod Christi 
zuschob - ein Problem, an dem sich 
selbst beim gegenwärtigen 2. Vaticanum 
die Geister schieden -, zum anderen 
wollte man es gerade ob seines Vater- 
schaftsverhältnisses zum Christentum 
und als Symbol des Überwundenseins 
durch dieses für alle Zeiten erhalten: 
Der Glanz und Triumph der .,Ecclesia" 
wird um so heller und unvergänglicher, 
je schärfer er sich von der ewigen 
Besiegtheit der "Synagoge" abhebt. Im 
übrigen sind die Beziehungen zwischen 
Judentum und Christentum gerade im 
Mittelalter einerseits von streng juridi- 
schen Erwägungen bestimmt (Darf ein 
Jude christliche Sklaven halten? Wie 
sind Zivil- und Strafrechtsangelegen- 
heiten zwischen Juden und Nichtjuden 
zu regeln? Wie können ..Jüdisches 
Recht" und ,.Judenrecht" - das eine 
von den Juden. das andere von den 
Christen gesetzt-aufeinander abge- 
stimmt werden?) wobei bis hoch in 
die Salierzeit hinein die Stellung des 
Judentums als durchaus gesichert an- 
gesehen werden muß. anderseits setzten 
mit Beginn der Kreuzzüge jene un- 
kontrollierbaren, von den untersten 
Volksschichten getragenen. massen- 
hysterischen antijüdischen Mordaktio- 
nen ein. denen sowohl das Episkopat 
als auch die weltliche Herrschermacht 
vergeblich einen Riegel vorzuschieben 
versuchten. In zunehmendem Maß ist es 
das städtische Bürgertum. das immer 
wieder zu antijüdischen Aktionen greift 
und seine Konfliktsituationen mit der 
geistlichen und weltlichen Macht auch 
auf dieser Ebene austrügt. Diese Ent- 
wicklung findet in der Mitte des14. Jahr- 
hunderts, also zur Zeit der weltweiten 
Pestwelle. in dergraßen „JudenschlachP 
seinen Höhepunkt. 
Das ganz auf den sehr unzulünglichen 
Schutz der weltlichen Macht ange- 
wieserie Judentum gerät nunmehr in 
die .,Kammerknechtschaft" und muß 
sich sein Fortvegetieren mit immer un- 
verschämteren finanziellen Opfern er- 
kaufen. Gleichzeitig werden seine Rechte 
- nach im hohen Mittelalter war das 
Judentum ,.frei" - auf ein Minimum 
zusammengestutzt. Die Neuzeit bringt 
etwa ab Ende des 16. Jahrhunderts das 
Auftreten der für die Barockzeit so 
bezeichnenden ,.Hafjuden" als den für 
die Finanzierung teurer und wirt- 
schaftlich nicht verantwortbarer Kriegs- 
und Bauprojekte mit Leib und Leben 
haftenden Finanzgenies (..Jud Süß"). 
Die Masse der Judenschaft (wenn man 
von ..Masse" überhaupt reden kann) 
siecht rechtlos und hilflos dahin. - 
Daß ein sehr großer Teil der Ausstel- 
lung dem Wirken des Judentums nach 
seiner rechtlichen Gleichstellung. aber 
auch den Manifestationen des modernen 
Antisemitismus einschließlich der Ver- 
nichtungsaktian der Hitlerära gewidmet 
ist. versteht sich von selbst. und ebenso 
ist es selbstverständlich. daß ein eigener 
Abschnitt der Ausstellung den kulturellen 
und künstlerischen Leistungen des Ju- 
dentums gewidmet ist, Prächtige Hand- 
schriften des hohen und späten Mittel- 
alters, künstlerisch in hoher Voll- 
kommenheit gestaltete Kultgeräte, aber 
auch das Wirken der Dichter. Schrift- 
steller, Maler, Theaterleute usw. in 
neuerer Zeit stellt die kulturelle Potenz 
des Judentums unter Beweis. die gleich 
stark im Konservieren und Tradieren 
wie auch im Weiter- und Vorausdenken 
ist. Die Ausstellung klingt historisch mit 
dem Wirken des Judentums in Deutsch- 
land nach 1945 aus. 
Zwei Ausstellungsabschnitte sind für 
den Kunsthistoriker von großer Be- 
deutung; in den ersten Sälen werden 
in umfassender Auswahl Dokumente 
alttestamentarischer lkonographie in- 
nerhalb der christlichen Kunst ge- 
zeigt. der letzte Saal bringt eine große 
Folge jüdischen Kultgerätes aus rhei- 
nischen Synagogen und jüdischen Haus- 
halten. Auf die erstaunlich große Zahl 
von Handschriften wurde bereits hin- 
gewiesen. 
Die große Masse der Exponate wird 
selbstverständlich aus urkundlichem Ma- 
terial aller Epochen gebildet; es reicht 
von friihmittelalterlichen Dokumenten 
bis zu bürokratisch formulierten Er- 
lässen in den Amtsblüttern der Nazizeit 
und erschütternden, um Gnade und 
Gerechtigkeit flehenden Zuschriften ver- 
folgter Juden an die damaligen Macht- 
haber. Die Präsentation ist von vor- 
bildlicher Lebendigkeit. ohne der Ge- 
fahr des Abgleitens in billige „Gags" 
zu erliegen. Und die beiden Ausstel- 
lungspublikationen, der Katalog wie 
das Handbuch (sie kosten zusammen nur 
DM 12,-) gehören einfach in die Hand 
all jener, die sich über die Judenfrage 
schlechthin umfassend informieren wol- 
len. 
Ernst Köller 
.DTEXTE 1 74 
Oskar Kokoschka. Veroniku. Budupesl, 
Museum denbildenden Künsle 
Modell dß Oslerreich-Puvillons auf der 
New Yorker Wellousslellung von Archi- 
leki Gusiuv Peichl. Berlonis Sluhlplcislik 
erhebl sich links von der Eingangshalle, 
die sechs übrigen Skulpiuren siehen 
lwischen den Löufen der Freilreppe 
Glasmosaik von Johann Fruhmnnn. cius- 
gelührl von der Firma D. Swarovski 8iCo. 
in Woiiens, Tirol. CIUS farbigen Glas- 
schmucksieinen 
iuies Dcilou. Kopf eines jungen Mädchens 
Mlle. Vuiller, Schwägerin des Künsllers}. 
ronzeguß noch einer Terrukollo im 
Peiii Pulciis, Pciris. Dieses Werk isi geisiig 
ganz "Dixhuilieme", 
 
WICHTIGE AUSSTELLUNGEN 
IM AUSLAND 
1. April bis 15. Juni: "Die byzanlinische Kunsl 
als europäische Kunsl". Amen, Zuppeion. 
Unler der Schirrnherrschafl des Europarula. 
27. Mai bis Z7. Seplerriber: "XIII. Triennale 
d'Arli decoraiive". Milcino. Paluzzn deIVArIe. 
22. Mcii bis 30. Seplember: „La femme el 
Variisle de Frci Angelico ü Picasso". Bordeaux, 
Galerie des Beaux-Aris. 
luni bis Seoiember: "Henri de Toulouse- 
Lnuirec". Geddchinisuussiellung zum100. Ge- 
burlsiug. Albi. Musee Toulouse-Lciulrec. 
1, Mni bis Z5. Okiober: ..Cheis-d'Oeuvre des 
colleclions suisses", L'ciri europeen de Mcinel 
ü Picasso. Lausanne Palais de Beuulieu. 
10. Juni bis Z5. Jun .The aniique deciler's 
Iuir 8i exhibiiion". Grosvenor House Park 
Lcine. London W. 1. 
Juni bis Okiober: 3Z. Bierindle. MiI Sonder- 
schuu . Heuiige Kunsi in Museen", Venedig. 
Gicrdi . 
20. Juni bis Z5. Augusi: Apollinaire und die 
Schule der Kubisleri (Brcque. Leger. PICGSSO. 
MGFCOUSSIS eie}. Slavelol, Belgien. 
Juli bis Okioher: Roberi Deluunay. Paris. 
Louvre. 
HerbsI1964: Georges Rcuuuli. Paris, Leuvre. 
Okiober bis November: ..i_e rrionde des 
ndils". Pciris, Musee Nolionul d'Art Moderne. 
 
 
FAHRPLAN DER AUSSTELLUNG ANDRE 
VERLON 
Die Ausslellung, für die ein Kuinlog mil aus- 
führlicher Einleilung von Dr. Guslciv Rene 
Hocke erschienen war. wurde zuersl im 
Französischen Saal des Kürisllerhauses (9.4. 
bis 10. s.) gezeigl. wunderie dn die Neue 
Galerie um Landesmuseum Jocinneum nach 
Carol weiler (14.14.63 und gelang! dann 
an die Neue Galerie der Slcdl Linz, Wolf- 
gcing Gurliii-Museum. wo sie vom 18. 6, bis 
12. 7. zu sehen sein wird. 
Eine eingehende Würdigung erfolgl irn 
Sommerheit von „Alle und moderne Kunsi". 
AUSSTELLUNGEN IN ENGLAND 
London: Upper Grosvenor Golleries zeiglen 
vom 5. bis Z6. März Gemälde des in England 
ansässig gewordenen Polen Andre Dzier- 
zynski (1936). Der Künsiler. ein Nachfolger 
der lmpressionislen (vor allem des spülen 
Monei) wcir IHIEFESGHIEYWSiSS Kunslhisloriker 
und hieli von 1953 bis 1957 Vorlesungen an 
der Warschauer Universiläl unler Kozimierz 
Micholowski, dem Ausgraber von Pures 
(Nubien). Seil 1957 Iebi der Muler-Kunsl- 
hislciriker in England und hat seither zahl- 
reiche Siudienreisen unlerriomrrien. Er mal! 
vorwiegend Landschaften. 
London: Mdiieii GI Bourdon House zeigle 
vom 2a. April bis 9. M01 (viel liJ kurz) eine 
Aussiellurig von Skulpluren des bei uns fcisi 
unbekcinnlen fruruösischen Bildhauers Jules 
Dulou (123871902), einem ZEII- und Aiiers. 
genossen der Impressionisien. Es hundelie sich 
um die ersie Kollekiivciussiellung. die diesem 
KünsIler je gewidmei wurde. und unsere 
Bildprobe zeigt (Abb. 4). duli sich die Mmie 
wcihrhall lohnle. Dcilou sieh! zwischen dem 
Charme des Dixhuilieme und der Monumen- 
Iuliiöi eines Mqillol. lrn Gegeriscilz zu Rodin 
sirebr er nuth bildhuuerischer Geschlossen- 
heil der Form;seine Kleinplcisiiken errenbdren 
ihn CIIS geisligen Verwondlen der Ober- 
ilulierier des 16. Jcihrhunderls (Riccio eIc.). 
Colchesler: ..Tiie Mincriles" Ieiglen vom 
29. Februar bis 21. März eine erlesene Aus- 
slellung von Kunslwerken aus Privcilbesilz 
und adeligen Lcindsilzen. oernuide von van 
Dyck. Joshuu Reynolds, Cornelius idnssens. 
John Cunsluble, Johann Zoffony, französische 
Möbel. Miniciluren des 16. bis 19. Jahr- 
hunderls, seid. und Erndiidrbeiien CIUS 
Chelseu. perucinische Silbergeiüße mit dem 
wdupen des Konquislcidors Pizarro und 
kosibare Paslelloorlröis wechselien ab miI 
hisiorischen Eririnerungssiucken. wie 1. s. 
dem Spielball oder dem Nadelkissen der 
Königin Ellädbßih I. .,The Minoriles isl ein 
schönes alles Haus, das vom Viclur ciN-Lciye 
privule irusi cils Kullurzenlrum für Ecisi 
Anglin geführl wird. 
 
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