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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 146)

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Realie - sollte das Thema dargestellt werden, 
schon im Ansatz barg jede der beiden Kompo- 
nenten für sich die Gewißheit der Unvollständig- 
keit, diese weitgehend zu entschärfen war das 
anzustrebende Ziel. 
Die von sachlich-historischen Erwägungen dik- 
tierte Grundhaltung bei der Diskussion des The- 
mas brachte zudem schon im Ansatz des dar- 
zustellenden Zeitraumes eine Verschiebung zur 
zweiten Hälfte des frühen Mittelalters. Mag auch 
im allgemeinen und durchaus im besonderen der 
Beginn des Mittelalters früher anzusetzen sein', 
für diese Ausstellung konnte erst das Jahr 881, 
die erste gesicherte nachvölkerwanderungs- 
zeitliche Nennung Wiens in den Salzburger An- 
naleniden Anfang der Darstellung bedeuten. Die 
Frage noch der Kontinuität der Besiedlung an 
sich, bis heute nicht eindeutig und stichhältig be- 
ontwortett, stellte sich nicht, sie durfte als Hypo- 
these mit hohem Wahrscheinlichkeitsgehalt vor- 
ausgesetzt werden. Wie sehr diese Annahme auf 
archäologischen Ergebnissen basiert, veranschau- 
lichte das Kapitel mittelalterliche Archäologie. 
Jene Disziplin vermag durchaus unsere Vorstel- 
lungen vom Mittelalter zu ergänzen, [a sogar 
fallweise in ein anderes Licht zu rücken. Wie 
auch immer, entstanden aus den Restsiedlungen 
des zerstörten römischen Legionslagers Vindo- 
bona, kaum genannt in frühmittelalterlichen 
Quellen", steht Wien 1137" als voll entwickelte 
Stadt des Hochmittelalters vor uns. Wien war die 
bedeutendste Stadt am Fernhandelsweg der 
Donau geworden, im Wiener Raum lag ein 
Schnittpunkt der traditionellen europäischen 
transkontinentalen Verbindungen vom Westen 
nach dem Osten und vom Süden nach dem Nor- 
den". Der glänzende Hof der Babenberger, 
eine bedeutsame Pflegestätte des Minnesanges, 
zeigt Wien als Treffpunkt verschiedener Kulturen. 
Hier begegneten einander die ideale des ver- 
feinerten westeuropäischen Rittertums, die Ein- 
flüsse des hochzivilisierten islamischen Orients, 
den die Herzöge auf den Kreuzzügen kennen- 
lernten, und die prunkvolle mythische Welt Ost- 
roms, der die Babenberger durch ihre Heiraten 
mit byzantinischen Prinzessinnen verbunden wa- 
ren". Die horten Auseinandersetzungen wäh- 
rend der Periode des lnterregnums brachten 
Wien einerseits kurze Phasen der Reichsunmittel- 
barkeit", andererseits Stadtherren, die die 
neuen Möglichkeiten des Landesfürstentumsyoll 
ausschöpften. Auf das kurze Zwischenspiel 
(1251-1276) Känig Ottokars II. (Pizemysl) von 
Böhmen folgten mit Rudolf l. beziehungsweise 
dessen Sohn Albrecht I. die Habsburger. Begeg- 
nete die Stadt dem neuen schwäbischen Regi- 
ment zunächst mit großer Zurückhaltung, ia Ab- 
lehnung", so konnte bereits Albrecht ll."', der 
erste seines Hauses, der - nach 1330 - vorzugs- 
weise in Wien residierte, das Fundament berei- 
ten, auf dem Rudolf lV., der Stifter, jenes Wien 
erstehen lassen wollte, das hinter der damaligen 
Hauptstadt des Reiches, dem „goldenen Prag", 
nicht zurückstehen sollte. Die großzügige Fort- 
setzung des Baues von St. Stephan, die Grün- 
dung der Wiener Universität" vermehrten die 
Bedeutung der reichen Handelsstadt an der 
Donau. Die geordnete Entwicklung dieses städti- 
schen Gemeinwesens fand jedoch ein schmerz- 
liches Ende, ols die Macht der Habsburger vor- 
übergehend erschüttert wurde. In die aus den 
Teilungen des habsburgischen Besitzes entstan- 
denen Streitigkeiten über Erbschaften und Vor- 
mundschaftsangelegenheiten schaltete sich Wien 
nun dreimal ein. Seine dabei verfolgte Schaukel- 
politik endete iedoch erfolglos für die Stadt und 
tödlich für die Hauptbeteiligten". Zu den dyna- 
stischen Wirren des 15.Jahrhunderts gesellte sich 
zunächst auch die für Wien bedrohliche revolu- 
tionäre Erhebung der Hussiten", sodann die 
Auseinandersetzung mit den Ungarn und die 
Übergabe der Stadt an deren König Matthias 
Corvinus 1485-1490. Gleichzeitig verschärfte sich 
die Lage durch die stetig zunehmenden schweren 
wirtschaftlichen Rückschläge. Das Stapelrecht", 
ehemals Halt des Wiener Kautmannes, geschützt 
durch den Stadtherrn, wurde nun zusehends von 
den oberdeutschen kapitalkräftigen Kaufleuten 
mißachtet. Zudem änderten sich auch die geo- 
politischen Voraussetzungen: Mit dem Fall Kon- 
stantinopels (1453) drangen die Osmanen auf 
dem Balkan und im Mittelmeer nach Westen vor, 
mit den Entdeckungen der westeuropäischen See- 
fahrer verlagerte sich das Schwergewicht des 
europäischen Handels an die Länder am Atlan- 
tik, das Handelszentrum Wien erstarb. Verlor die 
Stadt auf diese Weise ihre mittelalterliche Funk- 
tion und besiegelte die Stadtordnung Ferdi- 
nands I. vom 12. März 1526" das Ende ihrer 
städtischen Freiheiten, so wurde ihr am Beginn 
der Neuzeit eine Rolle zugeordnet, die europä- 
isches Format erforderte, Am 29. April 1526 fiel 
König Ludwig von Böhmen und Ungarn im Kampf 
gegen die Türken bei Mohacs. Durch die Erbver- 
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