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Volltext: Alte und Moderne Kunst IX (1964 / Heft 76)

lm Vordergrund der kunstgewerblichen For- 
schungen steht derzeit ohne Zweifel in allen 
Ländern die Geschichte der französischen 
Möbelkunst des 18. Jahrhunderts. Die Werke 
der damaligen Pariser Ebenisten gelten heute 
nicht bloß als nationale Kunstleistungen, sie 
sind vielmehr zum Gemeingut der universellen 
Kunstgeschichte geworden. Sie waren im 
18. Jahrhundert stilbildend und blieben auch 
später durch lange Zeit für die ganze euro- 
päische Entwicklung richtungweisend. Fran- 
zösisches Mobiliar ist heute nicht nur in den 
Museen und Kollektionen Frankreichs, son- 
dern in allen großen Sammlungen Europas und 
Amerikas zu linden. 
Die französischen Möbel in Ungarn 7 soweit 
sie sich im Besitze des Museums für Kunst- 
gewerbe in Budapest und in Privatsammlungen 
befinden - beginnen erst ietzt bekannt zu 
werden, obwohl allein die Sammlung des 
Museums fast hundert Stücke umfaßt I. 
Die Verehrung der französischen Kultur und 
Kunst blickt in Ungarn auf eine alte Tradition 
zurück. Das Sammeln französischen Kunst- 
gewerbes, angefangen von den aus Paris 
stammenden Einrichtungen für die Schlösser 
des Hochadels bis zu den planmäßigen 
Erwerbungen der Museen, läßt sich bereits 
durch annähernd zwei Jahrhunderte zurück- 
verfolgen. 
Der Reichtum und die Vielfältigkeit der Möbel- 
sammlung des Museums für Kunstgewerbe ist 
verschiedenen Ursprungs. Die begeisterten 
Museologen der Vergangenheit haben seit dem 
Bestehen des Museums, also seit der zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts, aus vielen 
Regionen Europas kunstgewerbliche Gegen- 
stände angekauft. Die Sammlung wurde aber 
auch durch Stiftungen hervorragender Kunst- 
sammler bereichert. Die Möbel, die nach dem 
zweiten Weltkrieg aus mehreren ungarischen 
Schlössern in das Museum kamen, wurden 
seitdem noch durch weitere Ankäufe ergänzt. 
Der bedeutendste Teil der Budapester Samm- 
lung von Möbeln beginnt mit Beispielen des 
Louis-XlV-Stils und endet im wesentlichen 
mit dem Empire; umfaßt also jene wichtigste 
Periode, während der die französische Möbel- 
kunst in Europa führend war. 
Die Epoche Ludwigs XIV. ist wohl am besten 
durch ein Bureau plat vertreten, das angeblich 
aus der Werkstatt von A. C. Boulle stammtl 
(Abb. 1). Bei der Marketerie des Tisches 
handelt es sich um eine aus Ebenholz, Schild- 
patt und teilweise graviertem Messing ge- 
arbeitete „contre partie". Dazu kommen reich 
ziselierte goldbronzene Beschläge. Die Tisch- 
platte ist rechteckig und mit Leder bespannt; 
in der Mitte der vorderen Zarge beHndet sich 
ein tiefer liegendes, und seitlich davon ie ein 
kleineres Schubfach. Die beiden letzteren 
werden von dem oberen Schwung der drei- 
eckig geschnittenen, geschweiften Beine um- 
schlossen. Beine und Schubfächer sind mit 
einer Ranken-Marketerie in goldbronzenem 
Rahmen verziert. Die beiden Seitenfächer 
sind vom Mittelstück durch schwere, geglie- 
derte und gewölbte Beschläge getrennt. Den 
(iriff des mittleren Schubfaches bildet eine 
große Bacchusmaske, während sich an den 
Vorderstücken der seitlichen Laden kleinere 
Frauenmasken befinden. Die goldbronzenen 
Schuhe der Beine enden in nach außen ge- 
bogenen Voluten, und über dem Knieteil 
sind Faunmasken angebracht. Auch die Seiten- 
teile zeigen Rankeneinlagen. Die hintere 
Zarge ist wie die vordere gegliedert, nur sind 
die Fächer blind. 
Dieses Möbelstück ist, wie gesagt, wahrschein- 
lich eine späte Arbeit aus der Werkstatt von 
Andre Charles Boulle aus den Jahren um 
1700. Es handelt sich dabei um einen ziemlich 
allgemeinen Typ der Bureau-plat-Möbel von 
Boulle. Schon Havard hat auf diesen Grundtyp 
hingewiesen 3. Das ihm am nächsten verwandte 
Vergleichsbeispiel befindet sich in der Wallace 
Collection4. Zur selben Gruppe gehört aber 
auch der „Colbert-Schreibtisch"5, gleichfalls 
in „contre partie" ausgeführt, der Boulle zu- 
ANMERKUNGEN 17 5 
1 1-1. Szabolcsi, Funde butorok (Französische Möbel), Budapest 
1963. 
1 lnv.-Nr. 54.3073, H. a1 (m, n. m4 m, T. so m, 
1 1-1. I-lavard, Dinionnain: a: l'Amcublcmcnt. Paris 1391. 1. 
s. 468, Abb. 322. 
4 F. j. B. Watson, Wallace COHUCHOII Camlogues, London 1956. 
s. 22b, Abb. 9a. 
s cm. No. s, um v. 

	        
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