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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
10. Jahrgang. Wien, 15. November 1918. Nr. 21. 
Zwei alte illyrische Münzen. 
Von Hofrat Konstantin 
Auf keinem Sammelgebiete ist angeborener Sinn 
für geschichtliche Entwicklungen oder auch nur aner 
zogenes Interesse für die Kultur der Vergangenheit 
so unentbehrlich, wie auf dem numismatischen. Wer 
sie nicht besitzt, wird nicht einmal die 51% Dukaten 
wiegende, geschichtlich gewiß höchst fesselnde Gold 
münze des Kaiser Valens im Wiener kunsthistorischen 
Hofmuseum anders als einen Goldklumpen werten und 
wird ihr mutmaßlich kaum so viel Geschmack abge 
winnen, wie allenfalls einer Schmuckkassette modernen 
Stils, wenn sie aus eben derselben Goldmenge ver 
fertigt w r orden wäre. 
Der Geschichtsfreund aber, der in jedem wasch 
echten Numismatiker steckt, denkt anders. Mit zart 
zusammenklammcrnden Fingern faßt er vorsichtig 
selbst die unscheinbarste alte Münze an, bringt sie zu 
eingehender Betrachtung in seine Augennähe und hat 
alsbald die Empfindung, als fingen all die Zeichen, Bilder 
und Aufschriften dieser Münze wie von selbst geheim 
nisvoll zu raunen an, zu erzählen von der Zeit, da sie 
entstand und von der sie dem Gegenw 7 artsmenschen 
eine viel beglaubigtere Zeugenschaft abzulegen ver 
mag, als irgend ein anderes Denkmal der Vergangenheit. 
Und je mehr der Betrachtende von dieser gehört und 
gelesen hat, desto mehr wird ihm auch die unschein 
barste alte Münze zu.sagen haben, gleichwie in einem 
Bühnenstücke der Weltliteratur der Dichter einem 
demütigen Landmann oder einem Bettler oft gehalt 
vollere Weisheitsworte' in den Mund legt, als dem 
herrschfrohen König oder dem in prunkvolle Gewänder 
gehüllten Edelmann. 
Namentlich ist der Umgang mit altgrichischen 
Münzen sehr anregend, deren unübersehbare Münz 
bilder, wie Götter, ■ Symbole, Tiere,- Waffen, Geräte 
usw\ in xuis die Vorstellung erwecken, als w'ären Mythos 
und Heldensage der Griechen nicht Phantasieerzeugnisse 
eines seine Entstehungsideale, ausmalenden Volkes, 
sondern greifbare Wirklichkeit. 
Da liegen zum Beispiel zwei recht armselig an 
mutende altgriechische Silberdrachmen vor mir, die 
von den Städten Apollonia und Dyrrhachium 
des adriatischen Küstenlandes Illyricum — seit 
168 v. Chr. zu Rom gehörig — geprägt worden waren. 
Um es gleich herauszusagen, stand Apollonia in der 
Nähe der heutigen Stadt Valona, während Dyrrha 
chium mit der jetzigen Stadt Durazzo identisch ist, 
Danhelovsky (Wien). 
beide in Albanien und in der Gegenwart viel genannt. 
Auf beiden Münzen sicht man auf . dem Avers eine Kuh, 
die ihr Kalb säugt, und zwar bei Apollonia den Kopf 
nach links, bei Dyrrhachium aber nach rechts wendend. 
Vermutlich einigten sich die M.unizipien der zwei 
Nachbarstädte hinsichtlich der gemeinschaftlichen An 
bringung dieser als Sinnbild oder Stadtw-appen dienenden 
Tiergestalt und ließen dabei durch ihre Münzmeister 
das kleine Unterscheidungsmerkmal in der eben er 
wähnten Kopfhaltung der Kuh anbringen. Auf den 
Reversseiten aber stellt der Hauptumriß ein myste 
riöses, in zwei Felder geteiltes Viereck dar, in dem leicht 
gekrümmte Linien nebeneinander parallel laufen und 
überdies auch viele querfeldein gezogene Pünktchen 
wahrnehmbar sind. Nach der allgemeinen, nun schon 
zur opinio doctorum erstarrten numismatischen An 
schauung hat man in diesen Vierecken den Garten des 
Alkinous zu erblicken, eines mythischen Königs, 
der laut Homer über das genußliebende Völkchen der 
Phäaken auf der Insel Kerkyra (Korfu) geherrscht 
haben soll. Bei ihm fand der gestrandete Odysseus 
freundliche Aufnahme, den die schöne . und kluge 
Nausikaa, Tochter des Alkinous, bei ihrem Vater 
einführte. Unwillkürlich schweifen hierbei unsere Ge 
danken zu Goethes unvollendet gebliebenem Trauer 
spiele „Nausikaa“ hinüber, darin Nausikaa, dem 
Ulysses (Odysseus) den väterlichen Garten in ver 
lockenden Farben schildert. 
Aber vielleicht ließen die Munizipien Apollonias 
und Dyrrhachions auf ihre Münzen den Garten des 
Phäakenkönigs auch im Seitenblick auf die Argonauten 
sage setzen. Bekanntlich zogen die griechischen Schiffer, 
Argonauten benannt, nachdem ihr Führer Jason das 
Widdervlies geraubt hatte, auf der Heimfahrt durch 
die Wellen des Adriatischen Meeres und fanden — wie 
Odysseus •— ebenfalls freundliche Aufnahme bei König 
Alkinous in Kerkyra. Es wäre nicht undenkbar, daß 
zu-jener Zeit, als die beiden Stadtmünzen geprägt 
wurden, noch eine ferne Erinnerung an eine möglicher 
weise erfolgte Landung der Argonauten in Apollonia 
und ‘ Dyrrhachium sich im Voiksbewußtsein erhalten 
hat, und daß vielleicht die Volkstümlichkeit des in der 
Nähe herrschenden, die Argonauten gastfreundlich 
beschirmende^. Alkinous . Veranlassung bot, seinen 
Garten auf den Münzen zu verewigen. Eine Beziehung 
zwischen. Alkinous und der immerhin denkbaren Ar-
	        
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