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schaftliche Umschichtung der Zeit um 300
bereitete den Boden dafür, und das aus einer
östlichen Provinz eintretende und im Reich
immer mächtiger werdende Christentum lie-
ferte die geistige Substanz. Das Ergebnis in
der Kunst aber war: abbildender, erzählender
Realismus trat zurück hinter die repräsentative,
ausdrucksgeladene Darstellungsart, in der es
nicht mehr darum ging, einen Vorgang
illustrativ zu schildern, sondern das innere
Wesen und die metaphysische Bedeutung des
Vorgangs möglichst eindrucksvoll dem Be-
trachter vorzustellen. Das veränderte alles,
was zu Bild und Darstellung gehört: Kompo-
sition und Anordnung der Bilder wie Ab?
bildung der einzelnen Person. Bis in die
Kaiserporträts reicht die Absicht, das Bild
der einzelnen Person zurücktreten zu lassen
hinter die Darstellung ihrer Aufgabe und
Funktion. liinzelvorgänge und Detailschil-
derungen wurden aus den Bildern ausge-
schlossen, und repräsentative Einzelbilder
traten an ihre Stelle, in denen wenige Per-
sonen das zu sagen haben, was vorher durch
lange Bilderreihen schildernd zum Ausdruck
gebracht wurde. So entstanden abbreviierte
Darstellungen, in denen Einzelpersonen, wie
etwa ein Kaiser oder Christus oder auch ein
Orant, so hervorgehoben werden, daß das
Wesen und die Bedeutung des ganzen Bildes
in ihnen zusammengefaßt erscheint und der
Betrachter zur stillen, ja anbetenden Be-
trachtung dieser Figuren und damit der ganzen
Handlung neben diesen aufgefordert wird.
Derartige Überlegungen führten sogar zu
völlig unrealistischen Umbildungen von An-
ordnung und Perspektive, da die hervor-
gehobene Person immer größer wurde und
die anderen kleiner, sie in die Mitte gestellt
wurde und die anderen symmetrisch zu
Seiten aufgereiht, wie es bereits im 4. Jahr-
hundert an der Basis des Theodosiusolwelisken
in Konstantinopel geschah. Für die Kunst
eröffneten sich daraus xiöllig neue Aspekte.
Diese große Limwälzung vollzog sich im
römischen Reich des 4. Jahrhunderts in einer
Zeit, in der die ganze antike Welt, von
Britannien bis nach Ägypten und an die
Grenzen Persiens, in einem Staat straffster
Organisation zusammengefaßt war. Mischung
und Austausch aller vorhandener Kräfte und
Traditionen, aller ldeen und Religionen in
diesem Reich in der Zeit um 300 waren weit
intensiver, als wir uns das heute mit allem
internationalen Zusammenhang denken kön?
nen. Kurze Zeit danach zerbrach dieses Reich,
aber die Wirkung sowohl im Geistigen wie
im Künstlerischen ging nicht verloren. ln
Ostrom, in Byzanz, wurden die hier zugrunde
gelegten Ideen durch ein Jahrtausend weitere
geführt, und im Westen, in den Reichen der
Barbaren, bildeten sie die Grundlage zu jahr-
hundertelanger Entwicklung.
Diese Situation, diesen Ausgangspunkt dar-
zustellen und an einzelnen Werken zu zeigen,
war die Aufgabe der Ausstellung „Früh-
christliche und koptische Kunst", die in
Wien im Frühjahr 1964 vom Unterrichts
ministerium veranstaltet wurde. Zwei große
Ausstellungen, die koptische Kunst aus Essen
und Zürich und die frühchristliche Kunst aus
Essen und Mecheln, wurden vereint und durch
bedeutende Leihgaben, die nur für Wien
gegeben wurden, ergänzt, um ein möglichst
vollständiges Bild der Epoche zu geben.
Koptische Kunst ist die Kunst Ägyptens der
Spätantike, in der die Mischung und Über!
schichtung der antiken Tradition mit dem