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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 78)

iten waren Werkstätten tätig. Wie die 
kerei zuvor schon in Tournai betrieben 
den war, verschwand sie nun keineswegs 
Arras, es wurde gewissermaßen nur zu 
r Zweigniederlassung, und andere solche 
rigbetriebe gab es in Lille, Amiens, Ypern 
Douai. Die Meister von Tournai aber 
immten den Stil. Sie gaben an Stelle der 
internationalen Stil von 1400 entwickelten 
n, die Arras anscheinend auch zu Beginn 
zweiten Jahrhundertviertels noch gepflegt 
z, ihren Bildteppichen ein naturalistischeres 
bewegteres Aussehen. Teppiche solcher 
können also auch in Amiens entstanden 
, wo man mit Sicherheit die Werkstatt 
Altars aus der Kartause von Thuison-les- 
ieville suchen darf und wo höchstwahr- 
inlich auch die Tafel der Austreibung 
alt worden ist. Dieser Raum zwischen 
ime und Tournai bildete in diesen Jahr- 
iten der Blüte eine vielfach verklammerte 
ieit, an der Burgund wie Frankreich 
then Anteil hatten. Amiens war 1435 mit 
Picardie an Burgund gekommen und 
te erst 1477 an Frankreich zurück. Tournai 
war eine Enklave der französischen 
ne. Und endlich ist zu betonen, daß die 
rutendsten Künstler Patronen 7 Ent- 
fe 7 für Bildteppiche geliefert haben. 
rnaier Rechnungen nennen Robert Campin 
Jacques Daret. Und Simon Marrnion ließ 
während er in Valenciennes ansässig war, 
ie Malerzunft von Tournai einschreiben, 
den Tapissiers Entwürfe liefern zu 
"ICH. 
war die allgemeine Situation. Den Stil 
Tournaier Bildteppiche dieser Jahrzehnte 
charakterisiert Betty Kurth mit diesen 
ten: „Ein lebhaft bewegtes Neben- und 
reinander, ein phantastisches Figuren- 
änge, ein Horror vacui, der das ganze 
ield bis auf das letzte Plätzchen füllt", um 
erhin zu bemerken: „Auch scheinen diese 
se nicht mehr mit der Miniaturmalerei 
rnmenzuhängen, sondern in ihrem deko- 
en Reichtum, in ihrer farbigen Bewegtheit 
mehr die Wirkung von Wandgemälden 
streben"l3. Das könnte auch vom Bild 
Fempelreinigung gesagt sein. Und ebenso 
wenn Hermann Schmitz betont, daß „in 
Arbeiten seit den dreißiger Jahren ein 
er Realismus, eine starre Faltengebung 
abgemessene zeremoniöse Haltung zu 
achten" seien 14. Ausführlich haben wir 
dem bewegten Figurengedränge im Bilde 
Fempelreinigung gesprochen. Es war also 
zswegs nur im Bildthema, der Austreibung 
{ändler und Wechsler aus dem Tempel, 
igt, vielmehr war es in allgemeineren Stil- 
iren begründet. Es entspricht einer zweiten 
chtung in der nordfranzösischen Malerei, 
in den Bildteppichen von Tournai be- 
ers entwickelt wurde. Der ausführliche 
smus der Kirchenarchitektur hat in den 
iichen keine Parallelen, das Motiv ist 
iehr aus Bildern des Robert Campin 
:hen, wenn auch die koloristische Be- 
lung der einzelnen Formen völlig un- 
rländisch ist. So ist es durchweg. Nieder- 
sch ist der Ausblick auf den Hof durch 
Seitenportal, an der niederländischen 
Malerei allgemein geschult ist der Realismus; 
wie er verwirklicht ist, gleicht jedoch der 
kraftvollen Art der T uurnaier Bildteppiche. 
Gemeinsam ist ihnen weiterhin die Scheu vor 
leerer Fläche, der Horror vacui, ist ihnen die 
lebhafte und wenig räumliche, wesentlich 
dekorative und auch wieder sehr expressive 
Bildgestaltung. Kompositionsweise und Form- 
gestaltung sind 7 generell genommen 7 
überraschend verwandt. Die Tournaier Bild- 
teppiche sind ihrer dekorativen Funktion 
gemäß zumeist sehr gleichmäßig gefüllt. Aber 
anders als die mehr lyrisch gestimmten älteren 
Teppiche von Arras, anders auch als die 
festlichen jüngeren aus Brüssel sind in ihnen 
die Figuren zumeist lebhaft bewegt, sind die 
Gruppen gern kontrastreich gegeneinander 
gestellt. Wie sie die antiken Historien und 
Mythologien expressiv erzählen, gleicht durch- 
aus der Art, wie die Austreibung der Händler 
aus dem Tempel veranschaulicht ist. Der 
Szenen aus dem Gedicht „Pilatus" schildernde 
Teppich im Österreichischen Museum für 
angewandte Kunst in Wien I5 zeigt vorzüglich, 
wie eine expressive Komposition die dekora- 
tiven Gesetze des Bildteppichs keineswegs zu 
verletzen braucht. Kein Zweifel, hier äußert 
sich gleichgesinntcs Formgefühl. Es begegnet 
auch in der noch sehr gotischen Statik der 
Figuren und in dem herben Realismus, der 
sich zumal in den Gesichtern ausdrucksvoll 
ausspricht. 
Dabei ist zu beachten, daß der formgebende 
Wollfaden, da. der Bildteppich zu einer 
realistischeren Darstellung strebte 7 wie die 
Kunst allenthalben 7, manche Kontur und 
manchen Übergang kräftiger und mitunter 
auch derber erscheinen ließ, als ein Maler sie 
in einem Bilde gegeben hätte. Vielleicht haben 
auch die Zeichner 7 die Cartonniers 7, welche 
die Entwürfe der Maler auf die für die Wirker 
verbindlichen Kartons übertrugen, aus der 
Not eine Tugend gemacht und den technischen 
Gegebenheiten gemäß den für die Tournaier 
Teppiche charakteristischen Stil entwickelt. 
Das ist wohl möglich 7 lassen wir die Frage 
offen 7, der Maler der Tempelreinigung 
formte jedenfalls anders mit weichem Pinsel 
und gab in den Gesichtern, aber gemeinhin 
auch anderwärts zarte Übergänge, mied über- 
haupt, wo irgend möglich, Konturen. Dennoch 
darf nicht geschlossen werden, zwischen den 
Bildteppichen von Tournai und der zeit- 
genössischen Tafelmalerei hätte keinerlei Be- 
ziehung bestanden. Solcher Meinung wider- 
sprechen die überkommenen urkundlichen 
Nachrichten, ihr widersprechen ebenso Tafeln 
wie die Austreibung aus dem Tempel. Nur 
müssen die jeweiligen technischen Gegeben- 
heiten und Bedingnisse bedacht werden. 
Malerei mit harzigen oder öligen Farben und 
mit einem geschmeidigen Pinsel erlaubt andere 
Gestaltungsmöglichkeiten als Wirken mit XX"oll- 
fäden. Die Tafelmalerei war auf dem Weg zu 
eigenständigen Aussagen schon weit voran- 
geschritten, die Bildwirkerei aber suchte in 
diesen entschcirlungsvollen Jahrzehnten eines 
Wandels von einer idealistischen zu einer 
realistischen Form nochmals einen liigenstil, 
ähnlich wie Holzschnitt und Kupferstich 
gleichzeitig ihre Aussagcform suchten. Sodann 
ist zu überlegen, daß die Teppiche zu 
das Milieu des burgundischen Hofes spii 
Die Jagdteppiche aus dem Besitz des H: 
von Devonshire (London, Victoria and i 
Museum)16 schildern eine Lieblingsbe 
tigung der ritterlichen Gesellschaft, in an 
sind antike oder mythologische Geschich 
die Atmosphäre der adeligen Besteller 
tragen. Das Bild der Tempelreinigung 
uns dagegen eine sehr andere soziale S1 
vor. 
Und dennoch, die Köpfe der Händler 
Wechsler gleichen auffallend Köpfen in 
Fragment mit der Geschichte Alexanders 
mals Sammlung Aynard, Lyon), in 
Alexander-Teppichen des Palazzo Doi 
Rom, im Wiener Pilatus-FragmentW. A1 
lauben zudem aufschlußreiche Vergleicl 
den Faltenstil. Die kerbigen Falten ar 
Ärmeln im Pilatus-Teppich z. B. gls 
genau denen bei Christus. Der Kopf d: 
Boden hockenden Frau begegnet sehr äl 
in dem Fragment mit der Geschichti 
Schwanenritters von 1462 (Wien, Österr 
sches Museum für angewandte Kunst)!!! 
auch in vielen anderen Teppichen, s 
Fragment mit der Darstellung Esthers ( 
Louvre) 19. Wie in diesem finden sich 
sonst sehr häufig Damaste mit solch bet 
Mustern wie in der Tafel der Tcrnpelreini 
linden sich solch steife Falten wie im Ge 
des Mannes mit dem Zicklein am re 
Pfeiler. 
Es mag der Hinweise und Vergleiche g 
sein. Man wird nicht mehr zweifeln di 
das Bild der Tempelreinigung entstand - 
1470 7 in einer Stilentwicklung, die ur 
Tournaier Bildteppiche, wenn auch 
einseitig, recht instruktiv belegen. Dabe 
es 7 dies ist nachdrücklich zu betont 
keineswegs so, daß der Maler in deren l 
folge geschaffen hat. Eher war er eine 
gebenden Künstler, aber mag auch dies t 
gestellt bleiben, auf alle Fälle hat er ii 
gleichen Entwicklung und aus verwa 
Haltung sein Bild geformt. Daß dem ii 
Tat so ist, bestätigt die Kreuzigung mi 
Georgslegende (Paris, Louvre)10. Die 
soll einer alten Überlieferung zufolge au 
Kartause Champmol bei Diion stammen 
wiederum die raumweiten Beziehungei 
damaligen Frankreich und Burgund beu 
würde, denn burgundisch ist die Tafel k: 
falls. Vielmehr gehört sie in die aufgeze 
Zusammenhänge, wobei sie eine etwas ffl 
Entwicklungsstufe präsentiert, etwa dir 
Jahrhundertmitte, wie Vergleiche mit 
spätesten der Jagdteppiche, der Reh- 
Entenjagd 11, mit dem um 1450 einzi 
nenden Passionsteppich (Brüssel, Cinqu 
naire) 21 oder auch den 1459 von Philipp 
Guten bestellten und 1461 bereits ausgesti 
Teppichen mit der Geschichte Alexander 
Großen (Rom, Palazzo D0ria)13 in jeden 
wünschbaren Hinblick belegen können, 
man, wie stets notwendig, die in der T81 
und dem Eigenwillen der Cartonniers 
anlaßten Eigentürnlichkeiten berücksichti 
Noch weiter zurückzugehen und nach 
Anfängen dieses Stiles zu fragen, nach QL 
zu suchen, die ebenso das Bild der Ter
	        
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