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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 78)

Neue Entwicklungen in der Arbeit Fritz Wotrubas 
Der bildnerische Einsatz Fritz Wotrubas 
gilt von den ersten Anfängen an einem 
klassischen Figurenideal. Anlaß und 
Erfüllung diese; Erstrebens. ein am 
menschlichen Körper ermessenes For- 
mengefüge strenger Proportion. sind 
über die verschiedenen Phasen seines 
Schaffens hin durch eine gleiche Ord- 
nung gerichtet: durch den erklärten 
Entwurf. der ein ursprüngliches. gewis- 
sermaßen archaisches Prinzip zu gegen- 
wärtigem Ausdruck faBt. Auf besondere 
Weise ist dieses Figurenwerk seit jeher 
unbekümmert um die jeweils aktuellen 
Strömungen verlaufen, deren Verhei- 
ßungen Wotruba die zähe, in sich be- 
gründete Eigenart seiner Arbeit ent- 
gegenzusetzen hat. Sein Thema ist von 
den ersten Anfängen an gewesen, es zu 
erweisen, ob und auf welche Weise in 
einer so überaus nachklassischen Situa- 
tion der Künste die neue Verbindung 
von Emotion und Form, von Strenge 
und Kraft im Recht sei. 
Der an sich haltende, elementare. auf 
pure Wesenheiten reduzierte Figuren- 
typus Wotrubas ist durch ein sparsam 
verändertes Formenvokabular erwirkt 
und in den verschiedenen Möglichkeiten 
geprüft worden. Eine latente Klossizität 
bestimmt zumal die Läuterung, die das 
Stelen- und Karyatidenhafte der auf- 
ragenden Bildpfeiler geprägt hat. Diese 
besondere Entwicklung kündigt sich in 
der Kunst Fritz Wotrubas 1955 an, als 
in der Arbeit am großen Friesband 
dieses Jahres eine neue plastische For- 
malitüt gewonnen wird. lm ruhigen. 
gelassen-klaren Differenzieren der Kör- 
per ist damals ein neuer Weg einge- 
schlagen. der sich vom expressiven 
Formenwerk der Jahre 1952l53 sehr 
unterscheidet. Die ..Stehende Figur" V0"! 
1958 ist ein schönes Beispiel für die neue 
Ausgewogenheit der Spannungen. Die 
zuvor tubischen Schäfte machen einem 
wiederum kantigen Gefüge Platz. Die 
Unterteilung durch Gesimse. Auskra- 
gungen. die das Zusammentreffen der 
Teile kennzeichnen. betont das Ge- 
stückte. Geschossige im damals neuen 
Figurenbau. der später mehr und mehr 
zur bloßen, komprimierten Bildzäule 
gediehen ist. zum schlanken, mit sub- 
tilen Erweiterungen. räumlichen Ver- 
rückungen und Halt schaffenden Ak- 
zenten ausgestatteten Pfahl. Deutlicher 
als bis dahin ist die bildnerische Hal- 
tung. die in diesem umformulierten 
Gleichmaß einem geradezu architek- 
tonischen Prinzip folgt. 
Die von der Stadt Frankfurt erworbene 
große „Stehende Figur" des Jahres1962 
bedeutet die in diesem Zusammenhang 
endgültige Wegmarke in der Arbeit 
Fritz Wotrubas. Anläßlich der Arbeit 
an diesem Werkstück wird die bis dahin 
allseitige Rundplastik zu gerichteter 
Strebigkeit verändert. Schmalseite und 
mächtiges Profil sind in scharfer Be- 
stimmtheit kontrastiert. Kanten und 
Verläufe in einer vom Vorigen so ver- 
schiedenen Genauigkeit eingehalten. 
orthogonale Quader und Schichten in 
einer Art verfügt, die nur noch in Ent- 
würfen der Baukunst ein vergleichbares 
Gegenstück hat. 
Dieser neue Figurentypus, der bei den 
anderen Großplastiken aus letzter Zeit, 
der ,.Liegenden Figur" (1962i63) und 
der "Großen Figur" (1963), zu beweg- 
teren, vergleichsweise heftig ineinander 
verschränkten Formen erfaßt worden 
ist. hat in dem monumentalen Figuren- 
fries für das Foyer zum Festsaal der 
neuen Marburger Universität die bisher 
entschiedenste Formulierung erhalten. 
Im Zusammenhang mit den Teilen 
dieses insgesamt 33 Meter langen Reliefs 
sind ihnen voraus und nebenher Zeich- 
nungen und Radierungen entstanden. 
die den neuen Figurenbau im Graphi- 
schen betreiben. Diese in spontaner 
Arbeitseile zu Papier gebrachten Zeich- 
nungen lassen eben im Entwurfhaften 
die bestimmenden Richtlinien erken- 
nen: das vervielfachte, dem plastischen 
Schichtenbau entsprechende. Raum 
schaffende Formmittel. die monumen- 
tale Mächtigkeit des dichten Zusammen- 
stehens und die reiche Art des Differen- 
zierens zu behutsamen oder dramati- 
schen Bewegungen, die aus den wie 
beiläuhgen Schraffen und verstärkten 
graphischen Strukturen dieser Blätter 
erstehen. 
In der schließlichen Ausführung der 
Marburger Reliefteile ist die Geometri- 
sierung des Figurenbaues zu einem bis- 
her üußersten Punkt fortgeschrilten. 
Die zuvor sehr mit Absicht rauh be- 
Iassenen Oberflächen wachsen in eine 
außerordentliche Glätte und Schärfe. 
Eine strenge. rechtwinkelige Ordnung 
folgert aus dem Formeninventar. das 
zuerst in der ..Stehenden Figur" auf- 
gegriffen und über eine in sich ge- 
schlossene Reihe Bü:ten und Köpfe fort- 
geführt worden ist. Jedoch sind die 
Teile in einen neuen gesamtheitlichen 
Rhythmus gebracht. der auch noch die 
Versetzung in der Wandfläche mit- 
bestimmt. Tiefe Ausnehmungen geben 
den Figuren und ihrer Abfolge Raum 
und Abstand. Die gewissen Verrückun- 
gen, die den abgetreppten Schichten- 
bau der Kopf-Reihe prägen. sind nun- 
mehr auch auf die Anbringung der 
Stückformen übertragen (wie ia auch 
das Figurenrelief von 1958 w im Besitz 
des Wiener Museums des 7.0. Jahr- 
hunderts 7 von der bloßen bildneri- 
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