Neue Entwicklungen in der Arbeit Fritz Wotrubas
Der bildnerische Einsatz Fritz Wotrubas
gilt von den ersten Anfängen an einem
klassischen Figurenideal. Anlaß und
Erfüllung diese; Erstrebens. ein am
menschlichen Körper ermessenes For-
mengefüge strenger Proportion. sind
über die verschiedenen Phasen seines
Schaffens hin durch eine gleiche Ord-
nung gerichtet: durch den erklärten
Entwurf. der ein ursprüngliches. gewis-
sermaßen archaisches Prinzip zu gegen-
wärtigem Ausdruck faBt. Auf besondere
Weise ist dieses Figurenwerk seit jeher
unbekümmert um die jeweils aktuellen
Strömungen verlaufen, deren Verhei-
ßungen Wotruba die zähe, in sich be-
gründete Eigenart seiner Arbeit ent-
gegenzusetzen hat. Sein Thema ist von
den ersten Anfängen an gewesen, es zu
erweisen, ob und auf welche Weise in
einer so überaus nachklassischen Situa-
tion der Künste die neue Verbindung
von Emotion und Form, von Strenge
und Kraft im Recht sei.
Der an sich haltende, elementare. auf
pure Wesenheiten reduzierte Figuren-
typus Wotrubas ist durch ein sparsam
verändertes Formenvokabular erwirkt
und in den verschiedenen Möglichkeiten
geprüft worden. Eine latente Klossizität
bestimmt zumal die Läuterung, die das
Stelen- und Karyatidenhafte der auf-
ragenden Bildpfeiler geprägt hat. Diese
besondere Entwicklung kündigt sich in
der Kunst Fritz Wotrubas 1955 an, als
in der Arbeit am großen Friesband
dieses Jahres eine neue plastische For-
malitüt gewonnen wird. lm ruhigen.
gelassen-klaren Differenzieren der Kör-
per ist damals ein neuer Weg einge-
schlagen. der sich vom expressiven
Formenwerk der Jahre 1952l53 sehr
unterscheidet. Die ..Stehende Figur" V0"!
1958 ist ein schönes Beispiel für die neue
Ausgewogenheit der Spannungen. Die
zuvor tubischen Schäfte machen einem
wiederum kantigen Gefüge Platz. Die
Unterteilung durch Gesimse. Auskra-
gungen. die das Zusammentreffen der
Teile kennzeichnen. betont das Ge-
stückte. Geschossige im damals neuen
Figurenbau. der später mehr und mehr
zur bloßen, komprimierten Bildzäule
gediehen ist. zum schlanken, mit sub-
tilen Erweiterungen. räumlichen Ver-
rückungen und Halt schaffenden Ak-
zenten ausgestatteten Pfahl. Deutlicher
als bis dahin ist die bildnerische Hal-
tung. die in diesem umformulierten
Gleichmaß einem geradezu architek-
tonischen Prinzip folgt.
Die von der Stadt Frankfurt erworbene
große „Stehende Figur" des Jahres1962
bedeutet die in diesem Zusammenhang
endgültige Wegmarke in der Arbeit
Fritz Wotrubas. Anläßlich der Arbeit
an diesem Werkstück wird die bis dahin
allseitige Rundplastik zu gerichteter
Strebigkeit verändert. Schmalseite und
mächtiges Profil sind in scharfer Be-
stimmtheit kontrastiert. Kanten und
Verläufe in einer vom Vorigen so ver-
schiedenen Genauigkeit eingehalten.
orthogonale Quader und Schichten in
einer Art verfügt, die nur noch in Ent-
würfen der Baukunst ein vergleichbares
Gegenstück hat.
Dieser neue Figurentypus, der bei den
anderen Großplastiken aus letzter Zeit,
der ,.Liegenden Figur" (1962i63) und
der "Großen Figur" (1963), zu beweg-
teren, vergleichsweise heftig ineinander
verschränkten Formen erfaßt worden
ist. hat in dem monumentalen Figuren-
fries für das Foyer zum Festsaal der
neuen Marburger Universität die bisher
entschiedenste Formulierung erhalten.
Im Zusammenhang mit den Teilen
dieses insgesamt 33 Meter langen Reliefs
sind ihnen voraus und nebenher Zeich-
nungen und Radierungen entstanden.
die den neuen Figurenbau im Graphi-
schen betreiben. Diese in spontaner
Arbeitseile zu Papier gebrachten Zeich-
nungen lassen eben im Entwurfhaften
die bestimmenden Richtlinien erken-
nen: das vervielfachte, dem plastischen
Schichtenbau entsprechende. Raum
schaffende Formmittel. die monumen-
tale Mächtigkeit des dichten Zusammen-
stehens und die reiche Art des Differen-
zierens zu behutsamen oder dramati-
schen Bewegungen, die aus den wie
beiläuhgen Schraffen und verstärkten
graphischen Strukturen dieser Blätter
erstehen.
In der schließlichen Ausführung der
Marburger Reliefteile ist die Geometri-
sierung des Figurenbaues zu einem bis-
her üußersten Punkt fortgeschrilten.
Die zuvor sehr mit Absicht rauh be-
Iassenen Oberflächen wachsen in eine
außerordentliche Glätte und Schärfe.
Eine strenge. rechtwinkelige Ordnung
folgert aus dem Formeninventar. das
zuerst in der ..Stehenden Figur" auf-
gegriffen und über eine in sich ge-
schlossene Reihe Bü:ten und Köpfe fort-
geführt worden ist. Jedoch sind die
Teile in einen neuen gesamtheitlichen
Rhythmus gebracht. der auch noch die
Versetzung in der Wandfläche mit-
bestimmt. Tiefe Ausnehmungen geben
den Figuren und ihrer Abfolge Raum
und Abstand. Die gewissen Verrückun-
gen, die den abgetreppten Schichten-
bau der Kopf-Reihe prägen. sind nun-
mehr auch auf die Anbringung der
Stückformen übertragen (wie ia auch
das Figurenrelief von 1958 w im Besitz
des Wiener Museums des 7.0. Jahr-
hunderts 7 von der bloßen bildneri-
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