AUSSTELLUNG CLAUDE LORRAIN IN
DER ALBERTINA - HERBERT BOECKL
lM MUSEUM DES 20. JAHRHUNDERTS
Als Ergebnis langjähriger wissenschaft-
licher Forschungsarbeit Eckhart Knabs
kann die große Ausstellung ..Claude
Lorrain und die Meister der römischen
Landschaft im 17. Jahrhundert" be-
zeichnet werden, die bis Mitte Februar
in der Graphischen Sammlung Albertina
zu sehen war,
Die Arbeiten Claude Lorrains zählen
schon seit langem zu den bedeutendsten
Schätzen des Instituts. Von insgesamt 33
etgenhöndigen Blättern. die die Alber-
tina besitzt. finden sich bereits 31 in
einem wichtigen Sammlungskatalog GLS
dem Jahre 1822 eingetragen und be-
schrieben. Geringeres Augenmerk als
den Zeichnungen Lorrains schenkte
man in früheren Jahren allerdings den
graphischen Blättern seiner Zeitge-
nossen. Teile der Sammlungsbestände
waren bis vor kurzem nahezu völlig
unbekanntoder nur wenigen Fachleuten
vertraut. Um einerseits diese Lücke tn
der wissenschaftlichen Forschung zu
schließen und um andererseits das Publi-
kum mit den wertvollen und schönen
Blättern Lorrains und seiner Zeitge-
nossen bekannt zu machen. wurde die
Ausstellung veranstaltet. 390 Zeich-
nungen. Radierungen und Kupferstiche.
darunter zahlreiche Leihgaben aus-
lündtscher Museen. konnten zu einem
umfassenden Überblick der Landschafts-
und Genrekunst des 17. Jahrhunderts
vereint werden,
Zwei kleinere Säle galten allein den
Vorläufern Lorrains. Künstlern wie den
Brüdern Matthäus und Paul Bril,
Agostino und Annibale Carracci. Jan
Breughel dem Älteren. Hendrik Goudt.
Agosttno Tassi und Cornelts van Poeten-
burg. Besondere Beachtung verdienten
in diesem Teil der Ausstellung vor allem
die Blätter des Frankfurters Adam Els-
heimer. der wohl zu den bedeutendsten
Landschaftszeichnern seiner Zeit ge-
rechnet werden darf. 1600 liel] sich
Elsheimer in Rom nieder. wo er auch.
im Alter von nur 32 Jahren. verstarb.
Seine Zeichnungemdieinihrer knappen
und feinen Art mitunter wie Vorstufen
zu jenen Rembrandts wirken. übten
mehr als die Blätter Breenberghs und
Poelenburghs (auch diese beiden Künst-
ler hielten sich lange Jahre in Rom.
dem künstlerischen Mekka jener Zeit.
auf) aufdie Kunst Lorrains nachhaltigen
Etnfluß aus.
Claude Gelee. genannt ..Le Lorrain".
wurde 1600 in Chamagne in Lothringen
geboren (daher auch der Name Lor-
rain). 1613 zog er mit einem verwandten
Gewerbetreibenden erstmals nach Rom.
Längere Zeit hindurch. vermutlich bis
zum Jahre 1616. war Lorrain als Ge-
hilfe des Malers Agostino Tassi tätig.
Nach einem kürzeren Abstecher in die
Heimat ließ sich der Künstler 1626
endgültig in Rom nieder. Schon bald
erwarb er sich die Freundschaft be-
rühmter Zeitgenossen. darunter auch
die Paussins. Im hohen Alter von
82 Jahren verstarb Claude Lorrain am
23. November des Jahres 1682.
Der ausgeprägte kalligraphische Kräu-
setstil der vor 1635 entstandenen Land-
schaften und Studien (zumeist mit Bister
lavierte Feder- und Pinselzeichnungen)
ist für die detailreichen Frühwerke
Lorrains typisch. In späteren. ebenfalls
50
TAus DEM iäinsrtEbrn
oft skizzenhaften Blättern aus der
Campagna tritt bereits eine wesentlich
freiere. den Pinselduktus stärker be-
tonende Malweise auf(Katalog Nr. 79).
Lorrain forschte mit Ausdauer und
großem Einfühlungsvermögen der Na-
tur nach. machte Hunderte von Skizzen
und legte ganze Skizzenbücher an.
von denen mehrere noch nachweisbar
sind. In stimmungsvollen. zumeist auf
ausgeprägten Hell-Dunkel-Kontrast be-
dachten Radierungen (Landschafts-
schilderungen und idyllische Szenen)
erweist sich Lorrain auch in dieser
graphischen Technik als meisterhafter
Könner. Zu den künstlerischen Höhe-
punkten der Ausstellung zählten ins-
besondere die Katalognummer 93.
eine topographische Reiseskizze in
freier und lockerer Manier. auf der
das Charakteristische der Landschaft
schlechthin in gültiger Weise zum
Ausdruck kommt; weiter eine drama-
tisch wirkende ..Tiberlandschaf". ent-
standen um das Jahr 1640 (Katalog
Nr. 84). eine stimmungsvoll-düstere
Landschaft aus der Campagna (Katalog
Nr. 98) sowie eine ..Die Landung des
Aeneas in Latiurn" benannte Vor-
zeichnung zu einem Gemälde. in der
sich Lorrain einmal mehr als grandioser
und sensibler Meister der Pinsel- und
Federzeichnung erweist. jener Technik.
die im 17. Jahrhundert zu ungewöhn-
licher Blüte gelangte.
Den dritten und umfangreichsten Teil
der Ausstellung bildeten die Arbeiten
der Zeitgenossen und Nachfolger Lor-
rains, Die vielseitigen. oftmals vital und
sinnlich wirkenden Darstellungen des
Franzosen Nicolas Poussin (1594-1665)
standen hier im Mittelpunkt. Von kaum
geringerer Bedeutung sind auch die
Blätter des schon frühzeitig bekannten
Gaspard Dughet. der sich nach seinem
Schwager 7 dessen Schüler er war -
ebenfalls Paussin nannte.
Die Kunst Claude Lorrains. von der
Goethe in seinen ..Anmerkungen zur
landschaftlichen Malerei" (1831) zu
berichten wußte. dafi sich in ihr die
Natur für ewig erkläre. aber auch die
seiner Zeitgenossen. erfuhr durch die
bedeutende Albertina-Ausstellung der
Weltgeltung des Instituts angepaßte
Ehrung und Anerkennung.
Verhältnismäßig spät und zu einem
Zeitpunkt. der es dem ans Krankenbett
gefesselten Meister leider unmöglich
machte. an dieser Ehrung persönlich
teilzunehmen. holte. in der Zeit von
Dezember 1964 bis Februar 1965. das
Museum des 20. Jahrhunderts die schon
lange geplante Herbert-Boeckl-Aus-
stellung nach. deren Zustandekommen
Kleinlichkeiten im bürokratischen Kul-
turapparat lange genug hinausgezögert
hatten. In Verbindung mit der Kollektive
aufder varjährigen Biennale in Venedig.
der kleineren. doch nichtsdestoweniger
sehr aufschlullreichen Ausstellung gra-
phischer Werke bei Würthle (Dezem-
ber 1964) und einer vor wenigen Mona-
ten im Schroll-Verlag erschienenen
Boeckl-Monographie Claus Packs. be-
deutete die von einem hervorragenden
Katalog begleitete Präsentation im
Schweizergarten-Museum die längst
fällige repräsentative Würdigung. die
Boeckls schwieriges Werk einem breite-
ren Publikum nahezubringen versuchte.
Die Ausstellung umfaßte - mit Aus-
nahme des Erzberg-Aquarells aus 1947
und zweier nahezu unbekannter Pla-
stiken 4 ausschließlich Ölmalereien.
(ln absehbarer Zeit soll nämlich das
graphische Werk des gebürtigen Kärnt-
ners in einer umfangreichen Schau der
Albertina vorgestellt werden.)
Die Auseinandersetzung mit Boeckl
wird einem nicht leicht gemacht. ln
der Frage der künstlerischen Bewertung
gehen. vor allem was das Spätwerk
betrifft. selbst die Meinungen der öster-
reichischen Experten und Kenner stark
auseinander. von denen des Auslandes
erst gar nicht zu reden. Unbestritten
sind Boeckls große Leistungen in den
Jahren 1918 bis 1925. jene freien.
kraftvoll-expressiven Ölmalereien und
Graphiken. die in gleichsam vollende-
ten Ansätzen bereits all das enthalten.
was in späteren Jahren konkretere
Gestaltung und Deutung erfährt. Der
..Eichelhäher". eine ungemein aus-
drucksstarke. koloristisch eruptive Male-
rei aus dem Jahre 1922. ist eines jener
markanten Schlüsselwerke 7 ein
ausgesprochener künstlerischer Höhe-
punkt. ein Konzentrat reinster Malerei.
deren formale und farbige Qualitäten
die geistige Aussage. die durch Inter-
pretation vielseitig erschlossen werden
kann, in sich tragen. Die ..Forttt"ikation
von Paris" (1923). die ..Landschaft mit
Höusern" (2 Bilder gleichen Titels) und
der ..Klopeinersee" sind weitere große
Malereien des frühen Boeckl. die zu-
lassen. daß man den Kärntner Künstler
gleichrangig neben die maßgebendsten
Expressionisten jener Zeit stellen kann.
In diesen grandiosen Landschaften. die
in ähnlichen. mitunter skizzenhafter
wirkenden Stilleben (Katalog Nr, 35)
und einigen hervorragenden Porträts
aus früheren Jahren bereits jene thema-
tische Ausweitung erfahren. die - er-
gänzt durch sakrale Malerei. die im
Seckauer Freskenzyklus weitestgehend
Vollendung erreicht - sein Gesamtwerk
charakterisiert. steckt so viel an ge-
speicherter Energie. daß einem das
Gros des Spätwerkes trotz mancher
abermaliger unbestrittener Höhepunkte
(so das wahrhaft hinreißende. nach-
denklich stimmende Selbstporträt des
Künstlers aus den Jahren 1955 bis 1960.
das sehr an das berühmte Altersbildnis
Rembrandts aus dem Wallraf-Richartz-
Museum in Köln erinnert) auffallend
schwächer vorkommt. Man gewinnt
diesen Eindruck erst recht bei längerer
Auseinandersetzung mit den Bestlei-
stungemdieden wenigerüberzeugenden
Arbeiten. die im Sinne einer möglichst
breiten Dokumentation Aufnahme fan-
den. gegenübergestellt wurden. obwohl
das Profil der Ausstellung darunter litt,
Die in jedem Falle lauteren. von de-
mütiger und gottvertrauender Gesin-
nung Zeugnis ablegenden Werke zeigen
jedoch gerade in den verkrampft
wirkenden. mehr dem Wollen als der
geglückten Umsetzung zuzuordnenden
Beispielen (etwa die Katalognumrnern
61. 92 und 93). daß es sich Boeckl
niemals leicht gemacht hat. daß er also
keineswegs zu jenen begnadeten Genies
gehört. denen etwas umsonst in den
Schoß fällt. Routine und die damit ver-
bundenen Gefahren kommen in Boeckls
Arbeiten nicht auf. und das bedeutet
schon ungeheuer viel. Seine Bilder sind
vielmehr Ergebnisse eines andauernden
persönlichen Ringens. das oft ver-
laren ging. dessen Siege aber um so
mehr zählen. Peter Baum
Claude Lorrain. Erustnia bei den titrtcn,
Lavierte Btsterzeichnung. 1677 (aus der
Ausstellung ..Claude Lorrain" in der
Albertina. wisni
Herbert Boeckl. Dominikaner v. 194a.
ÖllLwd. (aus der Ausstellung ..Herbert
Boeckl" im Museum des 20. Jahrhunderts
trt Wien)
Hans Staudacher vor einer seiner oran-
forrriottgen. spontanen Olrvialereien (aus
der Ausstellung des Künstlers in der
Secession)
Johann Fruhrnartrt vor einer seiner
neuesten lyrischen Abstraktionen (aus der
Ausstellung des Künstlers in der Galerie
irn Grtechenbetsl. VVtErt)
r. A. Coufal. Skulptur (aus der Ausstel-
lung des Kunsllers in der Slaatsdruckcrei.
VVlEn)
Georg Elster. Aktstudie. 195a. Aus der
ivtonoordonia Dr. Ernst Käilers (stehe
Buchbesprechungen)