RAGER KUNSTLEBEN AM JAHRESWECHSEL
las Hauptereignis im Ausstellungs-
elrieb der Hauptstadt unseres nörd-
chen Nachbarlandes war ohne Zweifel
ie Eröffnung der von Frau Dr. Jana
ybalovä zusammengestellten Schau
Hollitscher Fayencen" im Kunstge-
ierbemuseum. Frau Dr. Kybolova ist
ewußt auf Vollständigkeit ausgegangen
nd war bemüht. aus allen einschlägi-
en tschechischen und slowakischen
ammlungen jenes Material zusammen-
utragen, das geeignet erschien. die
roduktion sämtlicher in der Manufak-
ir jemals hergestellter Typen und
tessins zu dokumentieren. Dabei bezog
ch Frau Dr. Kybolovä immer wieder
uf Vergleichsexemplare, die sich in
luseen in Wien und Budapest betinden.
ihne die geringste Einschränkung
ißt sich feststellen. daß die in drei
älen aufgestellte Schau nicht nur in
iissenschaftlicher, sondern auch in
idaktischer Hinsicht ein voller Erfolg
eworden ist.
uch für den Sammler ist die Aus-
ellung von größter Bedeutung. vor
Ilem wird der Katalog (mit deutschem
esume und Abbildungsverzeichnis) als
nabdingbares Hilfsmittel zu gelten
aben. Die Autorin hat auf Z Tafeln
isgesamt 44 verschiedene Geschirr-
irmen in Umzeichnungen versammelt
nd - was noch wichtiger ist - auf
eiteren drei Tafeln nicht weniger als
JS Markenformen (Buchstabenkom-
inationen) zusammengetragen. Das
t eine große Leistung. wenn man be-
enkt. daß etwa das bekannte Marken-
uch von Graesse-Jaennicke-Zimmer-
iann in seiner 18. Auflage 12 Marken-
irmen verzeichnet. während das noch
iodernere ..Pocket Book of German
eramic Marks" von J. P. Cushion
.ondon 1961) nur acht Markenlypen
ennl.
Die Hollitscher Manufaktur wurde 1743
von Franz Stephan von Lothringen zur
Konkurrenzierung der Fayencen west-
europäischer Provenienz begründet.
Künstlerisch standen Castelli. Rouen.
Straßburg, aber auch Durlach. Fulda
und Meißen an der Wiege von Hollitsch.
Alle charakteristischen Dekorations-
systeme der ..westlichen" Fayence --
aber auch der Porzellankunst wurden
übernommen, und ein gleiches ist
selbstverständlich auch von den Formen
zu sagen. 1786 stellte sich die Manufaktur
auf Befehl Josefs II. weitgehend auf die
Herstellung von Steingutgeschirr um.
Die Fayenceproduktion sank auf Volks-
kunstniveau herab. charakteristisch sind
vor altern die großen Birnkrüge. die
mit Handwerksemblemen, Daten und
den - zumeistgermanisierten - Nomen
der Auftraggeber versehen sind und
daher vielfach an die von den Habanern
produzierte Ware erinnern. 1827 mußte
der Betrieb in Hollitsch wegen Un-
rentabilität eingestellt werden.
Weiters hatte lhr Berichterstatter Ge-
legenheit. die Neuaufstellung der
Schousammlungen des Kunstgewerbe-
museums eingehend zu besichtigen.
Man bediente sich bei der Neuordnung
eines ähnlichen Schemas wie im Wiener
Schwestermuseum. also einer Auf-
gliederung nach Perioden (und nicht
nach Gattungen). wobei die Raumab-
folge der historischen Entwicklung ent-
spricht. Der Rundgang beginnt im
großen Mittelsaal. der der Antike und
dem frühen Mittelalter gewidmet ist.
Der Besucher wendet sich dann in den
linken Gebäudeflügel. in dessen Räumen
die Bestände aufgestellt wurden. die
vom hohen Mittelalter bis zum aus-
klingenden 18. Jahrhundert reichen.
Im rechten Gebäudeflügel, der vom
Treppenabsatz vor dem Mitlelsaal aus
betreten werden kann, befinden sich
die Bestände. die der Zeit vom begin-
nenden 19. Jahrhundert bis zum Jahre
1939 angehören.
Waren - begreiflicherweise 7 schon
in den Räumen der Barockzeit die Be-
stünde an böhmischem Glas von äußer-
stem Interesse. so dominiert das Böh-
mische in der dem Biedermeier ge-
widmeten Abteilung naturgemäß noch
stärker: die Produktion an Gläsern und
Porzellanen wird. soweit es die immer
noch beengten räumlichen Verhältnisse
gestalten. nahezu lückenlos dargestellt.
Interessant und für Wien vorbildgebend
ist die Tatsache, doß nunmehr auch
Historismus. Secession und Moderne
fugenlos in die Gesamtüberschau ein-
bezogen sind. in Prag hört die Kunst
also nicht mit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts auf. Daß gerade in
neuerer Zeit die Querverbindungen
von Wien nach Prag besonders fühlbar
hervortreten. ist selbstverständlich und
es beglückt. daß auch die Produktion
der ..Wiener Werkstätte" in Prag
bestens vertreten ist. Anderseits erstaunt
die hohe Eigenständigkeit der Prager
kunstgewerblichen Produktion gerade
in der Periode der Blüte der ..Wiener
Werkstätte": dem Hkubistischen" Mobi-
Iiar. das damals in Prag geschaffen
wurde. hat Wien kaum etwas Ver-
gleichbares cntgegenzusetzen.
Die Aufstellung als solche ist durchaus
modern. aufgelockert. lebendig und
geschmackvoll. Lediglich eine Reihe
von Vitrinen. deren unterstes Geschoß
knapp über dem Fußboden liegt. wirkt
wenig praktisch. denn die Besichtigung
der ganz unten disponierten Exponate
erfordert akrobatische Verrenkungen.
Zu bemängeln ist auch die unzuläng-
liche Beschriftung in Maschinschrift.
Aber wahrscheinlich kocht man an der
Moldau ebenso mit Wasser wie in Wien.
Summa summorum kann das Kunst-
gewerbemuseum zur Neuaufstellung
fast vorbehaltslos beglückwünscht wer-
den.
Auf dem Hradschin wurde nach mehr-
jähriger Renovierungstätigkeit das
..goldene Gäßchen" (auch "Alchi-
mistengäßchen" genannt) wieder dem
Publikum zugänglich gemacht. Die
bunten. knusperhexenartigen Häuschen.
die nunmehr in etwas zu lebhaft auf-
gefrischtem Glanze "erstrahlen" und
sämtliche betreten werden können.
übten auch zur unfreundlichsten Zeit
des Jahres ihre Anziehungskraft aus.
Zum Jahreswechsel standen auch die
Räume des neu zu installierenden
Hradschin-Museums. das vor allem die
von Dr. Neumann gemachten sensa-
tionellen Bilderfunde aufnehmen soll
und über die in der Zeitschrift schon
ausführlich berichtet wurde, knapp vor
ihrer baulichen Vollendung.
Auch sonst ist das Prager Kunstleben
lebhaft und anregend; etwa acht
Galerien zeigten Werke von einzelnen
Künstlern und Gruppen. Im Kinsky-
Palais zeigten die Russen neueste (immer
noch altmodische) Produktionen. in
einem Ausstellungslokal nahe der Na-
rodni Trida stellte die DDR ihr bild-
hauerisches. sehr konventionelles Schaf-
fen zur Diskussion. in einer Kellergalerie
an der Narodni Trida selbst sahen wir
bestes polnisches Kunstgewerbe.
Die tschechischen Maler selbst haben
auch die letzten Reminiszenzen an den
..sozialistischen Realismus" längst ab-
gestreift, sie malen nicht viel anders als
unsere Künstler. lediglich das .,ln-
formeI" wurde übersprungen und eine
Parallele zu ..Wiener Schule" gibt es
vorerst nicht. obwohl das Interesse
gerade für die Klassiker dieser Richtung
groß ist.
Ernst Köller
TREIFLICHTER AUS KLEINEN WIENER GALERIEN
imtatlungen von Staudaclter. Fruhmann, Coufal, Stark und Praphan Srisouta
us dem vor- und rtcichweihnachtlichen
ngebot der Wiener Galerien das Mar-
inteste für desen kurzen sdmmeibericht
Jszuwählen. fdt nicht nur im Hinblick
it die Quantil t. sandern auch hinsicht-
:h der in vielen Füllen errreulich hahen Qua-
ät des reichen Sortiments einigermaßen
wer.
ne der bemerkenswertesten Einzelaus-
ellungen seit langem präsentierte zweifellos
e Secession mit Graphiken und Malereien
s Kürntners Hans Staudacher aus den
lzlen 15 Jahren. Ausgehend von spontanen.
der Regel sicher gezeichneten Akten der
.hre 1949 bis 1953. den einzigen gegen-
Jndsbezogenen Blättern der Exposition.
iannle sich der Bogen über großformatige
ystraktionen zu den tn allen Formaten
irhandenen informellen Graphiken ülleren
td neueren Datums. Bei all der bildnerischen
elfalt. die sich in diesen Bildern ciuflul und
e auch vom Betrachter ein gehöriges Maß
l Sensibilität und Einfühlungsvermögen ver-
ngt. umreißen sie die Persönlichkeit des
ünstlers sehr genau: Hans Slaudacher
ibt das Unmittelbare. das Spontane. das
vchalegische und auch das Graphisch-
ggressive. will man diese Wortbildung
istatten, Keine der vielen Techniken. denen
:h der Künstler luwendet. führt bei ihm
izu. dciß der schöpferische lmpetus - dem
dudacher. ohne viel zu spekulieren. ge-
trcht r seine führende Position gegenüber
diglich auf Effekt bedachten und in Routine
starrten bildnerischen Vorgängen einbüßt.
em unmittelbaren Erfindungsreichtum ge-
irt in der engagierten Kunst des gebürtigen
firntners der Vorrang. Staudachers Gra-
tiken. die in vielen Fallen das Handschrift-
he. das Lyrisch-Signethafte stark hervor-
ihren. sind oftmals in ziemlich kurzer Auf-
nandertolge entstanden und dementspre-
en zu Zyklen zusammengefaßt. Bei man-
en dieser Serien laBt sich von "abstrakter
lrik" sprechen. deren zeichnerische und
rhige Subtilitat und ungemein beziehungs-
icheDynamikSlaudacher alseinen.,Paeten"
in Format ausweisen.
Nicht minder ungetrübtes Vergnügen be-
reitete eine sehr schöne Ausstellung neuer
Malereien Johann Fruhrrtanns in der Galerie
im Grlechenbeisl. die einem die Erkenntnis
vermittelte. daß der Künstler mit vollem
Recht zu den wichtigsten zeitgenössischen
Malern osterreichs gerechnet werden kann.
Fruhmann wird noch immer viel zu wenig
Aufmerksamkeit entgegengebracht. Er be-
sitzt - im Gegensatz zum Team der Galerie
nächst St. Stephan keinen einflußreichen
Frotektonder ihn in ganz große Ausstellungen.
wie zum Beispiel die documenta. hinein-
bringt. und genießt daher weder im Ausland
noch im Inland jenes Ansehen und lene
Publicily. die heute unbedingt nniwendig
sind. will man im harten Wettstreit mit den
international Arrivierien auch nur in be-
scheidenem MafJe bestehen. Wer allerdings
die künstlerische Entwicklung Fruhmanns
gerade wdhrend der vergangenen drei bis
vier Jahre genauer verfolgt hat. wird die
den Marktwert bestimmende Bestätigung des
künstlerischen Ranges von seilen des Auslandes
nichl unbedingt benötigen, um Fruhmann
den ihm gebührenden Platz IUIUWCISEFL Für
den Kenner bereiteten daher auch die
neuesten Malereien des Künstlers keine un-
erwartete Uberraschung. dd Fruhmarin nicht
nur mit mehreren Bildern seiner vorletzten
Einzelausslellung vor mehr als Zwei Jahren
am selben Ort. sondern auch zwischendurch
oft genug bewiesen hat. was in ihm steckt.
Daß sein Einsatz gegenwärtig in reicher
bildnerischer Ernle den gerechten Lohn
rtndet. isl zu dlierersi das Ergebnis eines
folgerichtig eingeschlagenen Weges. den
Fruhmann unbeirrt von Einflüssen durch
Pop-Art und neofiguralive Malerei. ohne die
viele nicht mehr auszukommen vermeinen er
konsequent beschrilt.
lrn Prinzip liegt allen Arbeiten neueren
Datums dieselbe bildnerische Idee zugrunde:
die breite. den Raum aufschließende, teilende
und spannende Senkrechte. die auf beiden
Seiten von unzähligen. mehr oder minder
krdrtigen und tarbig verschieden artikulier-
ten. rasanten Pinselstrichen umschlossen wird.
Harmonische Beherrschtheil und rhythmisch
gerichtete Vielfalt sind einander ergänzende
Merkma'e dieser ungemein sensiblen, doch
immer kraftvollen. lebendigen Abstraktionen.
deren malerischer Reichtum (man beachte
nur die feinen farbigen Nuancen und die
Ausgewogenheit der temperamentvollen Pin-
Selführung) und formale Logik in ästhetischer
und geistiger t-tinsicht beglücken.
Einem bemerkenswerten zeitgenössischen
Künstler in den Ausstellungsräumen der
staatsdruckerei zu begegnen, ist eine aus-
gesprochen: Seltenheit. Das harmlose Mittel-
und Untermaß. dem man hier unverständ-
licherweise huldig wird nur sehr vereinzelt
durch eine qualitativ überdurchschnittliche
Schau durchbrochen. Die räumlich sehr
günstig aufgebaute Kollektive des nieder-
österreichischen Bildhauers und Graphikers
Franz Anton cbutal (Jahrgang 192.7) bildete
solch eine positive Ausnahme. Da man in
dieser geschlossen wirkenden Einzelaus-
steliung überdies einem Künstler begegnete.
in dessen Schaffen sich gerade in den letzten
Jahren ein deutlicher und unbedingt vorteil-
hafter Wandel vollzogen hat. konnte diese
aktuelle Schau wohl als die wichtigste an-
gesehen werden, die seit langem an diesem
Ort stattgefunden hat.
In Coufals stark slrukturierlen, trn Wachs-
ausschmelzveriahren hergestellten Skulpturen
lassen sich zwei dominierende _Geslaltungs-
beslreben feststellen, die einander 7 wie die
Arbeiten beweisen i vielfach wirkungsvoll
ergänzen: der Hang zu spannungsgeladener
Dynamik. zu verzweigtem AIJSEIHUHÖEP
streben eigenwillig in den Raum vorstaßender
und greifender Ges nge und Gerüste
(..Sinfonische Figuration. gur im ge-
kreuzten Raum") und d T ndenz zu kon-
zentrierter. allerdings nicht minder energie-
voller Geschlossenheit (das abstrakte "Porträt
eines Vlissenschafllers"). Ohne aufdie formal-
bildnerische Qualität naher einzugehen, die
in Einzelfällen am k hnen und spontanen
Vorwurf noch scheitert. rnuf) der neue und
sehr persönliche Weg. den Caufal ent-
schlossen zu gehen bereit scheint. als ein
sehr erfreuliches Anzeichen schüpfertschen
verrndgens und ebensolcher Gesinnung an-
gesehen werden. Für den günstigen Gesamt-
eindruck dieser von einer sehr preisgünstigen
Grapliikmappe mit 12 handsignierten Litho-
graphien begleiteten Ausstellung (Preis
250 Schilling!) sorgten außerdem eine Reihe
kraftvoIl-aufbauender Zeichnungen und Ra-
dierungen.
Beachtung verdient auch eine Kollektiv-
ausstellung des steirers Karl stark, die bei
Christian M. Nebehay in der Annagasse
stattfand. Starks kraftvolle Gouachen. die
zuletzt auch in Paris mehrfach Beachtung
fanden. lassen sich guten Gewissens zum
Besten zahlen. was Osterreichs Landschafts-
malerei gegenwärtig aufzuweisen hat. stark
ist in allererster Linie Maler. Er gestaltet
elementar mit der reinen Farbe. die er in
schweren. satten Tönungen nebeneinander-
selzt oder ineinander verrlnnen läßl. Stark
abstrahiert dabei weitgehend. verliert jedoch
nie den konkreten Ausgangspunkt. Gewitter-
stimrnung. Düsternis und Melancholie spricht
aus vielen seiner erregenden Gouachen. die
dann am überzeugendsten austallen, wenn
Stark durch kleine Farbakzente und aus-
gesparte weiße Flächen zusätzlich zum farbi-
gen Geschehen ein formales Spannungs-
element erzeugt. Von solider Durchschnitts-
quatitöt, doch ahne besondere Höhepunkte
sind neuere Zeichnungen. die wegen ihrer
nicht unbeeinfiußten Strichtiihrung (Kurt
Absolon?) und der Dynamik vortauschenden.
unmdtivierten Tuschespritzer ein wenig
manieriert und unpersönlich wirken.
zum Abschluß sei noch - stellvertretend
für viele gleichwertige und nicht weniger
interessante Expositionen - eine Ausstellung
in der von Dr, Delena geleiteten Galerie
im Nansen-Haus erwahnt, die mit einem
außerst bemerkenswerten Vertreter der
Kunst des riblzschnittes bekannt machte.
Praphan Srisouta, geboren 1939 in Lampoon
im nürdlichen Thailand. erwies sich in seinen
gren- und mittelformatigen Blättern nicht nur
als exzellenter und kraftvoller Handwerker.
sondern auch als glanzender Beobachter des
Lebens der Eingeborenen, das er in un-
konventioneller. rhythmisch stark betonter
und formal beherrschter Weise markant und
typisch zu schildern versteht. Üte gestalterische
Vehemenz einiger freier Kompositionen.
deren abstraktes Formenspiel auf neue
Möglichkeiten in der Graphik des bereits
erstaunlich proülterien Künstlers hlndeutet,
nel ebenfalls besanders auf.
Peter Baum
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