schale technisch klar und einfach aufgebaut.
Aber über diesen „unantastbaren Kern" wird
ein Netz voller kleinteiliger und spielerischer
Bewegung gelegt. Alle Einzelformen ver-
schlingen sich mit benachbarten, greifen von
einem Joch auf das andere über, aber durch
die Bestimmung, eine malerische Einheit zu
schaffen, mangelt ihnen die Kraft, über die
Raumeinheit hinaus zu wirken. Die Be-
wegungslinien sind an ihren Block, an die
Gewölbeschale gebunden. Es entsteht ein
durchspielter, kein dynamischer, von ver-
körperten Bewegungslinien durchschraubter,
über sich hinausweisender Raum.
K. M. Swoboda hat dieses Phänomen sehr
früh erkannt und gedeutet: „Wie in anderen
späten Entfaltungsstufen (vgl. Spätromanik),
in welchen alle Kunst dazu neigt, sich aus
alter Kunstüberlieferung des Volkes zu er-
neuern, muß das zunehmende Eindringen
geometrischer Ornamente als Ersatz der ein-
fachen Kreuzrippen in der Spätgotik als
Aufstieg vorzeitlicher, vor allem im Bauerntum
überlieferter Kunst anzusehen sein. Der vor-
zeitlichen und der Bauernkunst sind jene
Ornamente geläufig, dort sind sie ein Grund-
thema künstlerischen Schaffens überhaupt."
In der Anwendung von Schlingrippen ist aber
nur eine erste Stufe der Übernahme solcher
Formen zu sehen, hier werden sie monu-
mentalisiert und dem Zeitstil verpflichtet. Mit
ihnen werden feierliche Räume gestaltet und
an diesen erinnert nichts an die Forderungen
der Devotio moderna. Überdies treten die
neuen Gewölbe schon zwanzig Jahre vor
dem ersten Werk eines Malers der Donau-
schule auf. Es fällt schwer, hier die Donau-
schule zu finden.
Die dritte Richtung der spätgotischen Archi-
tektur nimmt solche vorzeitlichen und in der
Bauernkunst konservierten Formen viel direk-
ter und unmittelbarer auf, sie monumentali-
siert sie nicht, und wie in der Malerei die
Formenwelt dem Stil unterworfen wird, so
hier der Raum und das tektonische Gerüst,
auf welche das Ornament aufgelegt erscheint
wie der Malerei die Donaukunst. Dieses
Ornament entstammt dem Holzbau und
wird als Kerbschnitzerei klassifiziert. Mit
diesen Formen wurden bis in die jüngste
Vergangenheit die Holzdecken der Bauern-
stuben geschmückt, ihr erstes Wiederauftreten
nach der Spatromanik kann am Altarwerk von
Kefermarkt studiert werden. Um 1490 ziert
der Hauptmeister die Stola des Petrus mit
einem Rautenmuster, schmückt wenig später
ein Geselle den Innenraum der Verkündigung,
besonders die Säule, mit einer Musterkarte
solcher Ornamentik. Um 1500 schon ergreift
das Neue im Kirchenbau bestimmte Elemente:
Die Rippen werden gekerbt, gerautet und
geschuppt, Dienste gedreht, Brüstungen, Tore
und Fensterleibungen von solchen Bändern
oder in die Flache gebreiteten Rautenmustern
überzogen. Auch werden in Gewölbezwickel
Maßwerknasen eingesetzt, deren Stege ge-
riefelt sind, deren Stirnseiten urtümlich an-
mutende Masken bedecken. Holztechnik wird
in Stein übertragen mit Nagelung und Aus-
kragung, Astwerk ziert gerne Sakraments-
häuschen.
Die erste „Versteinerung" des Ornaments im
Holzbau läßt sich am Schloß zu Freistadt
datieren. 1m Jahre 1505 adaptierte der Pfand-
inhaber Lasla von Prag den verwahrlosten
Bau. Fenster- und Türgewände stammen aus
diesem Jahre. In seiner Gruftkapelle in
Altenburg bei Perg befinden sich die schönsten
und frischesten Donauschulfresken, die 1512
datiert sind.
Früher als die datierten Bauglieder am Frei-
Städter Schloß dürfte der Chor von Hirsch-
bach entstanden sein, das Langhaus von
Unterweißenbach folgt mit seiner reichen
Empore. Auch Stephan Wultinger verwendet
diese Formen 1512[13 in Verbindung mit
spätgotischen Formen an der Empore in
Vöcklamarkt, überall in Südböhmen, wie im
hussitischen Tabor, finden sich Holzorna-
mente. Im Domkreuzgang in Regensburg
verbinden sie sich mit dem Renaissance-
ornament, in St. Georgen im Attergau mit
neu auftretenden romanisierenden Kapitellen.
Wie schon bemerkt, ist dieses Ornament über
die dem Zeitstil unterworfene Architektur
gelegt, während die Schlingrippengewölbe
selbst Stilausbildungen darstellen.
Im Sinne der Devotio moderna wurden bei
dieser Richtung alle Forderungen erfüllt: Das
Zurückgehen in ein einfaches Leben erscheint
symbolisch in der Anwendung von profanem
Formengut, das damals noch lebendig, auch
die Stuben der Bürger und Bauern schmückte.
Das Göttliche erschien also brüderlich im
profan ausgeschmückten Kirchenraum. Nicht
wie die Figuren im Gemälde agiert hier der
Mensch selbst im Raum.
Zur Definition der gesamten Donaukunst
ordnet sich diese Gestaltungsweise zwanglos
ein, wenn jeder Kunstgattung die ihr eigenen
Gestaltungsprinzipien zugebilligt werden und
nicht an Plastik oder Architektur die der
Malerei allein gelegt werden:
1. Die Devotio moderna als geistige und
religiöse Grundlage wurde in der unmittel-
baren Übernahme vorzeitlicher Ornamentik
erkannt.
2. Der Landschaft entspricht der Kirchenraum
selbst, der so wie im Gemälde aus Lichterspiel
aufgebaut ist.
3. Das Licht erweckt die Farbe, es ist aber
auch für die Erscheinung der Graphik ohne
Farbgebung von eminenter Bedeutung. Das
Flimmernde aller Kunstgattungen ist ohne
raffinierte Lichtführungen nicht denkbar. Die
Maler bauten deshalb bis um 1510 Ruinen,
auf denen und auf den aus ihnen sprießenden
Moosen und Flechten ebenfalls das flim-
mernde Lichterspiel lebte.
4. In der gebauten Architektur ist der Mensch
selbst, nicht nur sein Abbild, mit dem Raum
verbunden; ohne den darin Lebenden gibt es
keinen.
Die Forschung, gerade in Fluß geraten, kann
vorerst nur allgemeine Hinweise zu diesen
Fragen bieten, solange die Architektur als
solche selbst noch nicht untersucht ist. Am
Anfang gotischer Baukunst stand die Kathe-
drale als Abbild des Himmels. Kann nicht
am Ende der mittelalterlichen Welt die Kirche
als Abbild der menschlichen Behausung stehen
dürfen?