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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 81)

CANALETTO-AUSSTELLUNG IN IDEALEM ARCHITEKTONISCHEM RAHMEN Großformatige Städtebilder von künstlerischer und lokalhistorischer Bedeutung 
Den Reigen der diesjährigen. in die 
Fremdenverkehrshauptsaison fallenden 
großen Kunstausstellungen eröffnete das 
Wiener Belvedere. dessen prachtvolle 
Räumlichkeiten im ersten Stock den 
idealen architektonischen Rahmen für 
eine in dieser Vollständigkeit noch nie 
dagewesene Präsentation des Gesamt- 
werkes des 1721 geborenen veneziani- 
schen Malers Berncirdo Bellotto bil- 
deten. 
Bernardo Bellotto. ein Neffe des be- 
kannten Vedutenmalers Giovanni An- 
tonio Canale (1696 1768) und gleich 
ihm in unteren Breiten Canaletto ge- 
nannt (in Westeuropa und Amerika 
hingegen wird exakt Zwischen den 
Namen der beiden unterschieden und 
nur Antonio Canale als Canaletto 
bezeichnet), zählt zu den bedeutendsten 
Ansichtenmalerndes18.Jahrhunderts. 
Seine Hauptwerke schuf Bellotto in 
Dresden (1746 erhielt er von Kurfürst 
Friedrich August I. eine Einladung, 
nach Drezden zu übersiedeln. der er 
ein Jahr später nachkam). in Wien 
(hier arbeitete er vor allem im Auftrag 
von Maria Theresia und des Fürsten 
Liechtenstein) und in Warschau. wo 
allein 24 Arbeiten zustandekamen. 
Der Zusammenarbeit der bedeutendsten 
Kunstinstitute dieser drei Städte - den 
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. 
dem Nationalmuseum Warschau und 
dem Wiener Kunsthistorischen Museum 
- war auch das Gelingen der von der 
Österreichischen Kulturvereinigung ver- 
anstalteten Wiener Ausstellung im Obe- 
ren Belvedere zu danken. die Ende 
Juli ihre Pforten schloß. 
1963 wurde in Dresden eine erste 
große Canaletto-Ausstellung eröffnet, 
die im Herbst des Vorjahres in ergänz- 
ter Form in Warschau und bald darauf 
auch in Krakau zu sehen war. Die sich 
günstig anbietende Gelegenheit, gleich- 
sam als Gegenleistung für die an War- 
schau verborgten Canalelto-Bilder des 
Kunsthistorischen Museums komplette 
Bestände an Gemälden des Meisters aus 
Dresden und Warschau als Leihgaben 
nach Wien zu bekommen, griff man 
unsererseits bereitwillig auf. um damit 
diese einmalige Vergleichsmöglichkeit 
und Überschau schaffen zu können. Die 
vom Direktor des Kunsthistorischen 
Museums. Universitätsprofessor Doktor 
Vinzenz Oberhammer. sowie von Ku- 
stos Dr. Günther Heinz wissenschaftlich 
betreute Ausstellung umfaßte nicht 
ZAO WOU-Kl IN DER ALBERTINA Zur ersten Einzelausstellung des Graphikers 
Die unorthodoxe Agilität. mit der der 
Direktor der Graphischen Sammlung 
Albertina. Dr. Walter Koschatzky. 
Ausstellungspolitik betreibt. hat sich in 
den vergangenen Jahren in vieler Hin- 
sicht als sehr vorteilhaft erwiesen. Im 
erfreulichen Ansteigen der Besucher- 
zahlen findet das geschickt und viel- 
seitig zusammengestellte Ausstellungs- 
programm des Instituts sichtbarste An- 
erkennung. 
Wie sehr Dr. Koschatzky bemüht ist. 
auch der Moderne zu ihrem Recht zu 
verhelfen und nicht bloß 7 was ja 
für einen Historiker ungleich risikoloser 
wäre 7 Ausstellungen von Künstlern 
zu zeigen, die in der Kunstgeschichte 
bereits Platz und Wertung gefunden 
haben. bewies die im April stattge- 
fundene Exposition der Albertina. die 
dem 1920 in Peking geborenen. seit 
1948 in Paris lebenden Maler und 
Graphiker Zao Wou-Ki gewidmet war. 
In ähnlicher Weise, in der Kontakte 
mit Laibach und Linz zu bemerkens- 
werten Veranstaltungen geführt haben. 
war es diesmal die Zusammenarbeit 
mit dem Forum Stadtpark in Graz, der 
die prächtige Ausstellung, die mit 
einem der maßgebendsten Vertreter 
der lyrischen Abstraktion bekannt 
machte, zu danken war. 
Die Aquarelle. Radierungen und Litho- 
graphien des zur Ecole de Paris zählen- 
den Künstlers (insgesamt waren 77 Ar- 
beiten zu sehen) verbinden in der Mehr- 
zahl der Beispiele Gegenständliches und 
Abstraktes in höchst subtiler und per- 
sönlicher Art und Weise. Wenn auch 
in den letzten Iahren insbesondere in 
den Farblithos eine entschiedenere 
Abkehr vom konkreten Naturvorbild. 
dem Zao Wou-Ki wesensgemäß ver- 
bunden ist, festgestellt werden kann, 
so zeigen seine Arbeiten doch immer 
wieder fließende Grenzen. 
in 
weniger als 93. durchweg großforma- 
tige Gemälde und überdies 90 Zeich- 
nungen und Radierungen. Daß die 
Ausstellung trotz der nicht gänzlich zu 
leugnenden Gleichförmigkeit der in so 
großer Anzahl gezeigten Bilder nicht 
allzu ermüdend wirkte. war der sehr 
großzügigen und weiträumigen Hän- 
gung zuzuschreiben, die auch ein 
intensives Studieren einzelner Ansichten 
sowie der dazugehörigen Skizzen und 
Vorarbeiten ermöglichte. 
Ein bsonders reizvoller und glücklicher 
Einfall war es. Bellottos große Vedute 
..Wien. vom Belvedere aus gesehen" an 
genau jenem Ort aufzustellen. an dem 
sie vom Maler geschaffen worden war. 
Wer einen Blick aus den Fenstern auf 
die Parkanlagen des Belvedere und das 
Panorama der Stadt riskierte. konnte 
diesbezügliche aufschlußreiche Ver- 
gleiche anstellen. Daß Bellotto aus 
kompositionellen Gründen vom Vorbild 
in der Natur oftmals abwich und 
perspektivische Veränderungen. Um- 
proportionierungen und ähnliche Kniffe 
anwendete. läßt sich z. B. auch an 
diesem Bild, stärker jedoch noch an 
weiteren anderen feststellen. 
Der Malerei Bellottos, die im Licht 
Österreich 
In der Kunst des Chinesen stoßen zeit- 
gemäße europäische Gestaltung (die 
Anfangsarbeiten Zao Wou-Kis zeigen 
starke Einflüsse durch Paul Klee) sowie 
asiatisches Denken und künstlerische 
Auffassung nicht bloß aufeinander. 
sondern gehen eine vitale. von einer 
starken Persönlichkeit getragene Syn- 
these ein. 
Diese Lebendigkeit zeigt sich allerdings 
nicht äußerlich. nicht in raumgreifenden 
Gesten und erregenden. doch geistig 
leeren Tachismen. sondern in sehr 
intimer. abwechslungsreicher und zar- 
ter graphischer Art. Zao Wou-Kis 
Blätter sind zurückhaltend, meditativ. 
Sie sind auch dann. wenn sie sehr viel 
Spontaneität besitzen. immer Ergebnisse 
eines disziplinierten. naturverbundenen 
Vorwärtstastens. eines ständigen Suchens 
nach adäquater zeichenhafter Fixierung 
und entsprechendem Kolorit. Zu den 
schönsten dieser, dem Kleinen, dem 
DER SURREALIST VICTOR BRAUNER Zur Retrospektive des Künstlers Im Museum des 20. Jahrhunderts 
Eine der wichtigsten Aufgaben eines 
profilierten und regen Museums für 
zeitgenössische Kunst besteht gerade 
auch darin, sich jener Künstler anzu- 
nehmen. die 7 aus welchen Gründen 
immer 7 noch nicht im Kunstbewußt- 
sein der Öffentlichkeit entsprechend 
verankert sind, obwohl sie es auf 
Grund ihrer Leistungen schon längst 
verdienten. 
Der Rumäne Victor Brauner (geboren 
1903 in Piatra Neamt). der Kindheit 
und erste Jugendjahre in Wien ver- 
bracht hatte. bevor er. 1925. für ständig 
nach Paris übersiedelte. zählt 7 ohne 
ihn deshalb überschätzen zu wollen 7 
zweifellos zu jenen einzelgängerischen 
Außenseitern, deren Oeuvre so viele 
interessante Aspekte enthält. daß es 
eine derart umfangreiche Einzelaus- 
stellung. wie sie im April und Mai 
dieses Jahres vom Museum des 20. Jahr- 
hunderts gezeigt wurde. nicht nur voll 
und ganz rechtfertigt. sondern gleichsam 
erfordert. 
Die mehr als 200 Werke Brauners 
umfassendeSonderausstellung. erfüllte 7 
indem sie mit einem wichtigen Vertreter 
50 
des jeder Art von Simplitizierung abhol- 
den Surrealismus konfrontierte - somit 
eine weitreichende, unterrichtende 
Funktion. 
Die fast zur Gänze aus dem Atelier 
Brauners stammenden Exponate er- 
streckten sich über einen Zeitraum von 
rund 40 Jahren, wobei in knapper 
Aufeinanderfolge entstandene. zu losen 
Gruppen vereinte Werke besonders 
hervortraten. 
Victor Brauner. der 7 wie aus einem 
sehr anregend geführten Gespräch 
anläßlich der Eröffnung hervorging 7 
den Begriff ..surrealistische Malerei" 
nicht gelten läßt und anstatt dessen 
sehr präzise zwischen Surrealismus 
(als geistiger Grundhaltung) und der 
Malerei als solcher unterscheidet. be- 
kennt sich zur schöpferischen Vielfalt 
und Vielgestalt. Er nimmt von überall 
Anregungen auf, vermeidet es jedoch. 
konkret zu illustrieren. Brauner arbeitet 
instinktiv. Er läßt sich weder von 
logischen Spekulationen leiten noch 
auch zu artistischer Virtuosität und 
einer Überwertung des Materiellen 
verleiten. Brauner spricht von der 
Malerei als einer inneren Notwendig- 
keit. der er bedingungslos zu gehorchen 
hat. 
Der Surrealist sieht in der wertneu- 
tralen Aktivierung der im Unterbewußt- 
sein wirkenden Kräfte die wichtigste 
Aufgabe seiner Kunstschöpfungen. Die 
geheimnisvolle Vielschichtigkeit des Un- 
terbewußten wird vom Surrealisten er- 
forscht und im Bild, dem künstlerischen 
Produkt aus Bewußtsein und Unter- 
bewußtsein. realisiert. Ohne die 7 
hier nur fragmentarisch angedeutete 7 
Zielsetzung der Surrealisten zu kennen 
und ohne ein Höchstmaß an Liberalität 
gegenüber den Werken dieser bereits 
historischen Richtung läßt sich allerdings 
auch das Oeuvre Brauners nur schwer 
verstehen. Die ausführliche erklärende 
Abhandlung im Katalog war daher 
dem Besucher wertvolle Hilfe. 
Alle Quellen aufzeigen und analysieren 
zu wollen. aus denen Brauners Werk 
gespeist wird. ist nicht allein aus 
Platzgründen unmöglich. sondern läßt 
sich auch 7 da man zumeist doch 
nur auf Vermutungen angewiesen ist 7 
rein verstandesmüßig niemals bewerk- 
moderner kunstgeschichtlicher Foi 
schung heute manche aufschlußreicl" 
Deutung erfährt, würde man zweifelli 
nicht gerecht. wollte man nur ihre 
präzisen, abbildhaften Charakter, d 
Exaktheit der Ausführung und d 
bewundernswerte handwerkliche Rai 
tine hervorheben. Eine stark au 
geprägte Tendenz zu flöchenhaflen 
wenn man will ,.abstraktem" Kon 
panieren. wie sie verschiedentlich fes 
zustellen ist, spielt gerade im Hinbli( 
auf unseren. durch die malerische 
Errungenschaften und Tendenzen d: 
Moderne erweiterten und korrigierte 
Kunstbegriff eine hervorhebenswer 
Rolle. Bellottos Werke können also. w 
daraus ersehen werden kann. unte 
verschiedensten Gesichtspunkten bi 
trachtet und diskutiert werden: daß d 
künstlerischen Absichten des Meiste 
in den diversen Abschnitten seini 
Schaffens einem Wechsel unterlagei 
läßt sich dabei keineswegs übersehei 
Von einzigartiger Bedeutung sind Be 
lottos Städtebilder auch in lokalhisti 
rischer Hinsicht. gleichen sie doch i 
ihrer Liebe zu detaillierter Schilderuri 
der Baulichkeiten einer unersetzliche 
Bestandsaufnahme. Peter Baui 
scheinbar Unbedeutenden zugetan: 
Arbeiten. die vom Betrachter Konzei 
tration und Unvoreingenommenhc 
verlangen. zählen zahlreiche Radi 
rungen, deren poetischer Gleichklar 
in der zeitgenössischen Kunst kau 
seinesgleichen findet. Wenn man au: 
unter den Anfangsarbeiten der in Wie 
vorgestellten. 15 Jahre umfassend: 
Schaffensperiode das eine oder andei 
nicht gänzlich überzeugende Blatt er 
decken konnte. so tat dies der qual 
tativ erstrangigen Auswahl. die größtei 
teils aus dem Besitz von Nestor Jaci 
metti (Zürich) stammte. dennoch kein: 
Abbruch. Erlesene. das Handschrii 
liche, Rhythmische starker hervo 
kehrende Arbeiten herrschten unti 
den landschaftsähnlichen Vierfarbei 
lithos vor, die zum Teil schon in GFUj 
penausstellungen der Galerie im Grii 
chenbeisl zu sehen waren. 
Peter Bau 
stelligen. Demgegenüber sind äuße 
liche Parallelen zu folkloristischc 
Kunstformen und zum Schaffen bi 
kannter Maler der Moderne (wesen 
verwandte Ähnlichkeiten lassen si( 
insbesondere zu Bildern Klees findei 
diverse Entlehnungen haben in Arbeite 
Chiricos. Dalis. Giacomettis und PJCUSSl 
ihren Ursprung) wesentlich leichti 
feststellbar. Sie veranschaulichen aur 
die Vielseitigkeit des charakteristischei 
magisch-dämonischen Bildkosmos Vi 
tor Brauners. 
Qualitätsunterschiede waren in d: 
ungemein oufschlußreichen Ausslellur 
mehr noch als in vorhergegangenc 
an der Tagesordnung. Die echte Mag 
und Überzeugungskraft. die von viele 
der so vielschichtigen. auch vom Hani 
werklichen und Formaten her durchai 
beachtenswerten Bilder Brauners au 
geht. dürfte allerdings ihre Wirkur 
auch bei denjenigen Besuchern nicl 
verfehlt haben. die manche Wert 
des Künstlers auf Grund von Voru 
teilen und außerkünstlerischen Übe 
legungen ablehnen. 
Peter Baui
	        
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