Die Ausstellung am Karlsplatz sollte Bilanz ziehen und offenbar jene ..ausgesprochen österreichische Kunst"
dokumentieren. die heute. wie der Festwochenintendant meint, das Verständnis des internationalen Publikums
besitzt. An 249 Exponaten von 83 Malern und Graphikern wollten die Veranstalter zeigen. ..daß hier eine sehr
moderne. weil komplexe Haltung vorliegt!" Dabei begaben sie sich bewußt der Chance. gerade den eindrucks-
vollsten Aktivposten der österreichischen Kunst der Gegenwart zu veranschaulichen: das Werk der Bildhauer.
(Was gleichzeitig. nach langem lntrigengeplänkel. in der Friedrichstraße ausgestellt wurde. entsprach besten-
falls dem Titel: ..Plastik aus dem Kreis der Secession".)
Gespräche im Ausland und mit Besuchern. die sich in Wien umsehen. bestätigen immer wieder. daß die Bild-
hauer. als Gruppe genommen. tatsächlich über jenes Kollektivprestige verfügen. das man als internationales
Ansehen umschreibt. Ob man dabei nur den Wotruba-Kreis im Auge hat oder in weniger exklusiven Zu-
sammenhängen denkt i ausschlaggebend ist auf jeden Fall. daß die Plastik in Wotruba einen Wortführer.
einen Schwerpunkt der geistigen und formalen Konzentration besitzt. den keiner der jüngeren Künstler -
nacheifernd oder widersprechend - übersehen konnte. Da Wotruba sich immer mehr auf eine dogmatisch
strenge Form zurückgezogen hat, überlößt er denen, die sich mit ihm auseinandersetzen, ein sehr breites
Terrain.
Man kann sagen. daß von Wien eine Neuentdeckung statuarischer Möglichkeiten ausgegangen ist, ähnlich
intensiv und fruchtbar wie die Wege. die Moore der englischen Plastik für das Thema der liegenden und
hockenden Figur erschlossen hat.
Entscheidend für das Ansehen unserer Bildhauer ist. daß ihre Werke und deren Probleme vornehmlich von den
ausländischen Kollegen diskutiert werden -- dieses Interesse ist substantieller als das des breiten Publikums.
Namhafte Kritiker 4 Carola Giedion-Welcker, Michel Seuphor, Herbert Read 7 haben die Bedeutung der
Wiener Bildhauer früh erkannt. der Kunsthandel hat bedächtiger reagiert. weniger entdeckt als ausgemünzt.
Am sichtbarsten lüßt sich die internationale Beachtung folgenden Tatsachen entnehmen: Wiener Bildhauer
fehlen auf keiner der großen Plastikausstellungen. sie werden zu bedeutenden Wettbewerben herangezogen
und mit Aufträgen bedacht. ihre Werke befinden sich in den besten Museen und Privatsammlungen Europas
und der Vereinigten Staaten.
Wotruba hatte es schwieriger. sich im Ausland durchzusetzen, als die jüngeren Künstler. Seine mühsam
errungene Anerkennung erleichtert ihnen den Start. Aber noch immer sind Vorurteile zu entkräften. Klischees
abzubauen. ..Man erwartet nicht. daß so etwas aus Österreich kommt". meint ein New Yorker Händler. der
eine hohe Meinung von unseren Bildhauern hat. Ein österreichischer Künstler hat es etwa so schwer wie ein
Nichtschweizer. der Prüzisionsuhren auf den Markt bringt.
In der Plastik zeichnet sich ein echter Beitrag ab. Wie die Dinge liegen. scheint er noch lange nicht erschöpft.
Was ihn kennzeichnet. ist nicht betonter Partikularismus oder Berufung auf österreichische Spezifika 4 die
"barocke" Komponente fehlt fast völlig -. sondern das Eingehen auf Fragestellungen der Formgestaltung.
die man nicht aus dem internationalen Konnex herauslösen kann.
Die Antworten. die man in Wien zum Problem von Körper und Raum gegeben hat. lassen nichts an Eindeutigkeit
zu wünschen übrig: sie bevorzugen das Volumen und instrumentieren mit ihm Paraphrasen auf den mensch-
lichen Körper. Gewiß eine schmale. keineswegs extensive Plattform. aber eine, die sich nicht auf Kompromisse
einläßt. Vielleicht sind es diese Merkmale, die den Österreichern im internationalen Gespräch das Stimmrecht
erworben haben.
Die Malerei. in den Art-Club-Jahren an der Rampe stehend. tritt heute in den Hintergrund. Ihre besten
Vertreter waren lauter Frühbegabte. die heute vielfach von ihrer Substanz zehren. Wenngleich man es den
..phantastischen Realisten" hoch anrechnen muß. daß sie seit zwanzig Jahren niemals von ihrem Kompaß
abgewichen sind. macht so viel Beharrungsvermögen doch auch ein wenig mißtrauisch. denn es droht in
Stagnation umzuschlagen. Man klammert sich an Formrezepte. bei denen man nichts mehr riskiert. In dieser
Selbstzufriedenheit steckt ein narzißhafler Zug, Schärfer formuliert: am handwerklichen Können. das sich
niemals in Frage stellt. sondern nur auf seine Verfeinerung bedacht ist. nagt Langeweile.
Unnötig zu sagen. daß eine Malerei. die der Form den Charakter des Prozeßhaften vorenthält. d. h. dem
Betrachter die Fährten der Formentstehung vorenthält. sich gerade jener Reizimpulse begibt. dic im gegen-
wärtigen Kunsturteil hohen Kurswert haben. Dennoch hat sie Chancen. international beachtet zu werden.
sobald man sie als spezitisch wienerischen Beitrag zu einer Strömung erkennt. die Andre Masson als ..sur-
realistischen Naturalismus" bezeichnet hat. Abzuwarten bleibt. ob das Echo. das die Ausstellung der Kestner-
Gesellschaft in Hannover ausgelöst hat. von der künftigen Produktion dieser Maler honoriert oder überfor-
dert wird.
Bei den ..Abstrakten" bietet sich keineswegs ein homogenes Bild. Sie zählen nicht als Gruppe oder Schule.
sondern als Einzelpersönlichkeiten. Man spürt. daB hier der überragende Schrittmacher aus der älteren
Generation fehlt. Im Ausland konnten sie bisher nur sporadisch Fuß fassen - vielleicht deswegen. weil sie der
Reibung mit der internationalen Situation die Rezeption vorziehen.Sucht man. strengste Maßstäbe anlegend.
nach ihrem Beitrag zur Malerei der letzten zwanzig Jahre. so kommt man auf die frühen Bilder von Mikl
und Rainer. allenfalls noch auf das behutsame ..informel" von Oberhuber. Das ist eine Tatsache, die man heute
nicht gern ausspricht. Sie schmälert in meinen Augen nicht den künstlerischen Rang dieses oder jenes Malers,
erschwert aber die Resonanz bei den internationalen ..taste makers". Da sie weder spektakulär noch als
Kuriosa auftreten (wie die ..Wiener Schule"). also sich nicht sensationell ausbeuten lassen. wird die Entdeckung
dieser Maler wohl nur langsam vor sich gehen - langsamer jedenfalls. als wenn sie. bei gleicher Qualität.
in Paris. London oder New York lebten.
Ein Maler. der Wiens Randsituation früh erkannt und daraus die Konsequenzen gezogen hat. zeigt den
Daheimgebliebenen. wo der internationale Ruhm vergeben wird. Hundertwasser ist nach Paris gegangen. er
hat sich der Kritik und Konkurrenz ausgesetzt und nach schwierigen Anfängen die Partie gewonnen. Gestützt
auf ein propagandistisches Geschick von großem Einfallsreichtum. vermochte seine künstlerische Eigenart sich
durchzusetzen. Sein Sammlerkreis reicht heute von Europa nach Japan und den USA. (Die Museen zeigen bis
jetzt einige Zurückhaltung.) Sein Name tiguriert unter den zehn Künstlern. die von der Pariser Zeitschrift
..Arts" kürzlich in einer Rundfrage als die namhaftesten der Nachkriegsgeneration ermittelt wurden.
Das zeigt. daß man nicht nur begabt sein muß. wenn man ,.ankommen" will, Gibt man sich mit dem ein-
heimischen Lob zufrieden. dann wird man freilich mit Hofrat Mandl jenen widersprechen. welche (seit
Hofrnannsthal) behaupten. ,.daß dieses Wien kein richtiger Boden für die bildende Kunst sei". Wer jedoch
an sich höhere Ansprüche stellt. wird die Maßstäbe dazu nur selten auf Wiener Boden finden. Selbstgenügsamkeit
ist in künstlerischen Dingen erst dann eine Tugend. wenn sie sich als Frucht vielfacher Auseinandersetzungen
einstellt. wenn ihr die Gratwanderungen einer umfassenden Bewußtseinsbildung vorausgegangen sind. Die
Impulse dazu liegen nur zum Teil auf Wiener Boden.
Geistige Beweglichkeit hat dem Künstler in unserem Jahrhundert nach nie geschadet - er ist damit besser
gefahren als die Ausdeuter. die ihn. weil es bequemer ist, auf das Bodenständige festlegen möchten.