Hexen-Holzschnitt von 1510 (Titelbild)
und dem gleichzeitigen Wiener Vanitas-
Bildchenlo. Die kompositionelle Stellung
des zentralen, nur von unten halbwegs
gesehenen Baumes entspricht etwa dem
Baum hinter der rastenden H1. Familie in
einer von Leu signierten und 1517 da-
tierten Zeichnung in Rotterdam Z1.
Wie soll man sich das Verhältnis zwischen
Leu und Baldung im Hinblick auf die
Rezeption altdorferischer Motive vorstellen?
Baldung ist anscheinend früher auf die
neue Kunsttendenz Altdorfers aufmerksam
geworden, Leu aber erhielt eine intimere
Kenntnis von bestimmten Donauschul-
Zeichnungen. Hat Baldung, der für die
„maximilianische" Kunst Altdorfers In-
teresse gewonnen hatte, Altdorfers frühe
Graphik kennengelernt hatte und vielleicht
auch durch seine Beziehungen zu cranach
um 15O7{O81Z auf Altdorfer verwiesen
worden war (die Chiaroscuro-Art des
Hexen-Holzschnittes ist ebenso cranachisch
wie altdorferischl), seinen Schüler Hans
Leu auf die Reise geschickt? Anlaß könnte
Baldungs Übersiedlung nach Freiburg und
die Aufgabe des Straßburger Bürgerrechts
im Frühjahr 1512 gewesen sein. Ab 1514
ist Leu in Zürich bezeugt. Wenn Leu von
Baldung bloß nach Nürnberg zu Dürer
gewiesen worden wäre, könnte Leu dort
1512f13 sehr wohl auch von sich aus auf
die aufsehenerregende, von den rnaximiliani-
sehen Humanisten begrüßte Modernität
der Altdorfer-Kunst aufmerksam geworden
sein. 1512 ist das Jahr, da Kaiser Maxi-
milian mit Hilfe seines Hofastronomen
und Hofgeschichtsschreibers Johannes Sta-
bius den schon einige Jahre zuvor gefaßten
und entworfenen Plan zu einer vom Holz-
schnitt gedruckten triumphalen Ehren-
pforte realisieren wollte: Im Februar 1512
hielt sich der Kaiser in Nürnberg auf, um
mit Stabius und Dürer die Einzelheiten
des Unternehmens zu besprechen. Alt-
dorfer war schon seit einigen Jahren ein
maß gebender Mitarbeiter für die Darstellung
des Triumphzuges und einzelner Szenen
in der Ehrenpforte Z3. Winzinger hat darauf
hingewiesen, „daß Altdorfer sicherlich mit
Stabius, der die Disposition für die
Triumpharbeiten schuf, einen engen Um-
gang unterhielt, da dieser 1512 vom Kaiser
ein Haus mit Garten in Regensburg als
Geschenk erhalten hatte". Wer um jene
Zeit in Nürnberg, in der Stadt von Stabius
und Dürer, weilte und wer f wie alle
aufgeschlossenen Künstler und Humani-
sten _ eine Passion für „Kaiser-Nähe"
besaß, der mußte fühlen, daß aus Regens-
burg eine neue Botschaft kam. Daher
beobachtet man in den Jahren det maxi-
milianischen Triumpharbeiten allenorts
(auch in Augsburg) eine Bereitschaft zur
Rezeption von Altdorfer-Stil. Hans Spring-
inklee, der Nürnberger Dürer-Schüler und
Mitarbeiter an der Ehrenpforte, ist ein
typischer Fall. Man hat allen Grund zur
Annahme, daß Springinklee „wohl Alt-
dorfefsche Zeichnungen auf dunkelbrau-
nem Grund von etwa 1512 zu Gesicht
gekommen" sind14. So hat Hans Leu
damals in Nürnberg vielleicht nicht nur
Werke des anwesenden Erhard, sondern
auch des in Regensburg weilenden Albrecht
Altdorfer im Kreise Dürers kennenlernen
können.
Leu wurde 1512MB unmittelbarer als Bal-
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