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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 84)

Alois Vogel 
DER MALER UND GRAPHIKER 
OSKAR MATULLA 
Oskar Matulla wurde 1900 als Sohn eines kunstsinnigen Schlossermeisters in Wien geboren. Sein Vater 
stand in kaiserlichem Dienst und arbeitete unter anderem an den Gittern des Michaelertores und der Tore 
des Schlosses Schönbrunn. 
Bedenken wir, wie viele begabtejunge Menschen gleich Oskar Matulla in jenen für Europa so entscheidenden 
Jahren kurz vor und während des ersten Weltkrieges aufgewachsen sind und die wahrhaft revolutionären 
kulturellen Strömungen ihrer Umwelt wahrgenommen. ja an ihnen sogar aktiv teilgenommen haben, 
die schließlich aber doch von der Zeit Überlaufen, an den Rand geschwemmt worden sind oder in 
einer Doktrin festgebannt vereinsamten, so müssen wir mit Genugtuung feststellen, daß Matulla immer 
von neuem zum Ausschöpfen der Möglichkeiten. immer zu neuem Aufbruch bereit war. Schon sein Bildungs- 
weg zeigt seine unaufhörliche, immer von neuem beginnende, rastlase Eigenart. Denn nicht nur, daß er 
nach der Volks- und Bürgerschule die Lehrerbildungsanstalt und die Kunstgewerbeschule besuchte. 1927 
finden wir ihn noch einmal auf der Kunstgewerbeschule in Wien, 1948 bis 1950 auf der Graphischen Lehr- 
und Versuchsanstalt. 1949 bei Professor Dobrowsky auf der Akademie der bildenden Künste und noch 
1955 bei F. Mourlot in Paris, wo er sich in den lithographischen Disziplinen weiterbildete. 
Betrachten wir nun des Künstlers Arbeiten, so müssen wir mit jenen Holzschnitten aus den Jahren 1918119 
beginnen. Eine derbe Messerführung und klare Schwarz-Weiß-Gegenübersteliungen weisen auf den 
deutschen Expressionismus. Man könnte Kirchner, Heckel und Beckmann als Vergleich heranziehen. Auch 
in der Thematik finden wir eine Verwandtschaft zu den Blättern der deutschen Meister. Ein kleines Selbst- 
porträt des 19jährigen mit verzerrten Längen läßt an Kokoschka denken. Allmählich wird aber die Linien- 
führung Matullas feiner. verliert den groben Charakter. nimmt kultiviertere Formen an. Schließlich wendet 
sich der Künstler einer neuen Ausdrucksmöglichkeit zu. Nach einigem Tasten findet er sie in der .,Neuen 
Sachlichkeit". Der Strich wird - wir sprechen noch immer vom Holzschnitt e dünner, die Linien härter, 
die Flächen. reines Schwarz oder Weiß. gewinnen an Bedeutung. Waren vorher oft soziale Motive vor- 
herrschend, so tauchen nun immer häunger solche südlicher Landschaften und Architekturen auf. Man 
spürt bei jedem einzelnen Werk die Ausgewogenheit. Die Form wird bis ins Kleinste beherrscht. Diese 
präzise Durcharbeitung der Komposition. selbst in den kleinsten Blättern, führt zu außerordentlich kühlen 
Arbeiten. 
In der Malerei wird die Fläche zum wesentlichen Element. Verhciltene Farben. oft Ocker in verschiedenen 
Abstufungen. pastelle Grau- und Grüntöne beherrschen die Leinwand. Es sind distanzierende Bilder. die 
meist italienische Motive. Straßen, Häuser. Hafenausschnitte zum Thema haben. Die Himmel werden in 
ein unendlich fernes Gelb gerückt, fast überall sind kubische Elemente vorherrschend. In diese Zeit fallen 
auch einige experimentelle Versuche postpointillistischer Art. Ein großes Ölbild ,.Dalmatien" zeigt eine 
außerordentlich zart abgestufte Palette. Es gelingt Matulla, jenen Zauber auszulösen. der in der Auflösung 
der faßbaren Dinglichkeit liegt und dafür die Konstellation des Augenblicks bietet. Im Technischen ist dem 
Künstler das Arbeiten mit dieser Methode eine Bereicherung in der Kenntnis des Bildaufbaues, ein Gewinn 
an Erfahrung. 
Beim Holzschnitt. den Matulla weiter pflegt. sehen wir ein Ausfüllen der Flächen. Mit Akribie werden 
Details herausgearbeitet. Die Strukturen wirken nun oftmals gefältelt und geschummert. In großen Holz- 
schnitten aus dem slowakischen Waldland und der österreichischen Bergwelt werden ausgesprochen 
malerische Tönungen erzielt. Doch der Strich drängt immer mehr und mehr zur ornamentalen Füllung. 
Das technische Raftinement beginnt langsam die Aussage zu überwuchern. Der Künstler. von dieser Ent- 
wicklung unbefriedigt. wendet sich einer neuen Ausdrucksweise zu. 
Während in Öl in dieser Zeit nur einige Landschaften in strenger Linearität, die entfernt an Cezanne 
erinnern, entstehen. beginnt der Künstler jetzt in Pastell zu arbeiten. Schon durch das Material bedingt. 
vielleicht auch in einem unbewußten Gegensatz zur Strenge der vorangegangenen Epoche. werden die 
Farben sehr locker aufgetragen. Mit fortschreitender Beschäftigung Matullas in dieser Technik werden 
sie immer flockiger. Reine Impressionen eröffnen große Weiten. Wenige Töne, zart hingehaucht. geben 
Licht und Luft. vielfach auch zarte Wasserspiegelungen. Eines der letzten Blätter dieser Periode erinnert 
in seiner lockeren Durchführung schon an chinesische Landschaftsbilder. 
Im Graphischen beginnt sich Matulla mehr mit der Lithographie zu beschäftigen. Es sind die Jahre 1948 
bis19SO. wo wir ihn auch in der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalttinden. Die Motive werden bewegter 
behandelt. Man merkt deutlich das Herkommen von der pastelltechnischen Auflösung. der Raum gewinnt 
an Tiefe. die Himmel sind vielgestalfiger. bewegter. Mit Tierstudien werden formale Ausdrucksmöglich- 
keiten angeschnitten: die sinnerhöhende Linie des Umrisses! Diese Blätter weisen schon auf die letzte Phase 
in Matullas graphischem Schaffen hin. 
Dazwischen schiebt sich aber noch eine kurze Periode. Essind einige Ölbilder mit ausgesprochen expressiven 
Anklängen. Eine „lrische Landschaft". 1950 entstanden, ist da zu nennen. Plötzlich tauchen in Matullas 
Palette unbekannte Rattöne auf. Kadmiumgelb zerreißt den Himmel, Chromoxydgrün beherrscht das 
Feld. Ein Zinnober gibt einen Akzent. 
Sicher durch seinen Pariser Aufenthalt stark geprägt und dann in wesentlich Eigenes umgesetzt. entsteht 
nun eine große Menge Farblithographien. die des Künstlers Namen in vielen Ausstellungen in aller Welt 
aufscheinen lassen. Bei der Biennale von Venedig 1950. in Sao Paulo195Z, in Cincinnati 1954. 19561958. 
in Laibach 1957.1959.1961. in Ausstellungen in Helsinki, Kopenhagen. Kairo. Istanbul, Tokio. Kamakura. 
Rom, Palermo, Turin. um nur einige der wichtigsten Orte zu nennen. ist Matulla vertreten. 
Wie schon angedeutet, gewinnt die Linie an Ausdruckskraft. War sie noch in der vorigen Periode haupt- 
sächlich im kompositorischen Aufbau und in die abbildliche Funktion gebunden, so wird sie jetzt noch 
zusätzlich zu einem wesentlichen Aussagemittel. Die Farben, wohl getönt, werden auch in der Lithographie 
kräftiger. ln der Struktur wird ein Zurückgreifen auf die frühen kubischen Formen ersichtlich. jedoch mit 
einer Einschließung aller dazwischenliegenden Erfahrungen. Geschmeidige, mit großer Sicherheit hin- 
gesetzte Linien korrespondieren mit den Flächen. Die Erscheinungen werden immer mehr und mehr 
abstrahiert. An Hand verschiedener. am jeweiligen Ort vor der Natur gezeichneter Landschaftsstudien 
entstehen im Atelier nach langer Zeit des Reifens gewissermaßen Quintessenzen, die das für den Künstler 
Wesentliche der Gegebenheiten festhalten. 
Während Matulla in der Lithographie diese Linie bis heute beibehält und in allen Jahren verdichtet. ist 
ihm aufder Leinwand die Temperamalerei begegnet. Wir müssen an dieser Stelle in das Jahr 197.9 zurück- 
greifen. in dem der Künstler einen Briefwechsel mit dem 1938 verstorbenen Holsteiner Meister Christian 
Rohlfs beginnt. Der lnhalt der Schreiben - die Korrespondenz reicht bis in das Jahr 1931 - bezieht sich 
meistens auf die Kaseinmalerei. Rohlfs gibt dem jüngeren Kollegen Ratschläge. teilt ihm seine Erfah- 
rungen mit. 
Für Matulla wird in den letzten Jahren die Fläche immer mehr und mehr das wesentliche Ausdrucksmittel. 
Sie ist der entscheidende Gestaltungsfaktor aller seiner Bilder geblieben. Die Ölfarbe wird pastoser auf- 
gesetzt, die Flächen bekommen eine gewisse Gerichtetheit. Die Bilder werden dadurch dynamisch. was 
sich besonders bei den Landschaften bemerkbar macht („Häuser im Karst". 1961 [Abb. 2]. "Trattenbacher 
Landschaft". 1962 [Abb. 3]). Die Palette wird intensiver. die Farbe reiner. Je jünger die Arbeiten sind. 
um so differenzierter wird der Farbauftrag. Durch polychrome Flächenbrechungen wird ein Volumen 
erreicht. ohne eine dritte Dimension vorzutäuschen. Matullas Spannweite reicht von feinempfundenen 
Farbnuoncierungen - etwa bei den Bildern aus Niederösterreich (..Wogram" und ähnliches) - bis zu 
kräftigen Kontrasten. wie wir sie besonders in der Behandlung einiger südlicher Motive finden. 
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