Josef Poulik
KOSTBARE GRABFUNDE
AUS DER ZEIT DES
GROSSRIIÄHRISCHEN
REICHES
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Im Umkreis der steinernen Kirchenbauten,
auf deren Überreste man anläßlich der
Grabungen in den großmährischen Zentren
stieß, wurden auch Friedhöfe sowie ge-
mauerte Grüfte entdeckt und eingehend
durchforscht. Dabei fand man in den
Männergräbern schwere Eisenschwerter,
Äxte, Lanzenspitzen und Sporen, während
für die Gräber der Frauen goldene und
silberne Schmuckgegenstände, insbeson-
dere Ohrgehänge, Ringe oder silberne
Anhänger für Halsketten usw. bezeichnend
sind. Die überraschende Menge und die
Kostbarkeit dieser Funde stellte die tsche-
choslowakischen Archäologen und Kunst-
historiker vor die Frage nach dem Ursprung
dieser Ziergegenstände i ob sie tatsächlich
in die großmährische Zeit, also in das
9. Jahrhundert, gehören - und welche
Anregungen für ihre Gestaltung bestim-
mend waren.
Vom archäologischen Standpunkt aus kön-
nen die kunsthandwerklichen Erzeugnisse
der großmährischen Epoche in zwei Grup-
pen eingeteilt werden, die der ersten und
der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts
angehören. Für die erste Gruppe sind im
östlichen Teil der Zentralregion Groß-
mährens, also für das ursprüngliche Fürsten-
tum Pribinas, Funde aus Blatnica (bei
Turöianskv Martin) bezeichnend, die in der
archäologischen sowie kunsthistorischen
Literatur bereits wohlbekannt sind. Unter
diesen Funden, die sich in den Sammlungen
des Budapester Nationalmuseums befinden,
fällt besonders ein Eisenschwert von karo-
lingischem Typus auf, dessen Griff mit
vergoldetem Bronzeblech plattiert und mit
silbernen Streifen tauschiert ist. Diese
Verzierung des Griffes ist deshalb bemer-
kenswert, weil hierbei Menschenmasken
als ornamentales Element verwendet wur-
den. Einige Forscher vertreten die Ansicht,
daß diese prunkvolle Waffe, deren Träger
wohl ein Edler aus der Gefolgschaft
Pribinas war, aus dem Westen, vermutlich
dem Rheingebiet herstammt. Andere, unter
diesen besonders der schwedische Archäo-
loge H. Arbman, verwiesen in letzter Zeit
darauf, daß das Schwert von Blatnica aus
einer bodenständigen Werkstatt hervnr-
gegangen sei. Zu dem Blatnitzer Fund
gehört auch eine Garnitur gegossener Zier-
beschläge, deren Herstellungstechnik an
gegossene Beschläge der spätawarischen
Epoche aus dem Karpatenbecken anknüpft
(zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts).
Als Karl der Große im letzten Jahrzehnt
des 8. Jahrhunderts die Macht der Awaten
vernichtete, geriet auch die Herstellung
der Beschlaggarnituren, die die Bekleidung
der awarischen Reiter und die Pferde
schmückten, allmählich in Vergessenheit.
In dieser bewegten Zeit siedelten sich die
Handwerker wahrscheinlich im Schutze
der Fürstenburgen nördlich der Donau an,
wo sie zu ihren eigenen Techniken auch
neue Anregungen aus dem karulingischen
und adriatischen Kunstkreis übernahmen.
Aus dem adriatischen Gebiet gelangte
wahrscheinlich die Menschenmaske als
Ziermotiv nach Mähren, der Christuskopf,
der im 7. und 8. Jahrhundert, offensichtlich
unter ostmittelmeerischem Einfluß, auch
bei der Verzierung der sogenannten lango-
bardischen (ioldblattkreuze Verwendung
fand. Dieses Motiv erscheint insbesondere
auf den Erzeugnissen der Werkstätten von
Mikuläice, aus der ersten Hälfte des 9. jahr-
hunderts, wofür die dort gefundenen ein-
zigartigen vergoldeten Sporen und ver-
schiedene Beschläge die schönsten Beispiele
sind. Auf karolingischen Einfluß weist allein
schon die Form dieser vergoldeten Sporen
aus dem Fürstengrab bei der Rotunde mit
den zwei Apsidcn in Mikulcice. Sie sind
mit Halbpalmetten verziert, die in Kerb-
schnitt ausgeführt wurden. Ähnliche Halb-
palmetten kennen wir im Westen zum
Beispiel aus Handschriften der Schule von
Tours. Karolingische Formen zeigen auch
die zungenförmigen Riemenenden der
prunkvollen Ledergürtel aus Mikulcice,
während sich jedoch die Gußtechnik an
die aus den spätawarischen Werkstätten
überlieferte Tradition hält. Charakteristisch
und vorläufig noch einzigdastehend unter
den kunsthandwerklichen Erzeugnissen des
großmährischen Zentralgebiets sind die
auf den Rückseiten der vergoldeten oder
silbernen Riemenzungen dargestellten Män-
nerHguren mit im Gebetsgestus erhobenen
Armen. Sie sind entweder graviert oder
in Flachrelief ausgeführt. Auf einer von
diesen ist ein Priester oder Bischof, auf
einer zweiten anscheinend ein Fürst mit
einem Hammer in der rechten und mit
einem Horn in der linken Hand wieder-
gegeben. Die Bekleidung und Beschuhung
des Mannes auf der silbernen Riemenzunge
unterscheidet sich deutlich von der Be-
kleidung des 9. jahrhunderts im Westen.
Die Funde des ersten großmährischen
Horizonts in Mikulöice fallen zeitlich mit
den angeführten Funden aus Blatnica zu-
sammen. In der Fachliteratur wird auch
von einem Blatnitzer-Mikulcicer Horizont
gesprochen. Wichtig ist jedoch, daß die
Funde aus dem Mikulöicer Horizont dorti-
gen Ursprungs sind und ihre Hersteller
die neuen Anregungen geschickt mit den
alten, bodenständigen Herstellungstradi-
tionen in Einklang brachten. Auch diese
konnten durch die Grabungen in Mikulöice
belegt werden, denn bei den archäologi-
schen Abdeckungen wurde festgestellt, daß
sich hier bereits im 7. und 8. Jahrhundert
ein Burgwall befand, innerhalb dessen
Metallgießwerkstätten existierten, in denen
auch Gold verarbeitet wurde.
Ungefähr seit der Mitte des 9. jahrhunderts
begannen die großmährischen Kunsthand-
werker in den llauptzentren andere Her-
stellungstechniken und andere Formen als
im vergangenen Zeitabschnitt zu verwen-
den, für den der Mikulöicer-Blatnitzer Stil
charakteristisch gewesen war. Die ge-
gossenen Ziergegenstände treten größten-
teils in den Hintergrund, und ihre Stelle
nimmt goldener und silberner gctriebener,
gepreßter, aber auch aus gezogenem Draht
hergestellter Schmuck ein. Bei der Ver-
zierung dieser Gegenstände herrschen nun
die feine Granulation und die Filigran-