unmöglich, den Barock zu übersehen. Und so
erscheint es mir fast zwangsläufig. daß ich über
den Weg der Architektur des Ostens die Archi-
tektur der Jesuiten für mich entdeckte. Diese Archi-
tektur der Jesuiten, die heute allgemein als ein
Teil des Barocks hingenommen wird, erwuchs aus
dem Erlebnis der indischen und chinesischen
Architektur im Zusammenhang mit der langen
Missionstätigkeit des Ordens in diesen Ländern.
Ein Buch hierüber. an dem ich gearbeitet hatte.
wurde durch den Krieg unterbrochen. Manche
seiner Gedankengänge fanden später in Giedions
Vorlesungen in Harvard parallel und ganz unab-
hüngig eine meisterhafte und überzeugende
Formulierung, wie wir sie aus seinem Buch
..Time, Space and Architecture" her kennen.
Die Konzepte eines Borromini stehen in ihrem
Wesen meiner Vision einer modernen Architektur
näher als irgendeine andere historische Periode.
Daß ihre Konstruktion und Formensprache einer
anderen Periode angehört, ist selbstverständlich.
Hier aber handelt es sich um die rein architek-
tonischen Konzepte. Es mag auf den ersten Blick
verwunderlich erscheinen, eine so enge Verwandt-
schaft zwischen zwei äußerlich so verschiedenen
Perioden zu sehen, wo doch so oft die strenge
Einfachheit als ein wesentliches Merkmal für die
moderne Architektur angesehen wird. So sehr
die Einfachheit, ja die Übervereinfachung am
Anfang der modernen Bewegung eine natürliche
Reaktion war - ist heute eine Übervereinfochung
entwicklungsmäßig nicht mehr begründet. Im
Gegenteil. mir erscheint eine Differenzierung
der Bauelemente die natürliche Weiterentwick-
lung.
Nun, wo ich von moderner Architektur spreche,
st es wohl notwendig, zu sagen, was ich darunter
verstehe.
Es wird heute oit verkündet, daß die Erfüllung
des Zweckes und eine hiefür richtige Konstruktion
eine gute moderne Architektur ergeben. Dies ist
meiner Meinung nach einfach falsch. Es wäre
dasselbe. wenn man sagen wollte. daß die römi-
schen Aquädukte wunderbare Architektur sind.
Sie sind zwar wunderbare Bauwerke. aber keine
Werke der Architektur, wie z. B. die Bauten der
Akropolis.
Es ist sicher nicht immer leicht, den Unterschied
zwischen lngenieurbau und Architektur zu sehen.
Dennoch ist es heute überaus wesentlich, ihn zu
treffen. denn mit dem Aufhören der Architektur
verschwindet das Menschliche aus dem Bauen.
Dies hat sich ja in erschreckender Weise bereits
bei vielen neuen Vororten der Weltstädte gezeigt.
Ich glaube, daß sich das Wesen der Architektur
und ihre Definition im Laufe der Zeiten kaum
geändert hat. Marcus Vitruvius z. B. sagt im ersten
Buch, 3. Kapitel: .,Alle (Bauten) insgesamt sind
so anzulegen. daB dabei auf Festigkeit, Nutzbar-
keit und Schönheit gesehen werde." "Ebenmaß
ist das gute Verhältnis." i So wie beim mensch-
lichen Körper „Ebenmaß im Ellbogen - Futl 7
Hand - Finger und in den übrigen Gliedern
herrscht; ebenso muß es auch bei den aufzuführen-
den Gebäuden vorhanden sein". Dies scheint mir
heute noch gültig. Es würde leider weit über den
Rahmen des heutigen Anlasses hinausgehen, auf
die sich aus dieser programmatischen Erklärung
ergebenden Folgerungen einzugehen.
Die Bildung und Differenzierung der modernen
architektonischen Ausdrucksmittel ist bereits so
weit fortgeschritten, daß eine gute und gepflegte
Sprache wieder möglich ist. An sich allein aber,
ohne ein architektonisches Konzept, ist sie nicht
mehrgenug.0bwohi diesam Beginn der Bewegung
manchmal der Fall gewesen sein mag. Heute.
glaube ich, bedarf es wieder eines Konzeptes. ja
bei entsprechenden Bauaufgaben, wie z. B. einer
Kirche, sogar einer Aussage und Stimmung. Das
Ziel einer vollentwickeiten modernen Architektur
muß meiner Ansicht nach eine Einheit sein zwi-
schen einem räumlichen Konzept einerseits und
einer Bauplastik anderseits. Diese beiden Quali-
täten müssen aber aus der Erfüllung der Funktion
des Bauwerkes und seiner Konstruktion erarbeitet
werden. Die wesentliche Qualität einer solchen
vollentwickeiten Architektur liegt in der Spannung
zwischen dem Raumkonzept und der Funktion
einerseits und zwischen der Vision einer Bau-
plastik und der Konstruktion anderseits. Es ist
erst diese Spannung. welche einen Bau lebendig
macht und zu einem Spürbarwerden seiner
Architektonik führen kann. Ohne diese Spannung
haben wir entweder einen reinen Utititarismus
oder eine abstrakte Bauplastik. Diese aber ist
kein Gebäude mehr im gebräuchlichen Sinn des
Wortes (wie z. B. die indischen Tempel). Erst
die Erfüllung dieser Qualitäten wird der modernen
Architektur die Möglichkeit geben. die stereotype
Monotonie zu überwinden. die so oft den Lösungen
der verschiedenartigsten Bauaufgaben gemeinsam
ist. Wir müssen den Weg weitergehen, die moderne
Architektur weiterentwickeln. Es wäre ihr Ende.
wenn wir sie in dem Entwickiungszustand von
heute in Schablone und Klischee erstarren ließen.
Wir müssen den Mut haben, der Routine und dem
Utilitarismus die Stirne zu bieten.
Viele überaus intelligente und gut ausgebildete
Fachleute befassen sich heute in der ganzen Welt
intensivst mit den Fragen des Verkehrs. mit Über-
führungen und Unterführungen, Parken und
Parks. Belichtung und Besonnung. Das ist sicher
notwendig. Es gibt aber heute sehr wenige gute
Köpfe in der Welt. die sich der schier hoffnungs-
losen Aufgabe widmen, all diese technischen Er-
fordernisse in einen neuen Maßstab und in neue
räumliche Konzepte zu gießen. die die Monotonie
und die Charakterlosigkeit moderner Städte
überwinden und sie wieder zu einmaligen Raum-
schöpfungen gestalten würden. Denken wir nur
z. B. an eine Schöpfung, die fast 1000lahre zurück-
liegt: nämlich an Venedig. Seine Lage ist voll-
kommen bar jeder naturgegebenen Schönheit;
der einmalige Zauber und der unerschöpfliche
Reichtum an Schönheit ist ausschließlich von
Menschenhand gemacht. Wenn ich dieses Beispiel
anführe, so denke ich an Venedigs rein archi-
tektonische Konzepte. die den Plätzen zugrunde
liegen. also an Raum. Form und Weg. wobei
ich mit Weg die Aufeinanderfolge der verschie-
denen Eindrücke und Perspektiven meine. Um
aber lebendige Architektur zu bauen. muß diese
aus dem Geist und den Bedingungen unserer
Zeit heraus erwachsen. das heißt. daß jeder
Versuch. solche Qualitäten durch eklektische
Nachahmungen oder Nachempündung wieder zu
schaffen. hoffnungslos zum Scheitern verurteilt
sein muß. Es bedarf eines viel wesentlicheren
Verstehens und Erfassens.
Die Pflege solcher Qualitäten im neuen Bauen
ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Archi-
tekturschulen. Wir müssen uns auf das Wesent-
liche konzentrieren und uns von den Äußerlich-
keiten und billigen Effekten freihalten. denn
jedes Dezennium hat seinen leeren modischen
Formalismus. Das gilt für die Sezession ebenso
wie für den Kubismus.
E: ist der gedankenlose Abklatsch von den wirklich