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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 85)

unmöglich, den Barock zu übersehen. Und so 
erscheint es mir fast zwangsläufig. daß ich über 
den Weg der Architektur des Ostens die Archi- 
tektur der Jesuiten für mich entdeckte. Diese Archi- 
tektur der Jesuiten, die heute allgemein als ein 
Teil des Barocks hingenommen wird, erwuchs aus 
dem Erlebnis der indischen und chinesischen 
Architektur im Zusammenhang mit der langen 
Missionstätigkeit des Ordens in diesen Ländern. 
Ein Buch hierüber. an dem ich gearbeitet hatte. 
wurde durch den Krieg unterbrochen. Manche 
seiner Gedankengänge fanden später in Giedions 
Vorlesungen in Harvard parallel und ganz unab- 
hüngig eine meisterhafte und überzeugende 
Formulierung, wie wir sie aus seinem Buch 
..Time, Space and Architecture" her kennen. 
Die Konzepte eines Borromini stehen in ihrem 
Wesen meiner Vision einer modernen Architektur 
näher als irgendeine andere historische Periode. 
Daß ihre Konstruktion und Formensprache einer 
anderen Periode angehört, ist selbstverständlich. 
Hier aber handelt es sich um die rein architek- 
tonischen Konzepte. Es mag auf den ersten Blick 
verwunderlich erscheinen, eine so enge Verwandt- 
schaft zwischen zwei äußerlich so verschiedenen 
Perioden zu sehen, wo doch so oft die strenge 
Einfachheit als ein wesentliches Merkmal für die 
moderne Architektur angesehen wird. So sehr 
die Einfachheit, ja die Übervereinfachung am 
Anfang der modernen Bewegung eine natürliche 
Reaktion war - ist heute eine Übervereinfochung 
entwicklungsmäßig nicht mehr begründet. Im 
Gegenteil. mir erscheint eine Differenzierung 
der Bauelemente die natürliche Weiterentwick- 
lung. 
Nun, wo ich von moderner Architektur spreche, 
st es wohl notwendig, zu sagen, was ich darunter 
verstehe. 
Es wird heute oit verkündet, daß die Erfüllung 
des Zweckes und eine hiefür richtige Konstruktion 
eine gute moderne Architektur ergeben. Dies ist 
meiner Meinung nach einfach falsch. Es wäre 
dasselbe. wenn man sagen wollte. daß die römi- 
schen Aquädukte wunderbare Architektur sind. 
Sie sind zwar wunderbare Bauwerke. aber keine 
Werke der Architektur, wie z. B. die Bauten der 
Akropolis. 
Es ist sicher nicht immer leicht, den Unterschied 
zwischen lngenieurbau und Architektur zu sehen. 
Dennoch ist es heute überaus wesentlich, ihn zu 
treffen. denn mit dem Aufhören der Architektur 
verschwindet das Menschliche aus dem Bauen. 
Dies hat sich ja in erschreckender Weise bereits 
bei vielen neuen Vororten der Weltstädte gezeigt. 
Ich glaube, daß sich das Wesen der Architektur 
und ihre Definition im Laufe der Zeiten kaum 
geändert hat. Marcus Vitruvius z. B. sagt im ersten 
Buch, 3. Kapitel: .,Alle (Bauten) insgesamt sind 
so anzulegen. daB dabei auf Festigkeit, Nutzbar- 
keit und Schönheit gesehen werde." "Ebenmaß 
ist das gute Verhältnis." i So wie beim mensch- 
lichen Körper „Ebenmaß im Ellbogen - Futl 7 
Hand - Finger und in den übrigen Gliedern 
herrscht; ebenso muß es auch bei den aufzuführen- 
den Gebäuden vorhanden sein". Dies scheint mir 
heute noch gültig. Es würde leider weit über den 
Rahmen des heutigen Anlasses hinausgehen, auf 
die sich aus dieser programmatischen Erklärung 
ergebenden Folgerungen einzugehen. 
Die Bildung und Differenzierung der modernen 
architektonischen Ausdrucksmittel ist bereits so 
weit fortgeschritten, daß eine gute und gepflegte 
Sprache wieder möglich ist. An sich allein aber, 
ohne ein architektonisches Konzept, ist sie nicht 
mehrgenug.0bwohi diesam Beginn der Bewegung 
manchmal der Fall gewesen sein mag. Heute. 
glaube ich, bedarf es wieder eines Konzeptes. ja 
bei entsprechenden Bauaufgaben, wie z. B. einer 
Kirche, sogar einer Aussage und Stimmung. Das 
Ziel einer vollentwickeiten modernen Architektur 
muß meiner Ansicht nach eine Einheit sein zwi- 
schen einem räumlichen Konzept einerseits und 
einer Bauplastik anderseits. Diese beiden Quali- 
täten müssen aber aus der Erfüllung der Funktion 
des Bauwerkes und seiner Konstruktion erarbeitet 
werden. Die wesentliche Qualität einer solchen 
vollentwickeiten Architektur liegt in der Spannung 
zwischen dem Raumkonzept und der Funktion 
einerseits und zwischen der Vision einer Bau- 
plastik und der Konstruktion anderseits. Es ist 
erst diese Spannung. welche einen Bau lebendig 
macht und zu einem Spürbarwerden seiner 
Architektonik führen kann. Ohne diese Spannung 
haben wir entweder einen reinen Utititarismus 
oder eine abstrakte Bauplastik. Diese aber ist 
kein Gebäude mehr im gebräuchlichen Sinn des 
Wortes (wie z. B. die indischen Tempel). Erst 
die Erfüllung dieser Qualitäten wird der modernen 
Architektur die Möglichkeit geben. die stereotype 
Monotonie zu überwinden. die so oft den Lösungen 
der verschiedenartigsten Bauaufgaben gemeinsam 
ist. Wir müssen den Weg weitergehen, die moderne 
Architektur weiterentwickeln. Es wäre ihr Ende. 
wenn wir sie in dem Entwickiungszustand von 
heute in Schablone und Klischee erstarren ließen. 
Wir müssen den Mut haben, der Routine und dem 
Utilitarismus die Stirne zu bieten. 
Viele überaus intelligente und gut ausgebildete 
Fachleute befassen sich heute in der ganzen Welt 
intensivst mit den Fragen des Verkehrs. mit Über- 
führungen und Unterführungen, Parken und 
Parks. Belichtung und Besonnung. Das ist sicher 
notwendig. Es gibt aber heute sehr wenige gute 
Köpfe in der Welt. die sich der schier hoffnungs- 
losen Aufgabe widmen, all diese technischen Er- 
fordernisse in einen neuen Maßstab und in neue 
räumliche Konzepte zu gießen. die die Monotonie 
und die Charakterlosigkeit moderner Städte 
überwinden und sie wieder zu einmaligen Raum- 
schöpfungen gestalten würden. Denken wir nur 
z. B. an eine Schöpfung, die fast 1000lahre zurück- 
liegt: nämlich an Venedig. Seine Lage ist voll- 
kommen bar jeder naturgegebenen Schönheit; 
der einmalige Zauber und der unerschöpfliche 
Reichtum an Schönheit ist ausschließlich von 
Menschenhand gemacht. Wenn ich dieses Beispiel 
anführe, so denke ich an Venedigs rein archi- 
tektonische Konzepte. die den Plätzen zugrunde 
liegen. also an Raum. Form und Weg. wobei 
ich mit Weg die Aufeinanderfolge der verschie- 
denen Eindrücke und Perspektiven meine. Um 
aber lebendige Architektur zu bauen. muß diese 
aus dem Geist und den Bedingungen unserer 
Zeit heraus erwachsen. das heißt. daß jeder 
Versuch. solche Qualitäten durch eklektische 
Nachahmungen oder Nachempündung wieder zu 
schaffen. hoffnungslos zum Scheitern verurteilt 
sein muß. Es bedarf eines viel wesentlicheren 
Verstehens und Erfassens. 
Die Pflege solcher Qualitäten im neuen Bauen 
ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Archi- 
tekturschulen. Wir müssen uns auf das Wesent- 
liche konzentrieren und uns von den Äußerlich- 
keiten und billigen Effekten freihalten. denn 
jedes Dezennium hat seinen leeren modischen 
Formalismus. Das gilt für die Sezession ebenso 
wie für den Kubismus. 
E: ist der gedankenlose Abklatsch von den wirklich
	        
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