ANMERKUNG
1 H. M. Wingler. Oskar Kokoschkü, Das Werk des
Malers. Salzburg (1956). 51.33.
derne Galerie im Jahre 1929 in der Orangerie des
Belvedere ein eigenes Heim erhielt. verfügte sie
außer über die obgeriannten Bilder bereits über
Werke von Archipenko, Heckel, Hafer, Hölzel.
Kirchner, Maillal. Renoir, Radin und Toulouse-
Lautrec. Eine ähnlich fruchtbare und ersprießliche
Sammeltätigkeit entfaltete die allem Neuen stets
aufgeschlossene Albertina.
Bei den österreichischen Bundesländern ist vor
allem auf Salzburg zu verweisen, wo 1919, ver-
anstaltet von der Künstlervereinigung ,.Der
Wassermann". eine internationale Ausstellung mit
Werken von Cezanne, Gauguin und Manet statt-
fand.
Wie sehr die Kunst des europäischen Westens ein-
zelne Maler direkt beeinflußle. sei an zwei Bei-
spielen dargelegt. Gustav Klimt, damals schon ein
berühmter und reifer Mann. absolvierte 19OBIO9
einen Aufenthalt in Paris und setzte sich mit der
Kunst der „Fauves" auseinander. Dies bewirkte
den letzten, entscheidenden Stilwandel in seinem
Werk, der die Überwindung ornamental-dekora-
tiver Elemente zugunsten einer mehr expressiven.
spontanen und freien Malweise zur Folge hatte.
Noch entscheidender war die Kunst des Westens
für den jungen Kokoschka: Wingler stellt in seiner
umfassenden Monographie fest: „Die 1907 oder
zum Teil schon gegen Ende des Jahres 1906 ent-
standenen Bilder bewahren die Spuren der ersten
tiefen Erschütterung, die in Kokoschka durch die
Begegnung mit einem der großen Maler ausgelöst
worden ist. Es ist ein ganz entscheidender Impuls,
den Vincent van Gogh in ihm weckt Dabei
scheint ihm von Anbeginn klar zu sein, daß Vin-
cents Weg nicht der seinige ist und der Holländer
ihm nur eine Art von Starthilfe zu gewähren
vermag"'.
Wenn Österreichs Maler der Kunst des Westens
gegenüber durchaus aufgeschlossen waren, so muß
doch festgehalten werden, daß sie sich nicht
bedingungslos an alle Strömungen anschlossen,
die Frankreich und Deutschland zu bieten hatten.
So wurde von Österreichs Künstlern der Ko-
koschka-Generation vor allem der französische
Kubismus praktisch nicht zur Kenntnis genommen,
will man von Wickenburg absehen. der auf Grund
seiner künstlerischen Ausbildung vielleicht der
erste war, der Wege der Abstraktion und der
intellektuellen Erfassung und Definierung seiner
Motive ging.
Wir wollen zunächst davon absehen, daß Öster-
reich in der Generation, die von Picasso über
Kokoschka bis Schiele reicht. über Talente ver-
fügte, deren elementare Schaffenskraft so stark
war. daß sie qualitätsmäßig den Meistern des
Westens Gleichwertiges entgegenzusetzen wußten;
wichtiger noch erscheint uns der Hinweis auf die
grundlegende Tatsache, daß die Kunstentwicklung
in Österreich genauso wie in jedem anderen Land
von der eigenen künstlerischen Tradition und von
der geographischen Lage bestimmt ist. Im Gegen-
satz zu Frankreich wurde in Österreich bildende
Kunst niemals experimentell und rationalistisch
betrieben: Kunst stand in unserem Bereich stets
im Dienste des Ausdrucks. der Aussage, der
Menschbezogenheit. Die innere Kühle und Distan-
ziertheit dem Thema gegenüber, wie sie für die
französische Kunst so bezeichnend ist. hatte Öster-
reichs Künstlern nur wenig zu geben: unsere
Kunst war. um ein Modewort der Gegenwart
anzuwenden. stets in außergewöhnlichem Maß
„engagiert" und empfand sich als spezifische Art
der Sprache von Mensch zu Mensch. ln diesem
Sinne verhält sich die Kunst Österreichs zur Kunst
Frankreichs immer noch wie etwa die Kathedrale
von Reims zum Stephansdom in Wien: Hier eis-
kalte, stahlharte Gedankenklarheit von beinahe
erschreckend gnadenloser Konsequenz, dort ge-
mütsvolle Behöbigkeit, durchdrungen von mysti-
schen. aber auch mondänen Komponenten; wenn
man so will. hat man in Österreich das Kunst-
geschehen in Frankreich schon vor fünfhundert
Jahren nicht verstanden . . .
Aber auch die Kunst Frankreichs ist nicht nur und
ausschließlich rationalistisch und intellektuell; zu
Anfang unseres Jahrhunderts traten fast gleich-
zeitig mit den Kubisten in Frankreich die "Fauves".
die "Wilden", auf den Plan. die in vielen Fällen
die Traditionen des Impressionismus ins Expressive
übersteigerten, dem Bemühen um ein Festhalten
der Erscheinung der Dinge treu blieben, aber das
Moment ihres persönlichen Emptindens stärker
in die Waagschale warten, als dies bei den Im-
pressianisten der Fall gewesen war. Und hier
konnten auch die Künstler aus Österreich an-
knüpfen. und es waren in allererster Linie alle
jene Strömungen, die sich unter dem Sammel-
namen „Postimpressionismus" fassen lassen, mit
denen sich die Künstler Österreichs in Frankreich
auseinandersetzten.
Selbstverständlich waren die künstlerischen Be-
ziehungen Österreichs zu Deutschland, dem un-
mittelbaren Nachbarn im Westen, intensiver als
zu Frankreich. Österreichische Künstler, vor allem
Kubin und Thöny, aber auch Putz und Weber-
Tyrol, spielen in der Kunst Münchens eine ent-
scheidende Rolle. und es wurde schon unzählige
Male darauf hingewiesen. wie stürmisch und mit
elementarer Gewalt sich der junge Kokoschka
den gesamten deutschen Kulturraum eroberte. Ist
er einer der Hauptmeister der „Ersten expressioni-
stischen Welle", die im Jahrzehnt vor dem ersten
Weltkrieg in Deutschland alles Alte hinwegfegte,
so drang die „Zweite expressionistische Welle" in
den Jahren unmittelbar nach Ende des ersten Wett-
krieges von Deutschland nach Österreich ein. Einer
ihrer Hauptmeister ist Carry Hauser. Der Ex-
pressionismus wurde Mitte der zwanziger Jahre
von der „Neuen Sachlichkeit" abgelöst, einer
Richtung des Malens, die ebenfalls in Deutschland
beheimatet war. Österreich trug zu ihrer Gestal-
tung mit dem Vorarlberger Rudolf Wacker
wiederum eine Schlüsselpersönlichkeit bei.
Festgehalten sei jedoch, duß die Kunstströmungen
Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg nach
Österreich nur in modifizierter Form gelangten.
Wiederum macht sich hier ein Zug des österreichi-
schen Volkscharakters bemerkbar: Der Öster-
reicher neigt nur sehr bedingt zu hektischer Laut-
stärke und wortreicher Aggressivität; auch als
Maler liebt er es nicht, sich zu Kollektiven zusam-
menzuschließen. Daher dominiert in Österreich
stärker noch als in Deutschland der Hang zur
Sonderleistung.
Herbert Boeckl ist in seinem Frühwerk ein hin-
reißendes Beispiel für schöpferisches Einzelgänger-
tum im edelsten Sinne des Wortes. Und wie sehr
es auch innerhalb der radikalsten Strömungen
um den Menschen ging. beweist ein Wort Ko-
koschkas: „Expressionismus lebt nicht im elfen-
beinernen Turm, er wendet sich an den Nächsten,
den er erweckt."
Ein Wort noch zum Ende der österreichischen Kunst
im Jahre 1938: Erschlaffungserscheinungen, ver-
bunden mit Absinken in epigonales Virtuosentum,
gehören zu den allgemeinen Kennzeichen der
dreißiger Jahre. Die Zeit als solche verlor immer
mehr an innerem Gesicht und damit auch an Stil.
Aber die Künstler Österreichs machten, soweit sie
sich nicht in den Fallstricken des politischen Tages-
kampfes verfangen hatten, das Einfachste und
Richtigste, was sie zu tun vermochten: sie malten
weiter - jenseits stilistischer und gruppenmößiger
Bindungen, dafür aber in inniger und direkter
Beziehung zu Mensch. Natur und ihrem inneren
Auftrag. So konnte es kommen, daß nicht wenige
von denen, die geblieben waren und die dunklen
Jahre recht und schlecht überdauerten, nach 1945
zu freudig anerkannten Lehrern einer jungen
Generation wurden - einer Generation. die
gänzlich andere Wege ging, andere Ausgangs-
positionen bezog und anderen Zielen zustrebte.
Paris Gütersloh, Josef Dobrowsky, Sergius Pauser
und Alfred Wickenburg seien aus der großen Zahl
derjenigen genannt, die die Fackel weitertrugen
und der Jugend zum Vorbild werden konnten.
Heute geht es uns darum, zur Kunst der drei Jahr-
zehnte vor 1938 ein richtiges Verhältnis zu finden.
Dazu sollte diese Ausstellung beitragen. Wichtig
ist jedoch, daß bei aller kritischer Einstellung nicht
jener entscheidende Rest von Mut und Selbst-
vertrauen auch in bezug auf die Leistungen der
Vergangenheit verlorengeht, der vorhanden sein
muß, will man die Kontinuität der Geschichte
nichtüberhaupt leugnen. In diesem Sinne war diese
Ausstellung auch ein Auftrag für die Zukunft.
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