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HEN Rl DE TOULOUSE-LAUTREC
Signzr der Dizsrhnj? PAN 1x95
32
Von den französischen Künstlern. die sich zur
Schule der Modernen rechnen. ist Henri de Tou-
louse-Lautrec eines der stärksten und originellsten
Talente. Vielleicht ist er der tüchtigste Zeichner
der jungen Schule. und seit langem schon zeichnet
er mit einer Art von hartnäckiger Verbissenheit.
S0 ist er dahin gelangt. vollkommen ausdrücken
zu können. was er sagen will. und es auszudrücken
in einer Sprache. die ihm durchaus angehört.
Wie er Form und Bewegung zeichnet. ist ebenso
interessant wie seine Art. den Charakter wieder-
zugeben. In den Schilderungen der Helden des
Liebeslebens. wie es in den Weltstüdten an die
Öffentlichkeit tritt, ist Lautrec Spezialist; das
Treiben der Mädchen. wie sie gehen und tanzen.
flanieren oder Träumereien sich hingeben. hat er
besser. stilvoller gezeichnet als irgendein andrer.
Ebenso treffend schildert er das Gebaren der
Herren. wie sie dick oder dünn wie Gerippe in
Kleidern nach englischem Schnitt stecken und sich
als Repräsentanten der zivilisierten Welt fühlen.
In der Charakteristik versteht es Lautrec. mit einer
Kleinigkeit Laster und Dummheit anzudeuten:
mit einem Zwinkern der Augen. mit einem Ver-
ziehen der Lippe. mit einer Akzentuierung des
Kinnes oder der Grübchen. mit einer Betonung in
der Bewegung des Kopfes oder mit dem Hervor-
heben eines modischen Putzes. Es ist wunderbar.
wie der Künstler zugleich das Lächerliche unserer
Kleidung mit ihrem Stil hervorzuheben weiß. Und
er faßt den Menschen und seine Kleidung als ein
Zusammengehöriges. Lebendiges auf. Mit Recht
konnte ein solcher Beobachter auf einige seiner
Lithographien schreiben: ,.l'ai vu ca."
Auch sein Kolorit. seine Farbe. ist etwas durchaus
Eigenartiges. Seine Farbe ist lebhaft und ein-
schmeichelnd zugleich. Alle seine Bilder und
farbigen Lithographien zeichnen sich bei lebhaften
Gegensätzen durch eine sehr feine und gesuchte
Harmonie aus.
Was aus Lautrecs Händen hervorgeht. ist Aus-
druck einer entschiedenen Überzeugung. Lautrec
liebt seine Kunst. und ich glaube. er liebt nur seine
Kunst. Seine größte Freude sind japanische Drucke,
Bilder italienischer und niederländischer Primi-
tiver; von den Modernen zieht er Degas und
Daumier allen anderen vor. Das Leben. das Trei-
ben um ihn her zieht ihn mächtig an: er betrachtet
es mit aufmerksamer Ironie. Eifrig sammelt er
seine ..Dokumente", und ihn interessieren HüBlich-
keiten und Laster ebenso wie ein Album von
Hokusai oder das Schuhwerk einer Tänzerin vom
Moulin-Rouge.
Das ist Lautrecs Philosophie. Er schmeichelt
keinem und scheut vor nichts zurück. Er hat die
berühmtesten Schauspielerinnen und Professional
Beauties skizziert. und er hat sie so unbarmherzig
analysiert. daft vielesich strüubten. dieWahrhaftig-
keit der Zeichnung anzuerkennen. Und doch hat
Toulouse-Lautrec recht. Denn die Frau auf den
Brettern. die galante Dame ist hüßlich. sowie man
aufhört. sie mit den Augen der Phantasie zu sehen
oder in den retuschierten Photographien zu be-
trachten. Mit ihrem übertriebenen Putz. ihrer
Schminke. ist sie von oben bis unten zurechtge-
macht und in der Tat verkünstelt. entstellt. hüßlich.
wie sie Lautrec uns zeigt. Was wir da sagen, wird
freilich die Leute nicht abhalten, diese Frau schön
zu finden _ ein Glück für uns und ein Glück
für sie.
Viel Rafünement. viel Wollen und viel Können -
das charakterisiert kurz diesen jungen Künstler.
der in der Malerei. als originaler Lithograph. als
Illustrator und Plakatzeichner sich einen hervor-
ragenden Platz erworben hat. Ich war Zeuge
seiner Anfänge. und als ich sein Werk lobte. war
ich sicher. mich nicht zu irren, denn ich stand
einem unermüdlichen Arbeiter gegenüber. Es
freut mich besonders. daß ich den Lesern des PAN
darlegen konnte. weshalb die Kunst Lautrecs
Beachtung verdient und warum sie gefüllt. ahne
gefallen zu wollen.