VISIONEN DES BAROCK
Rede von Univ.-Doz. Dr. Franl Fuhrmunn
unläßlich der Eröffnung der diesjährigen
Sommer-Aussieilung der Sdlzburger Residenz-
galerie
museum zu Darmstadt im vergangenen Jahr ließ
Gerhard Woeckel eine ausführliche Besprechung
im .,Pantheon" erscheinen, die er mit folgenden
Worten schloß: ,.Obwohl die Sammlung Rossacher
erst im Laufe der letzten Jahre entstand. erscheint
sie doch in vorbildlicher Weise als ein geschlossenes
Ganzes. In ihrer erstaunlichen Vollständigkeit wie
auch ihrer Qualität nach besitzt keine deutsche
oder österreichische Galerie eine ähnliche Spezial-
kollektion. Sie gehört zu den imponierendsten
Sammlerleistungen unserer Zeit. Man möchte der
Hoffnung Ausdruck geben. dal} die in Salzburg
beheimatete Sammlung . . . so erhalten bleibt, wie
sie sich ietzt präsentiert" 5. Wir können hinzufügen.
daß die Sammlung Rossacher sich seither verändert
hat. Die Salzburger Ausstellung zeigt nämlich
13 Exponate mehr, darunter je ein Spitzenwerk
von Rubens, Rottmayr, Tiepolo und Fragonard 6.
Die Bedeutung der Sammlung Rossacher f damit
kommen wir zum zweiten Punkt beruht in
dem grundlegenden Beitrag, den sie durch ihre
Objekte und durch deren wissenschaftliche Be-
arbeitung zur Klärung und zum vertieften Ver-
ständnis der Barackmalerei liefert. Die Sammlung
vermittelt einen geschlossenen und konzentrierten
Überblick über die Entwicklungsstufen der Barock-
malerei Europas im 17. und 18. Jahrhundert an
Hand von gemalten Entwürfen, Die Entfaltung ist
in ihren Schulzusammenhängen und regionalen
Ausprägungen klar zu verfolgen. der Schwerpunkt
des Erlebnisses der Ausstellung liegt aber in der
unmittelbaren Begegnung mit der Schöpferkraft
der für diese Entwicklung und Entfaltung ent-
scheidenden Künstlerpersönlichkeiten.
Mit Rubens Tätigkeit in Rom einsetzend. führt die
Reihe hinreißender Entwürfe über Cortona, Luca
Giordano, Rottmayr. Solimena, Pellegrini. Carlone,
Piazzetta, Pittoni zu Tiepolo und Guardi. bzw. im
Norden zu Daniel Gran, Troger, Günther. Maul-
pertsch und Januarius Zick, um nur die wich-
tigsten Namen zu nennen. Alles, was der Barock-
malerei Bedeutung und Profil. ia ihren Inbegriff
gegeben hat. ist vertreten, und dies nicht etwa
nur mit einem Beispiel jedes Meisters. sondern oft
gleich mit drei, vier und mehr. wie gerade bei
den großen Malern Tiepolo und Maulpertsch. Mit
je einem Entwurf von Mengs und Fragonard über-
schreitet zwar die Ausstellung den zeitlichen
Rahmen des Barocks, ohne aber seiner Stilform
untreu zu werden.
Das Faszinierendste an dieser Ausstellung aber
scheint mir e abgesehen von dem Versammelt-
sein hoher und höchster Qualitäten -- der Um-
stand zu sein. daß es sich bei den Bildern durch-
wegs um Entwürfe, also um Frühstadien handelt,
die uns den Werdegang eines Gemäldes unmittel-
bar vor Augen führen. Damit kommen wir zum
dritten Punkt, dem Hauptteil unserer Ausführungen.
Unser, an der modernen Malerei mit ihrer Frei-
setzung von Farbe und Form geschultes Auge ist
für den Einblick in den schöpferischen Vorgang
der Malerei und damit in das Schöpferische als
solches besonders empfänglich geworden. ln der
vom Zwang der Ausführung noch weitgehend
freien Konzeption eines Bildes - in seiner ldeen-
skizze oder dem Pensiero, seinem die Komposition
festlegenden Stadium des Bozzetto und in der
ausführungsreifen Form des Modellol - erkennen
und erfühlen wir das eigentliche Künstlerische.
das Ursprungs- und Eingebungsnahe, den zün-
denden Funken, von dessen Weiterwirken in den
verschiedenen Stufen und Ebenen der Gestalt-
werdung eines Kunstwerks dessen unmittelbare
Überzeugungskraft abhängt.
Es ist ein Verdienst Dr. Rossachers als Katalog-
bearbeiter seiner Sammlung. daß er sich zum
erstenmal in der Literatur in so konsequenter
Weise um die Herausarbeitung der verschiedenen
Werdestufen der gemalten Entwürfe bemüht hat.
Er nimmt damit - vielleicht ohne es zu wissen
eine vor Jahren in Wien geübte Forschungs-
richtung wieder auf, die Ähnliches, allerdings auf
dem Gebiete der Plastik. wo uns die Verwendung
der Begriffe Bozzetto oder Modello geläufiger
ist. mit Erfolg praktiziert hat". Auf die genaue
Abgrenzung dieser Begriffe und auf ihre vielfach
fluktuierende Anwendung kann hier nicht näher
eingegangen werden". Der Katalog gibt hiezu
weitgehend Aufschluß, Nur ein Begriff. der sich
auch öfters im Katalog tindet. sei herausgegriffen.
weil er meines Erachtens entscheidend zum
Verständnis der Werdestufen und des Wesens
eines Gemäldes und damit des Kunstwerks über-
haupt beitragen kann. der Begriff der .,macchi "
Das italienische Wort „macchia" bedeutet .,Fleck' .
im weiteren Sinne auch ,.Buschwald". also ge-
fleckter Landstrich. Unter der ,.macchia" eines
Gemäldes versteht man. gewissermaßen grapho-
logisch gesehen. die unverwechselbare Art und
Weise, wie ein Maler seine Farbflecke und Pinsel-
striche setzt, d. h. auf dem Malgrund verteilt. Es
leuchtet ein, daß diese Hmacchia" um so deutlicher
hervortritt, ie freier und ungehemmter der Maler
arbeiten kann. also in den frühen Werdestufen,
in der modernen Malerei aber auch im voll-
endeten Werk. da dieses im Grad der Ausführung
vielfach einer mittleren Stufe im Entstehungsprozeft
eines alten Gemäldes entspricht.
Zu Beginn seiner berühmten Abhandlung über
die „macchia" Bruegels" zitiert Hans Sedlmayr
Benedetto Croce, der seinerseits eine Theorie des
Farbflecks eben der Hmacchia" f, die ein
italienischer Literat" des 19. Jahrhunderts ent-
wickelt hat, bekanntmacht. Nach dieser Theorie
ist „macchia" .,das Abbild des ersten fernen Ein-
drucks eines Obiekts oder einer Szene. der erste
Die Ausstellung "Visionen des Barock" darf in
dreifacher Hinsicht als ein Ereignis betrachtet
werden. Erstens liefert sie einen schlagenden
Beweis tur die Leistungsfähigkeit privater lnitiative,
zweitens steuert sie einen grundlegenden Beitrag
zur Kunstgeschichte der Barockmalerei bei und
drittens wirft sie ein helles Licht auf die Frage nach
dem .,Ursprurig" und der „Ursprungsnälwet der
Kunst. besonders des Gemäldes.
Nur eine unabhängige, von den Fesseln der Ver-
waltung befreite. begabte und von ihrer selbste
gestellten Aufgabe besessene Persönlichkeit ist
imstande, eine Sammlung so geschlossener und
umfassender Art, wie sie die Sammlung Kurt
Rassacher darstellt, in so kurzer Zeit aufzubauen.
Wir kennen Privatsammlungen ähnlichen Cha-
rakters, wie die Sammlung Röhrer i, heute Bestand-
teil der Städtischen Kunstsammlungen Augsburgs,
oder die Sammlung ReuschelÄ jetzt dem Bayeri-
schen Nationalmuseum einverleibt, oder als rühm-
lichcs Beispiel einer offentlichen Sammlung die
Alle Galerie am Landesmuseum Joanrieum in
Graz]. Aber die Zielsetzung dieser Sammlungen
war bzw. ist enger begrenzt und das Qualitäts-
niveau liegt nicht so hach. Der Aufbau ähnlicher
Sammlungen im öffentlichen Bereich ist mcist aus
nnanziellen Erwägungen nur in beschränktem
Ausmaße möglich, aber auch nur dann, wenn eine
starke und zielbewußte Persönlichkeit mit einem
klaren Sammelprogramm an der Spitze steht, eine
Persönlichkeit. die das volle Vertrauen und die
verständnisvolle Unterstützung der vorgesetzten
Behörden genießt und der von seiten der Ver-
waltung der nötige Spielraum selbstverantwort-
lichen Handelns gewährt wird. Das markanteste
Beispiel in der Museurns- und Galeriegeschichte
ist wohl der geniale Wilhelm van Bode, der, von
der Gunst der Stunde getragen. in der Hauptstadt
desWilhelminischen Deutschland, Berlin, die groß-
artigen Sammlungen aufgebaut hat '.
Kehren wir zur Sammlung Rossacher zurück. lcli
zitiere im folgenden mit Absicht einen fremden
Gewährsmann, um nicht in den Verdacht subieke
tiver Bewertung oder gar Überbewertung zu
gelangen. Anlatllich der ersten Ausstellung der
genannten Sammlung im Hessischen Landes-