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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 87)

VISIONEN DES BAROCK 
Rede von Univ.-Doz. Dr. Franl Fuhrmunn 
unläßlich der Eröffnung der diesjährigen 
Sommer-Aussieilung der Sdlzburger Residenz- 
galerie 
museum zu Darmstadt im vergangenen Jahr ließ 
Gerhard Woeckel eine ausführliche Besprechung 
im .,Pantheon" erscheinen, die er mit folgenden 
Worten schloß: ,.Obwohl die Sammlung Rossacher 
erst im Laufe der letzten Jahre entstand. erscheint 
sie doch in vorbildlicher Weise als ein geschlossenes 
Ganzes. In ihrer erstaunlichen Vollständigkeit wie 
auch ihrer Qualität nach besitzt keine deutsche 
oder österreichische Galerie eine ähnliche Spezial- 
kollektion. Sie gehört zu den imponierendsten 
Sammlerleistungen unserer Zeit. Man möchte der 
Hoffnung Ausdruck geben. dal} die in Salzburg 
beheimatete Sammlung . . . so erhalten bleibt, wie 
sie sich ietzt präsentiert" 5. Wir können hinzufügen. 
daß die Sammlung Rossacher sich seither verändert 
hat. Die Salzburger Ausstellung zeigt nämlich 
13 Exponate mehr, darunter je ein Spitzenwerk 
von Rubens, Rottmayr, Tiepolo und Fragonard 6. 
Die Bedeutung der Sammlung Rossacher f damit 
kommen wir zum zweiten Punkt beruht in 
dem grundlegenden Beitrag, den sie durch ihre 
Objekte und durch deren wissenschaftliche Be- 
arbeitung zur Klärung und zum vertieften Ver- 
ständnis der Barackmalerei liefert. Die Sammlung 
vermittelt einen geschlossenen und konzentrierten 
Überblick über die Entwicklungsstufen der Barock- 
malerei Europas im 17. und 18. Jahrhundert an 
Hand von gemalten Entwürfen, Die Entfaltung ist 
in ihren Schulzusammenhängen und regionalen 
Ausprägungen klar zu verfolgen. der Schwerpunkt 
des Erlebnisses der Ausstellung liegt aber in der 
unmittelbaren Begegnung mit der Schöpferkraft 
der für diese Entwicklung und Entfaltung ent- 
scheidenden Künstlerpersönlichkeiten. 
Mit Rubens Tätigkeit in Rom einsetzend. führt die 
Reihe hinreißender Entwürfe über Cortona, Luca 
Giordano, Rottmayr. Solimena, Pellegrini. Carlone, 
Piazzetta, Pittoni zu Tiepolo und Guardi. bzw. im 
Norden zu Daniel Gran, Troger, Günther. Maul- 
pertsch und Januarius Zick, um nur die wich- 
tigsten Namen zu nennen. Alles, was der Barock- 
malerei Bedeutung und Profil. ia ihren Inbegriff 
gegeben hat. ist vertreten, und dies nicht etwa 
nur mit einem Beispiel jedes Meisters. sondern oft 
gleich mit drei, vier und mehr. wie gerade bei 
den großen Malern Tiepolo und Maulpertsch. Mit 
je einem Entwurf von Mengs und Fragonard über- 
schreitet zwar die Ausstellung den zeitlichen 
Rahmen des Barocks, ohne aber seiner Stilform 
untreu zu werden. 
Das Faszinierendste an dieser Ausstellung aber 
scheint mir e abgesehen von dem Versammelt- 
sein hoher und höchster Qualitäten -- der Um- 
stand zu sein. daß es sich bei den Bildern durch- 
wegs um Entwürfe, also um Frühstadien handelt, 
die uns den Werdegang eines Gemäldes unmittel- 
bar vor Augen führen. Damit kommen wir zum 
dritten Punkt, dem Hauptteil unserer Ausführungen. 
Unser, an der modernen Malerei mit ihrer Frei- 
setzung von Farbe und Form geschultes Auge ist 
für den Einblick in den schöpferischen Vorgang 
der Malerei und damit in das Schöpferische als 
solches besonders empfänglich geworden. ln der 
vom Zwang der Ausführung noch weitgehend 
freien Konzeption eines Bildes - in seiner ldeen- 
skizze oder dem Pensiero, seinem die Komposition 
festlegenden Stadium des Bozzetto und in der 
ausführungsreifen Form des Modellol - erkennen 
und erfühlen wir das eigentliche Künstlerische. 
das Ursprungs- und Eingebungsnahe, den zün- 
denden Funken, von dessen Weiterwirken in den 
verschiedenen Stufen und Ebenen der Gestalt- 
werdung eines Kunstwerks dessen unmittelbare 
Überzeugungskraft abhängt. 
Es ist ein Verdienst Dr. Rossachers als Katalog- 
bearbeiter seiner Sammlung. daß er sich zum 
erstenmal in der Literatur in so konsequenter 
Weise um die Herausarbeitung der verschiedenen 
Werdestufen der gemalten Entwürfe bemüht hat. 
Er nimmt damit - vielleicht ohne es zu wissen 
eine vor Jahren in Wien geübte Forschungs- 
richtung wieder auf, die Ähnliches, allerdings auf 
dem Gebiete der Plastik. wo uns die Verwendung 
der Begriffe Bozzetto oder Modello geläufiger 
ist. mit Erfolg praktiziert hat". Auf die genaue 
Abgrenzung dieser Begriffe und auf ihre vielfach 
fluktuierende Anwendung kann hier nicht näher 
eingegangen werden". Der Katalog gibt hiezu 
weitgehend Aufschluß, Nur ein Begriff. der sich 
auch öfters im Katalog tindet. sei herausgegriffen. 
weil er meines Erachtens entscheidend zum 
Verständnis der Werdestufen und des Wesens 
eines Gemäldes und damit des Kunstwerks über- 
haupt beitragen kann. der Begriff der .,macchi " 
Das italienische Wort „macchia" bedeutet .,Fleck' . 
im weiteren Sinne auch ,.Buschwald". also ge- 
fleckter Landstrich. Unter der ,.macchia" eines 
Gemäldes versteht man. gewissermaßen grapho- 
logisch gesehen. die unverwechselbare Art und 
Weise, wie ein Maler seine Farbflecke und Pinsel- 
striche setzt, d. h. auf dem Malgrund verteilt. Es 
leuchtet ein, daß diese Hmacchia" um so deutlicher 
hervortritt, ie freier und ungehemmter der Maler 
arbeiten kann. also in den frühen Werdestufen, 
in der modernen Malerei aber auch im voll- 
endeten Werk. da dieses im Grad der Ausführung 
vielfach einer mittleren Stufe im Entstehungsprozeft 
eines alten Gemäldes entspricht. 
Zu Beginn seiner berühmten Abhandlung über 
die „macchia" Bruegels" zitiert Hans Sedlmayr 
Benedetto Croce, der seinerseits eine Theorie des 
Farbflecks eben der Hmacchia" f, die ein 
italienischer Literat" des 19. Jahrhunderts ent- 
wickelt hat, bekanntmacht. Nach dieser Theorie 
ist „macchia" .,das Abbild des ersten fernen Ein- 
drucks eines Obiekts oder einer Szene. der erste 
 
 
 
Die Ausstellung "Visionen des Barock" darf in 
dreifacher Hinsicht als ein Ereignis betrachtet 
werden. Erstens liefert sie einen schlagenden 
Beweis tur die Leistungsfähigkeit privater lnitiative, 
zweitens steuert sie einen grundlegenden Beitrag 
zur Kunstgeschichte der Barockmalerei bei und 
drittens wirft sie ein helles Licht auf die Frage nach 
dem .,Ursprurig" und der „Ursprungsnälwet der 
Kunst. besonders des Gemäldes. 
Nur eine unabhängige, von den Fesseln der Ver- 
waltung befreite. begabte und von ihrer selbste 
gestellten Aufgabe besessene Persönlichkeit ist 
imstande, eine Sammlung so geschlossener und 
umfassender Art, wie sie die Sammlung Kurt 
Rassacher darstellt, in so kurzer Zeit aufzubauen. 
Wir kennen Privatsammlungen ähnlichen Cha- 
rakters, wie die Sammlung Röhrer i, heute Bestand- 
teil der Städtischen Kunstsammlungen Augsburgs, 
oder die Sammlung ReuschelÄ jetzt dem Bayeri- 
schen Nationalmuseum einverleibt, oder als rühm- 
lichcs Beispiel einer offentlichen Sammlung die 
Alle Galerie am Landesmuseum Joanrieum in 
Graz]. Aber die Zielsetzung dieser Sammlungen 
war bzw. ist enger begrenzt und das Qualitäts- 
niveau liegt nicht so hach. Der Aufbau ähnlicher 
Sammlungen im öffentlichen Bereich ist mcist aus 
nnanziellen Erwägungen nur in beschränktem 
Ausmaße möglich, aber auch nur dann, wenn eine 
starke und zielbewußte Persönlichkeit mit einem 
klaren Sammelprogramm an der Spitze steht, eine 
Persönlichkeit. die das volle Vertrauen und die 
verständnisvolle Unterstützung der vorgesetzten 
Behörden genießt und der von seiten der Ver- 
waltung der nötige Spielraum selbstverantwort- 
lichen Handelns gewährt wird. Das markanteste 
Beispiel in der Museurns- und Galeriegeschichte 
ist wohl der geniale Wilhelm van Bode, der, von 
der Gunst der Stunde getragen. in der Hauptstadt 
desWilhelminischen Deutschland, Berlin, die groß- 
artigen Sammlungen aufgebaut hat '. 
Kehren wir zur Sammlung Rossacher zurück. lcli 
zitiere im folgenden mit Absicht einen fremden 
Gewährsmann, um nicht in den Verdacht subieke 
tiver Bewertung oder gar Überbewertung zu 
gelangen. Anlatllich der ersten Ausstellung der 
genannten Sammlung im Hessischen Landes- 

	        
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