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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 87)

charakteristische Effekt, der sich dem Auge des 
Künstlers einprägt". gleichgültig. ob er den 
Gegenstand mit dem äußeren oder dem inneren 
Auge schaut. Die ,macchia'" ,.ist der springende 
Punkt, das Charakteristische. . . hervorgebracht 
von der besonderen Gruppierung der rnannigfach 
gefärbten Personen und Dinge". Fern wird dabei 
als geistige Ferne in der Weise verstanden, daß 
das Wahrgenommene noch nicht in allen Details 
vorn Künstler bzw. van uns erfaßt wird. 
Für unseren Zusammenhang wichtig ist nun die 
weitere Erläuterung Croces, daß nämlich zwischen 
jenem ersten Eindruck und dem vollendeten und 
genau umrissenen Bild der ganze künstlerische 
Prozeß abläuft. Er sagt: .,Ein Bild ausführen, 
vollenden. bedeutet nichts als ein stärkeres inneres 
Annähern an den Gegenstand. ein Deutlich- 
machen und Festigen desselben, was uns als 
blendender Strahl ins Auge gedrungen ist. Fehlt 
jedoch jener erste harmonische Accord, 7 die 
,macchia' 7 so werden Ausführung und Voll- 
endung  niemals dazu gelangen, uns innerlich 
zu bewegen.  während vielmehr die bloße 
nackte Hmacchia". ohne irgendeine nähere gegen- 
ständliche Bestimmung durchaus imstande ist, 
diese Emptindung zu erwecken." 
Mit diesen Sätzen des bedeutenden italienischen 
Kunstphilosaphen" ist eigentlich die Erklärung 
dafür gegeben. worum wir uns von Skizzen und 
Entwürfen so angesprochen fühlen. mehr oft als 
von den ausgeführten Gemälden. Es ist das Ur- 
sprüngliche. Frische und Vitale dieser Entwürfe, 
es ist die Nähe des Eros, die wir spüren. der 
Widerschein jenes Aufflammens. das jedesmal 
geschieht, wenn der schöpferische Menschengeist 
mit der ldeenwelt in Berührung kommt. oder, um 
mit Othmar Spann" zu sprechen. wenn der 
Mensch die in seinem Geiste mitangelegten. aber 
schlummernden Urwesenheiten erweckt. Es ist das 
Dynamische. die durch keine Konvention ge- 
schwächte Urkraft der geistigen Gebärde, die 
uns fesselt und die den eigentlichen Kern, die 
zeugende Mitte jedes Kunstwerks ausmacht. 
Die Sprachen haben für diesen dynamischen Ent- 
stehungsvorgang höchst anschauliche Wortbe- 
Zeichnungen zur Hand. wie das deutsche ..Ent- 
wurf" : das Hingeworfene. Hingeschleuderte 7 
das Wort bezieht sich übrigens ursprünglich auf 
das Hin- und Herwerfen des Weberschiffchens -. 
wie das italienische ,.schizzo", ein lautmalendes 
Wort. das nichts anderes heißt als .,Hinspritzen". 
dann auch das ,.Hirigespritzte".eben die rasch 
hingeworfene Skizze. oder das französische 
..patron". mit dem lateinischen ..pater" verwandt. 
also dem erzeugenden Prinzip". 
Man darf nun allerdings nicht in den Fehler ver- 
fallen und schlechthin glauben. wozu die moderne 
Malerei verführen könnte, daß echte Kunst sich 
sozusagen nur in der Skizze und im Entwurf 
offenbarte. In Wahrheit verhält es sich, zumindest 
im Bereich der alten Kunst. nämlich so. daß die 
Größe eines Künstlers sich eben darin bestätigt. 
daß er imstande ist. mit allen Hindernissen und 
Schwierigkeiten, die mit dem stufenweisen Anstieg 
zur Vollendung des Kunstwerks in der Ausein- 
andersetzung mit der rauhen Wirklichkeit ver- 
bunden sind. zuchtvoll fertig zu werden und daß 
er vor allem die Gnade hat. den zündenden 
Funken des Ursprungs und seine erste Fassung in 
der "macchia" über alle Föhrnisse hinweg bis in 
alle Stufen und bis in die feinsten Verzweigungen 
der Struktur eines Kunstwerks glühend zu er- 
halten. Ich glaube, daß wir die Stellung und Be- 
deutung des .,Non finito". der Skizze. des Ent- 
wurfs, gerade in ihrer Blütezeit. eben der Barock- 
malerei, falsch beurteilen würden. wenn wir diese 
Tatsache nicht im Auge behielten". 
So scheint mir. um zum Ende zu kommen. diese 
Ausstellung. in der uns das ..Geistursprüngliche" 
des Kunstwerks. aber auch die Vermählung dieser 
Ursprünglichkeit mit der entsprechend trans- 
formierten und damit geistdurchlüssigen Materie, 
so unmittelbar zu Bewußtsein kommt, als ein 
großes Geschenk, als eine Offenbarung für 
unsere in Nützlichkeits- und Zweckrnüßigkeits- 
Vorstellungen verstrickte Welt. als ein Fest der 
schciubar gewordenen unvergänglichen Kraft des 
Geistß. 
1 Carlo lnnozenzo Carlone. die Kommunion der Aposiel. 
Bolzello für ein Allarbild. Graubraune Grisaille, Öl 
auf Papier. auf Leinwand. H. 53. B 36 cm 
1 Mullhöus Günlher. Minerva als Schirmherrin der 
Schönen Künsle und Wissenschailen. Teilmodell eines 
Deckenlreskos. Öl auf Leinwand. H. 40, B 55 cm 
3 Marlin Johann Schmidt (genunnl Kremscr-Schmidl), 
Murler des hl. Peirus. Bollella für ein Allurblall. Öl 
au! Papier. auf Leinwand. H. 38. B 26.4 cm 
ANMERKUNGEN 1ä1S 
' Adolf Feulner, Die Sammlung Holm! Sigmund 
Röhren Äugsburg 1926. 
Wilhelm Reuschei Die Sammlung Wilhelm Reuszhel. 
ein Beiirag zur Geschichie der Barockmalerei, 
München 1963. 
Kurl Woiselschläger. Meisterwerke der bslerreie 
chischen und deuischen Barackmalerei in der Allen 
Galerie am Landesmuseum Jaanneum in GraZ. 
Wien-München 1961. 
Wilhelm von Bode. Fünfzig Jahre Museumsarbeil. 
Bielefeld-Leipzig 1912. - Friedrich Winckler, Zum 
Gedächlnis an Wilhelm von Bude 1845 "1929. Beiheli 
zur Jahresgabe des Deuischen Vereins für Kunsl- 
wissenschall. Berlin 1935. 
Gerhard Waeckel, Visionen des Barock. Enlwürle 
aus der Sammlung Rossacher. Zur Ausslellung Im 
Hessischen Landesmuseum in Darmsladi. In: Pun- 
lheon 5 (Mönchen 1965). S. 330-3310. 
Kurt Rossccher. Visionen des Barock. Eniwürfe aus 
der Sammlung Kurl Rossucher. Katalog der Ause 
slellung in der Residenlgalerie Salzburg. Salzburg 1966. 
' Vgl. Rossacher, Visionen. Vorwurf. 
' Leo Plnniscig und Ernsi Kris, Boxzelh und Modellelh 
der Spälrenaissance und des Baracks. Ausstellungs- 
kulalog des Kunsihislorlschen Museums in Wien. 
Kalalog-Nr. 4. Wien 1936137. 7 Entwürfe von Malern, 
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11 
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I! 
Bildhouern und Archileklen der Barockzeil in Ösler- 
reich. Kaoalaa der 15. Ausslellung der Öslerreich- 
scher: Galerie. Wien 1937. 7 Heinrich Klupsia. 
Bollelli und Modelleni der Spälrenalssance und des 
Burocks. In: Kirchenkunsl 9. 1937. i Vgl. allgemein: 
Alberl-Erich Brinckmann. Barock-Bozzelli, 4 Bde.. 
Frankfurl a. M. 1913124, - Harald Keller und Änlon 
Reß, Bozzeno, ln: Reallexikun zur deulschen Kunsl- 
geschichle. Bd. Z (Slullgarl-Waldsee 1948). S9. 1081 
bis 1098. 
Robert Oerlel. Wandmalerei und die Zeichnung in 
llalien. Die Anfänge der Enlwurlszeichnung und ihre 
manumenlalen Varslulen. In: Milleilungen das kunsl- 
hisloriscnen lnsliluls 4h Florenz, Bd. 5 (1937-1940). 
S. 218 lf. 
Hans Sedlmayr. die "Macchia" Bruegels. In: Jahr- 
buch der Wiener kunslhislorischen Sammlungen. 
N, F. Bd. ß (Wien 1934). S. 137H. Erneul abgedruckt 
in: H. Sedirnayr. Epochen und Werke. Bd. 1 (Wien 
1959). S. 274W, 
Vlllorio lmbriani. siehe Sedlmayr. a. a. O. 
Benedello Croce 1866-1952. 
Olhmar Spann, Zur Kunslphilosophie. m: o. Spann. 
Das philosophische Gesamlwerk im Auszug. hrsg, 
von H. Riehl. Wien 1950. S. 251 ff. Spanns Kunsl- 
philosophie isl noch nichl veröffenllichl und wird 
ersl in der Gesurnlausgube in Druck erscheinen. 
Paul Grebe. Duden. Elymologle. Herkunflswörlerbuch 
der deulschen Sprache. Mannheim 1963. 
Daß in der allen Malerei außerdem noch die Bild- 
überlieferung als solche. das Vorbild. das Schema, 
eine bedeulende Rolle gespielt hat. sei nur am Rande 
erwühnl. Der Genie-Begriff des 18. Jahrhunderfs 
usw. isl eben lür die früheren Jahrhunderle nicht 
oder nur sehr heding! anzuwenden. Vgl. das Vor- 
wnrl von Margarelhe Poch-Kalous im Kaldlog der 
14. Sonderausstellung der Akademie der bildenden 
Kunsle in Wien: ..l(ünsllerische Uberlieferung in der 
niederländischen und deulschen Malerei des 16. und 
17, Jahrhunderls". Wien 1966. 
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