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Internationale 
$ammler-2eifunß 
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
20. Jahrgang. Wien, 1. Februar 1928. Nr. 3. 
2)/e Schätze der ^Kärntner Bißfiotßeken. 
Einem größeren Auditorium von Bibliophilen 
vermittelte kürzlich der Direktor der Studienbiblio- 
thek in Klagenfurt Dr. Max P i r k e r die Kennt 
nis von den Kunst- und Literaturschätzen Kärntens. 
Man war erstaunt, zu hören und zu sehen — denn die 
Schätze Waren im Vortragssaale der Nationalbilblio- 
thek in Vitrinen auch ausgestellt —, was das kleine 
Land, in dem der Fremde meist nur den Wörthersee 
sucht, an Kostbarkeiten birgt. 
Da gab es im ersten Kasten an der Schrnalwand 
des Saales italienische und .Italienisch-deutsche Text 
bücher von Singspielen aus der ersten Häiftc des 18. 
Jahrhunderts, die zum Teil in Venedig bei Angelo 
P a s i n e 11 i, zum Teil in Klagenfurt bei Klein- 
m ayr gedruckt sind, interessante Zeugnisse italieni 
scher Wandertruppen, die aus der Schloßbibliothek 
des Grafen G o e ß stammen. 
In dem zweiten Tischkasten an der Schmalwand 
des Saales lag die von Hans Sigmund von 0 11 e n - 
f e 1 s verfaßte „Beschreibung oder Relation über 
den Einzug und Erbhuldigungsaktum in dem Erz 
herzogthum Kärndten“, Klagenfurt, Georg Kramer, 
aus dem Jahre 1630. Dieses Buch, das Zweit 
älteste von den erhaltenen Kärntner Drucken, ist 
ein bescheidenes, aber kostbares Seitenstück zu den 
prunkvollen Festbüchern des Wiener Hofes und ge 
hört der Klagenfurter Studienbibliothek. Ferner sah 
man ein Kärntner Volksschauspiel und 
Bauern hand schrif t e n, die auf mittelalterliche 
Vorlagen zurückgehen und aus dem Archiv des Ge 
schichtsvereines und aus dem HeimatmuseumKärntens 
stammen; ein altes Kärntner Hirtenspiel, eingetragen 
in ein Firmungsmatrikelbuch aus dem Jahre 1775 bis 
1791, und schließlich eine ganz wunderbare Hand 
schrift: „Die Komödie vom grimmigen Tode“, ein 
lateinisches Osterspiel. 
Der Klagenfurter Geschichtsverein bot ein P a s- 
sauer M i s s a 1 e, eine prachtvolle Arbeit des 15. 
Jahrhunderts. Am Anfang prangt die Initiale A, darin 
ein betender Papst (wahrscheinlich Gregor der 
Heilige), dann in Prachtfarben die Buchstaben (A D 
TE. LEUAUI ANIMAN (Zu dir habe ich meine Seele 
erhoben) und ein Missale des Gurker Bischofs Ulrich 
v. Sonnenberg (1476), ein herrliches Stück aus 
dem 15. Jahrhundert. Der Bischof ist auf dem Bilde 
betend dargestellt, am Rande sind Engel und soge 
nannte „Drolerien“ (groteske Zierornamente) zu 
sehen. Die Archidoxa des T h e o p h r a s t u s Para 
celsus, die alte bekannte Handschrift dieses natur 
philosophischen Werkes des berühmten Humanisten, 
hatte die Studienbibliothek Klagenfurts beigestellt. 
Aus der fürsterzbischöflichen Bibliothek stamm 
ten Dekrete Gregors IX., in lateinische Verse ge 
bracht von Propst Ulrich von Völkermarkt, 
desgleichen „Das geistliche Schachspie 1“, 
das bekannte Werk des lombardischen Dominikaners 
Jak. v. Cessolis, der in seinen Predigten die Fi 
guren des Schachspiels als Symbole der einzelnen 
Stände aufführte in deutscher Sprache und mit Bil 
dern versehen (15. Jahrhundert) und ein Brevier aus 
dem 12. Jahrhundert, das neben der vom Gurker 
Domkapitel beigestellten Vita H e n r i c i das 
ä 11 e s t e bekannte Gurker B u c h ist. Diese 
ei wähnte Vita ist von hervorragendem Wert und ent 
hält eine Darstellung Kaiser H e i n r i c h s II. mit dem 
Modell des Babenberger Domes auf der linken 
Schulter. 
Das Interessanteste waren aber doch die vor 
kurzem entdeckten Bruchstücke des Nibe 
lungenliedes, Reste von vier Pergamentblättern, 
uspriinglich 148X118 Milirneter, die aus den Falzen 
einer Handschrift stammen, die um 1409 in Duder- 
stadt östlich Göttingen eingebunden und bald darauf 
nach M i 11 s t a d t gebracht wurden. Die Bruchstücke 
reichen von Strophe 2185 bis 2271 des Nibelungen 
liedes, die Mundart ist bayrisch, die Schrift aus dem 
Anfang des 13. Jahrhunderts. Kleinformat, Pergament 
und Gebrauch erweisen die Handschrift als echtes 
Spielmannexemplar. Entdecker dieses kost 
baren Fundes ist Professor Dr. M e n h a r dt (Klagen 
furt). 
Zwei weitere Kästen enthielten u. a. eine Lex 
Visigothorum (dem Geschichtsverein gehörend), 
ein westgotisches Gesetzbuch des 9. Jahrhunderts, 
vermutlich in Süditalien geschrieben. Diese Lex hatte 
einem archivarischen Buche in Viktring als Umschlag- 
gedient. Ferner konnte man dort eine Marienlegende 
der Nonne Hroswi t h a von G a n d e r s he i ra 
schen. Diese vor kurzem ebenfalls von Professor Dr. 
Menhardt in einem Buchdeckel entdeckte Hand 
schrift wurde im 11. Jahrhundert im Kloster Sankt 
Emmeran zu Regensburg geschrieben, kam nach 
Wien in das Dominikanerkloster, wurde dort zer 
schnitten und auf Buchdeckel geklebt. Mit einem der
	        
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