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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 54 und 55)

 
boten. So begleitet er auch das Jesuskind, das im 
geflochtenen Korb seine (laben bringt auf mittel- 
alterlichen deutschen llolzschnitten. Als Glücks- 
vogel war er ja schon Freya zugesellt, wie er Heras, 
der Göttin des Kalenderjahres, Szepter als Früh- 
lingskuckuck krönte. In einem Glasgemälde eines 
Kölner Hauses um 1450 hält das Kind 7 wohl 
unter französischem liinHuß - eine Taube. Sehr 
beliebt ist der Stieglitz natürlich in den Rosenhag- 
Bildern, in denen er besonders glücklich motiviert 
erscheint. So geht die Reihe von Schongauers Kol- 
marer Madonna (1473) über Burgkmair (zweimal in 
Nürnberg) bis zu Hans Holbein. Auch bei Dürers 
Meerkatzenmadonna ist der Vogel noch da s vom 
Kinde gefüttert! w, während er bei Baldung Grien 
zum Papagei wird. Auf dessen Fluchtbildern scheint 
der Stieglitz jedesmal auf (Freiburg i. B., Nürna 
berg, Wien). Er hat sich auch einen Platz bei Ölberg- 
szenen (Hohenfurth und Wittingau, beide in Prag) 
gesichert. Seine Aufgabe, auf den Beginn des Opfer- 
ganges hinzuweisen, ist eindeutig. Das Bild Francias 
(München) und das Paolo Veroneses (München) 
weist ihn gleichfalls auf. 
(Iranachs Flucht (1504, Berlin) zeigt einen Engel, 
der dem Kind während der Rast ein Vöglein eilig 
herzubringt. Das Kinderbildnis des Meisters des 
Thennbildnisses (um 1516) kam aus Salzburg nach 
Frankfurt. Wieder ist der Vogel an einem Bändchen, 
die Spielzeugvorstellung scheint bei beiden sicher. 
Wann jeweils Profanierungen einsetzen, ist nicht 
leicht zu entscheiden. ln Sitten (Schweiz) steckt 
z. B. in der Valeriakirche das Kind seinen Zeigefinger 
in den Schnabel des Vogels, das könnte hier noch 
innige Verbindung heißen. Eine Salzburger Tafel 
(München, Alte Pinak.) bringt eine Mutter, die dem 
Kind die Brust reichen will, dieses jedoch hält seinen 
Stieglitz fest und betrachtet ihn mit ernstem Blick 
(MSLUGO). Zwei Tiroler Arbeiten, beide um 1500 
(Mus. Regensburg und Innsbruck), zeigen den Vogel 
und drücken einmal dem Kind einen Popper, einmal 
eine Schepperrodel in die Hand. In Granada ist ein 
spanisch-Flandrisches Bild im Palast Karls V. zu 
sehen, ebenso im Dom von Tudela (16. Jh.), wo 
der Stieglitz aufscheint. Bei Murillo wird 7 nur um 
ein Jahrhundert jünger 7 aus dem Thema eine 
(ienreszene, bei der auch Josef anwesend ist. Das 
Kind hält den Vogel hoch und ein Hund im Vorderr 
grund hebt bittend seine Pfote hoch (Prado) (Abb. 5). 
llier reiht sich die liamiliengruppe XVatteaus an. 
Wieder ist die Taube der Mittelpunkt, der das nackte 
Kind seinen Daumen in den Schnabel zu stecken 
scheint (Abb. 6). Als die Hnchkunst das Thema 
fallen läßt, nimmt es in ergreifender XVeise die Volks- 
kunst auf. XVir bringen ein Beispiel aus der Steier- 
mark. Es kann noch im 18. Jh. entstanden sein, 
möglicherweise ist es auch jünger. Nun werden in 
naiver Mystik nochmals die Tauben aufgegriffen und 
diesmal mit den fünf heiligen Wunden geheimnisvoll 
verbunden. Die Seelenvögel suchen die vom Lichter- 
glanz umgebenen Wundmale auf, ja sie kommen 
aus ihnen hervor, oder schwimmen auf der großen 
Seitenwunde wie auf einem Teich. Das Bild des 
Lebenswassers wird mit dem Blute Christi vereinigt, 
das die Vögel als einen Heiltrank aufsuchenll) 
(Abb. 7). Noch immer gilt die alte Vogel-Seele- 
Gleichung. Die Seelenvögel streben zum Baum und 
Born der Unendlichkeit, zum „Kinde, das das Dunkel 
zerstreut, in dem man so lange nicht zwischen Ver- 
suchung und Sünde unterscheiden konnte. Durch 
die Existenz dieses Kindes wurde allen anderen 
Existenzen der eigentliche Wert gegeben"23). 
ln einer gotischen Monatsdarstellungl4) trägt der 
Hai als Jüngling den Lebenssproß und den Vogel. 
Beide symbolisieren das neue Leben. Von hier her 
wird der Vogel zum Bild: nicht nur der Seele, 
sondern zum Attribut Christi, das sagt, daß er das 
neue Leben bringt, das in den alten Vorstellungen 
der kultische Rauschtrank bewirken sollte. Die 
Lebenserfahrungen des Mythischen bringen, in 
welche Gleichung immer sie eingesetzt werden, eine 
restlose Lösung, in der alles aufgeht25). 
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